Bei uns in Seoul:Mieten mal anders

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Südkorea droht eine Schuldenkrise, die es nur in Südkorea geben kann. Das liegt an der hohen Summe der Jeonse-Darlehen, die die Bürger den Banken schulden. Das ist ein ganz besonderes System der Wohnungsfinanzierung.

Von Christoph Neidhart

Südkorea droht eine Schuldenkrise, die es nur in Südkorea geben kann. Die Gesamtsumme der Jeonse-Darlehen, die die Koreaner den fünf Großbanken des Landes schulden, hat sich 2016 von 8,3 Milliarden Euro auf 27,2 Milliarden mehr als verdreifacht. Und seit 2014 sogar verfünffacht.

Jeonse ist ein System der Wohnungsfinanzierung, das nur in Südkorea existiert. Hier zahlen die Mieter keine Monatsmieten, stattdessen gewähren sie dem Hausbesitzer ein Darlehen, das Jeonse. Vor dem Bezug ihrer Wohnung müssen sie dem Besitzer einen Betrag in der Höhe von 50 bis 60 Prozent des aktuellen Marktpreises der Wohnung zahlen, in beliebten Stadtteilen sogar bis 80 Prozent. Einst trugen die Leute dieses Geld, 100 000 Euro oder auch viel mehr, als Bargeld zum Vermieter.

Eine Monatsmiete muss ein Jeonse-Mieter dann nicht mehr zahlen, nur Nebenkosten wie Wasser, Strom und Gas. Nach Ablauf des Jeonse-Vertrags, meist zwei Jahre, erhält er sein Geld unverzinst zurück. Es wird angenommen, der Vermieter habe es in der Zwischenzeit gewinnbringend angelegt.

Manche Historiker behaupten, das Jeonse-System existiere seit Jahrhunderten, belegt ist diese informelle Privatfinanzierung seit 1876. Populär und gesetzlich verankert wurde sie im Jahre 1959. Im kriegszerstörten Südkorea gab es noch keinen Hypotheken-Markt, aber Bedarf nach Kapital und Wohnraum. Den Hausbesitzern garantierte die rasch wachsende Wirtschaft damals beinahe, dass ihr reinvestiertes Jeonse-Geld Profite abwarf. Der Wirtschaft garantierte das System eine hohe soziale Mobilität.

Inzwischen wächst Koreas Wirtschaft nur noch bescheiden, Seouls Immobilienpreise sind astronomisch, weil immer mehr Koreaner in die Hauptstadtregion drängen. Die Mieter müssen das Geld für ihr Jeonse deshalb bei einer Bank aufnehmen, wegen der steigenden Marktpreise für jede Vertragserneuerung mehr. Sie sind Zinsschwankungen ausgesetzt und dem Risiko, dass ihr Vermieter pleitegeht oder zum Beispiel des Steuerbetrugs überführt wird.

Weil die Jeonse stetig teurer werden, versuchen immer mehr Südkoreaner - auch solche, die sich das kaum leisten können - eine Wohnung zu kaufen. Es gibt ja jetzt Hypotheken. Das überhitzt den Immobilien-markt und treibt die Preise in die Höhe. Im Großraum Seoul wechselten 2015 mehr als 600 000 Wohnungen den Eigentümer, 2016 noch mehr. Also haben in einem Jahr drei bis fünf Prozent der Hauptstadtbewohner eine neue Wohnung gekauft. Derweil verschulden sich die meisten anderen immer höher, um eine Jeonse-Miete zahlen zu können.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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