Bei uns in Rom:Das Individuum, Maß aller Dinge

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Egos, Verkehrschaos, und der Müll stinkt zum Himmel. Die Entwertung des Gemeinsinns ist in der italienischen Metropole so allgegenwärtig, dass die internationalen Medien Rom mit Kalkutta in einem Satz erwähnen.

Von Ulrike Sauer

Gerade noch saß man auf dem Sattel, strampelte den Hügel hinauf und wunderte sich über das unverhältnismäßig schnell näherkommende Motorengeräusch. Schon verlor das Hinterrad die Bodenhaftung auf der Via Veneto, der legendären Flaniermeile des Dolce Vita. Das Flair des leichten Lebens ist natürlich längst passé, es blieb der mühsame Anstieg vom Tritonen-Brunnen. Unter den Augen der Überwachungskameras, die vor der festungsartig gesicherten US-Botschaft installiert sind, überrollt einen am helllichten Tag in der letzten Kurve ein Taxi. So glamourös wie auf der Via Veneto, das sei eingeräumt, kann man nicht überall verunglücken.

Ah, Roma! Willkommen in der gefährlichsten Hauptstadt Europas. "In Rom gibt es zu viele Unfalltote, repariert endlich die Straßen", schimpfte Jean Todt bei seiner Visite in der Ewigen Stadt. Der ehemalige Chef des Ferrari-Rennstalls ist heute im Auftrag der Vereinten Nationen in Sachen Verkehrssicherheit unterwegs. Todt ermahnte die Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung, sich um die Infrastruktur zu kümmern. Bravo! Die Orthopäden verdienen sich an unseren Schlaglöchern eine goldene Nase. Er regte auch eine Kampagne zur Beachtung der Verkehrsregeln an. Nun ja, Monsieur Todt, die narzisstischen Interessen des Einzelnen sind bei uns das Maß aller Dinge. Ein banales Indiz für die Verrohung der Sitten ist das Parken in der zweiten Reihe. Warum sollten andere hier durchkommen, wenn ich jetzt aussteigen will?

Die Entwertung des Gemeinsinns ist so allgegenwärtig, dass die internationalen Blätter Rom nun gern mit Kalkutta in einem Satz erwähnen. So sind an der Vernachlässigung der öffentlichen Sphäre die Verkehrsbetriebe Atac zugrunde gegangen. Viele, viele kaputte Busse bleiben im Depot, weil Ersatzteillieferanten dem zahlungsunfähigen Unternehmen keinen Kredit mehr geben. Um die städtische Müllabfuhr steht es nicht besser. Bei 40 Grad im Schatten stinkt der Abfall auf dem geschmolzenen Asphalt zum Himmel. Und den Haute-Couture-Schauen Alta Moda, einem der letzten Versuche Roms, international Flagge zu zeigen, droht das Aus.

Nun haben Couturiers bei uns wirklich nichts mehr verloren. Das Kaufhaus Coin Excelsior bezahlt seit sechs Jahren Geld an die Stadt, um während der Alta-Moda-Tage den Bürgersteig vor seinen Schaufenstern von Straßenhändlern zu befreien. Wenigstens anlässlich der Modeschauen soll die Sicht auf die mit Designer-Klamotten dekorierten Vitrinen nicht völlig von den BHs, Unterhosen und Pyjamas verdeckt werden, die ein Trash-Händler hier jeden Morgen an seinem Sonnenschirm aufhängt. Dieses Jahr stellte sich der Mann stur, und die Stadtpolizei weigerte sich einzugreifen. Ein Umzug verursache einen unzumutbaren wirtschaftlichen Schaden, hieß es. Das ist Alltag in Rom: Gegen Partikularinteressen hat die res publica nichts zu melden.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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