Bei uns in Peking:Wenn Kader baden

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Jedes Jahr fährt Chinas Staatsführung zum gemeinsamen Badeurlaub ans Meer. Dabei geht es aber weniger um Sonne und Strand, als um knallharte Machtpolitik. Und ganz so lang wie einst dauern die Ausflüge auch nicht mehr.

Von Christoph Giesen

Bald fahren sie wieder los, aus dem stickigen Peking für ein paar Tage an den Strand. Jedes Jahr Ende Juli, Anfang Augst reisen Chinas Spitzenkader gemeinsam in die Ferien, immer in den Badeort Beidaihe am Golf von Bohai, zwei Schnellzugstunden von Peking entfernt. Dort ist es ein paar Grad kühler als in der chinesischen Hauptstadt, wo im Sommer die Temperatur so gut wie immer auf über 30 Grad steigt.

Schon Staatsgründer Mao Zedong fuhr gerne und oft nach Beidaihe, manchmal gleich für zwei volle Monate, mit dabei seine Entourage, Minister, Staatssekretäre und ein ganzes Bataillon an Beamten. 188 Gästehäuser und Sanatorien standen Mao und seinen Leuten damals zur Verfügung. War Mao in Beidaihe, wurde der Ort abgeschirmt und zum Regierungssitz am Strand - an dem auch Politik gemacht wurde. 1958 etwa verkündete Mao aus dem Sommerurlaub den "Großen Sprung nach vorn". Eine Kampagne, die eine Hungerkatastrophe im Land auslöste, bei der Millionen Chinesen starben. "Chinas Sommerhauptstadt" nennt sich Beidaihe seitdem.

Dabei bleiben die meisten Funktionäre heute allenfalls eine Woche, nur die altgedienten Kader harren länger aus. Die Sicherheitsbehörden kontrollieren währenddessen noch genauer, wer in den Hotels absteigt, völlig abgesperrt wie zu Maos Zeiten wird der Ort jedoch nicht mehr. Um zu wissen, ob die Funktionäre eingetroffen sind, muss man trotzdem nur aufs Meer schauen, zwei Boote der Marine sichern dann einen Küstenstreifen ab. Zum Baden gelangen Chinas Spitzengenossen über Gänge und Tunnel, die die Villen und Gästehäuser direkt mit dem Strand verbinden. Ein Dickicht aus Zedern, Zypressen und Fichten verdeckt die Sicht.

Wirklich Zeit zum Schwimmen und Ausspannen bleibt allerdings kaum. In Beidaihe wird politisch gerungen. Wer welchen Posten bekommt, aber auch wessen Karriere ein jähes Ende nimmt, all das wird ausgekungelt. In diesem Jahr wird es bei den Klausuren, vertraulichen Runden und Spaziergängen jedoch vor allem um eine einzige Person gehen, und diese stammt nicht einmal aus China: US-Präsident Donald Trump. Der Handelsstreit mit den Vereinigten Staaten und die Ächtung von Huawei setzt den Genossen heftig zu. Wie geht es bloß weiter mit diesem Trump? Darüber zerbrechen sich Chinas Kader in Beidaihe den Kopf.

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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