Bei uns in Rom:Trau keinem unter 80

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Ein halbes Jahrhundert nach 1968 erlebt Italien die Rebellion der Senioren: Die alten Patriarchen drängen wieder an die Spitze ihrer Konzerne.

Von Ulrike Sauer

"Trau keinem über 30", das war der Slogan einer Jugendbewegung, die gegen ihre autoritären Eltern aufbegehrte. Ein halbes Jahrhundert später erlebt Italien nun sein umgekehrtes '68: Es rebellieren die Senioren. Die alten Patriarchen melden sich zurück und lehnen sich gegen die bestehenden Verhältnisse auf. Trotz ihrer Ungeduld führen sie zwar keine revolutionären Parolen im Mund. Dafür hat man das Gefühl, man hörte sie fröhlich trällern: Mit 84 Jahren, da fängt das Leben an. Mit 84 Jahren kommt man erst in Schuss.

Als letzter überraschte Carlo De Benedetti, Gründer der Finanzholding CIR und einst Berlusconis großer Gegenspieler, die Finanzwelt mit einem furiosen Comeback. De Benedetti wird am 14. November 85. Er hat es bereut, den Söhnen sein Imperium geschenkt und ihnen die Führung überlassen zu haben. Nun will er die Beteiligung an der Mediengruppe Gedi, zu der auch die Tageszeitungen La Repubblica und La Stampa gehören, für 38 Millionen Euro zurückkaufen. Seinen Söhnen fehle es an Gespür fürs Zeitungsgeschäft, an Leidenschaft und Kompetenz, schimpft der Alte. Der Generationenkonflikt entflammte auch die Börse.

Zuvor drängten bereits andere Vorkriegskinder ins Scheinwerferlicht zurück: Leonardo Del Vecchio, 84, Gründer des Brillenkonzerns Luxottica, kehrte 2016 aus dem Ruhestand zurück und zieht gerade die Mailänder Finanzwelt mit seinem Angriff auf die Geschäftsbank Mediobanca in den Bann. Der Selfmade-Unternehmer hat seine Beteiligung auf 7,5 Prozent erhöht. Er setzt nun Bankchef Alberto Nagel, 54, unter Druck. Del Vecchio hat soeben Nutella-König Giovanni Ferrero, 55, als reichster Italiener in der Forbes-Rangliste verdrängt.

Von sich reden macht auch Luciano Benetton, 84. Er war 2017 nach neun Jahren zurückgekehrt, um seine Werk zu retten. Vor wenigen Monaten trat der Modeunternehmer als Model vor die Kamera. In Jeans und rotem Pulli warb er in einer Anzeige neben einer 18-Jährigen für seine United Colors. Für Wirbel aber sorgt Benetton gerade, weil er ins Endlos-Drama um die Pleite-Fluggesellschaft Alitalia eingreift. Diskret im Hintergrund bewegt sich Mediaset-Gründer Silvio Berlusconi, 83, der seinen Kindern im Börsen- und Gerichtsduell mit Vivendi zur Seite steht.

Ohne das Oldie-Quartett wäre die Börse ein langweiliger Ort, schreibt das Finanzblatt Il Sole 24 Ore. 1968 waren sie schon zu alt für die Barrikaden und Sit-ins. Heute bekräftigen sie: Italien ist kein Land für junge Leute.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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