Bei uns in Rom:Ein Genie für alle Fälle

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Jetzt muss er wieder herhalten, der gute alte Leonardo Da Vinci. Nicht nur Make-up-Hersteller machen mit seinem Namen Geschäfte. Auch die populistische Regierung, die sich sonst wenig aus Kultur macht, entdeckt ihn plötzlich für sich.

Von Ulrike Sauer

Jetzt muss Leonardo ran, da hilft alles nichts. Der Künstler, der 1452 in der Ortschaft Vinci in der Toskana geboren wurde und vor 500 Jahren in Frankreich starb, hinterließ uns bekanntlich nicht nur die Mona Lisa, das berühmteste Gemälde der Welt, und das Jesusbild Salvator mundi, das teuerste Gemälde aller Zeiten. Er war obendrein unangepasst und innovativ bis zum Abwinken. Dass er viele Dinge anders machte als seine Zeitgenossen, gereicht seinen Nachfahren heute zum größten Vorteil. Zum Beispiel den italienischen Make-up-Herstellern.

Sie bringen Leonardo ein halbes Jahrtausend nach seinem Tod groß heraus: als Beauty-Coach und Hair-Stylisten. Die 52. Cosmoprof in Bologna, die wichtigste Kosmetikmesse der Welt, widmete ihm kürzlich die Ausstellung "Leonardo - Genie und Schönheit". Sie zeigte eine Auswahl seiner Studien zur schonenden Extraktion von Duftstoffen aus Blüten. Auch das Rezept eines Färbemittels, um "schwarze Haare gelb zu machen", hatte der Maestro parat. An den italienischen Renaissance-Höfen seiner Zeit war die Blondine ein Schönheitsidol. Kein Wunder also, dass sich die Kosmetikhersteller im Streben nach Schönheit auf den einfallsreichen Vorläufer berufen.

Und sie sind nicht allein. So ziemlich jede Branche hier nimmt den Erfinder für sich in Anspruch. Italienische Marketingprofis bedienen sich gern am Kulturschatz der Nation. Anders ist das normalerweise bei der gegenwärtigen Regierung. Den Populisten sind Wissen, Kultur und Kompetenz suspekt. Die intellektuelle Elite des Landes verachten sie. Doch kürzlich hat auch die Koalition aus Fünf Sterne und Lega Leonardo für sich entdeckt. "Unser Genie" nannte ihn Regierungschef Conte bei der Vorstellung des Jubiläumsprogramms. Auch seine Regierung arbeite an Visionen für das Land, fügte Conte schnell hinzu.

Dass die zerstrittene Koalition an die Zukunft Italiens denkt, ist neu. Bildung und Wissen scheinen für sie dabei aber hinderlich zu sein. Wo nämlich kürzt sie den Etat? Bei ohnehin schon kaputtgesparten Schulen, bei den Presseverlagen und den Buchläden, bei Forschung und Innovation.

Anders als Conte, der beim Antritt als Premier mit einem frisierten Lebenslauf aufgefallen war, stehen viele Minister zu ihrem Werdegang. Volksnähe ist Trumpf. Die Staatssekretärin im Kulturministerium, Lucia Borgonzoni, die jetzt ein "Leonardo-Fieber" ausgemacht hat, prahlt damit, dass sie seit drei Jahren kein Buch gelesen hat. Senator Mario Pittoni, Vorsitzender des Bildungsausschusses, verließ nach der 8. Klasse die Schule. Wozu braucht man schließlich Fachleute? Bei uns reden alle über alles. Nur die Sterneköche gelten in Italien noch als Autoritäten. Und der alte Leonardo, natürlich.

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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