Bei uns in Tokio:Unternehmer aus Protest

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In Japan ist es üblich, nach der Universität einen sicheren Job in einem großen Unternehmen anzunehmen und sich für sein Leben zu knechten. Wie verführerisch ist da der Gedanke, sich selbstausbeutend selbständig zu machen!

Von Christoph Neidhart

Schade, die winzige Bäckerei hinter der S-Bahnstation ist verschwunden; das junge Paar verkaufte dunkle, knusprige Baguettes, wie man sie in Tokio selten findet. Aber die Lage in einer Seitengasse war für Laufkundschaft wohl zu schlecht. Wären sie berühmt geworden, etwa durch eine Food-Sendung im Fernsehen, dann hätten sie es geschafft. Für etwas Berühmtes machen viele Japaner einen Umweg. Und zahlen dafür auch fast jeden Preis.

Obwohl man im Land durchaus Brot isst, trafen die beiden den Geschmack der meisten Japaner nicht. Ihr Brot war richtiges Brot, während Brot in Japan sonst meist weiß, weich - eigentlich schwammig - und süß ist. Eine resche Kruste, sagen viele, schmerze sie beim Kauen. Es sei denn, der Bäcker ist berühmt.

In den wohlhabenderen Vierteln von Tokio tauchen ständig neue Läden auf wie diese Bäckerei, zuweilen bloße Nischen. Restaurants mit zwei Tischchen oder nur einem Tresen, Boutiquen, die auch Kleider schneidern, Friseursalons; in Yoyogi-Uehara gibt es einen neuen Pudding-Shop. Nur für Pudding. Viele verschwinden wieder, die Einkünfte dürften bescheiden sein, der Aufwand groß.

Ökonomen könnten hinter einem Boom der selbstausbeutenden Existenzgründungen etwa Jugendarbeitslosigkeit vermuten. Aber Japan hat zu wenig Arbeitskräfte, und selber eine Firma zu gründen, ist schwierig. Keine Bank würde jungen Leuten für eine Bäckerei Kredit gewähren. Diese altmodischen Start-ups sind eher eine Protestbewegung.

Die Gesellschaft erwartet von den Jungen, vor allem von den Männern, dass sie sich nach dem College an ein Unternehmen verdingen, möglichst an ein berühmtes, das fortan über ihr Leben bestimmt. Sie werden Überstunden machen und danach mit den Kollegen noch in die Kneipe gehen müssen. An Urlaub dürfen sie nicht einmal denken. Dafür können sie damit rechnen, das ganze Arbeitsleben in der Firma zu bleiben. Wer keine solche Stelle findet, und das sind mittlerweile die Hälfte der Schulabgänger, wird sich als Zeitarbeiter zu einem dürftigen Lohn durchs Leben schlagen müssen. An einen späteren Quereinstieg in eine feste Stelle ist nicht zu denken. Auch Frauen, die eine Babypause machen, finden danach keine guten Stellen mehr. Deshalb stehen viele Mütter mit Hochschulabschluss später an einer Ladenkasse. Angesichts solcher Perspektiven wirkt eine selbstbestimmte Selbstausbeutung geradezu verlockend.

Das junge Paar übrigens macht nun einen zweiten Versuch. Die Baguettes sind kleiner und teurer geworden. Und sie backen nun auch weißes, weiches Brot.

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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