Behindertenwerkstatt: Auftragsflaute:Wirtschaft knallhart

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Die Krise kennt keine Gnade. Auch Behindertenwerkstätten bricht der Markt weg - doch Kündigungen sind ausgeschlossen. Was tun? Ein Mitarbeiter zeigt seine Sicht.

Kerstin Faßbinder

Achim Becker hat keine Angst vor der Krise. Er kann nicht entlassen werden. Als Schwerbehinderter hat er ein Recht auf seinen Arbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt, Kurzarbeit und Kündigung ausgeschlossen. Doch wegen der Wirtschaftskrise gibt es weniger Arbeit, auch in den Werkstätten. Vielen brechen die Aufträge weg - besonders denen, die für Automobilzulieferer produzieren.

Achim Becker ist schwerbehindert, darum kann er nicht gekündigt werden. Sein Arbeitgeber, die Werkstatt der Stiftung Pfennigparade in München, hilft sich mit neuen Produkten durch die Krise. (Foto: Foto: kfa)

Die Situation sei mancherorts "richtig bedrohlich", sagt Günter Mosen, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen. Mit zwei Milliarden Euro Umsatz im Jahr sind die 710 anerkannten Werkstätten in Deutschland ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Achim Becker arbeitet in der Werkstatt der Stiftung Pfennigparade in München. Auch hier sind die Umsätze eingebrochen. "2008 hatten wir ein Minus von sieben Prozent, für 2009 rechnen wir sogar mit einem Rückgang von 15 Prozent", sagt Stiftungsvorstand Jochen Walter.

Und 2010 werde besonders düster, weil dann auch der Staat, der mit dem Betreuungsentgeld rund 40 Prozent der Kosten der Werkstatt abdeckt, sparen muss, vermutet Walter. Die anderen 60 Prozent verdient sich die Stiftung selbst über Markterlöse. In der Krise "eine Doppelzange", denn beide Einnahmequellen trocknen langsam aus.

Dabei hat die Stiftung Pfennigparade Glück, nicht wie andere Einrichtungen allein vom Automarkt abhängig zu sein. "Unsere Mitarbeiter sind vor allem körperbehindert", erläutert Walter. Viele arbeiten in geistig fordernden Bereichen wie dem IT-Sektor - so auch Achim Becker.

Die Finger bleiben fest wie eine Faust - immer

Der Fachinformatiker sitzt im Rollstuhl und kann seine Hände nur eingeschränkt bewegen. An seiner rechten Hand trägt er eine braune Konstruktion, ähnlich wie eine Bandage. Daran festgemacht ist ein roter Stift. Den braucht der 35-Jährige zum Tippen. Die Finger bleiben fest wie eine Faust - immer.

Auch wenn sein Job sicher ist, musste Becker auf die Krise reagieren. Es gab einfach zu wenig zu tun. Der junge Mann hat sich weitergebildet. "Seit Ende Juni bin ich zertifiziert, Internetseiten auf ihre Barrierefreiheit zu testen", erklärt er.

Lässt sich die Schrift vergrößern? Werden bei Bildern Alternativ-Texte vorgelesen für Sehbehinderte? Mit einem barrierefreien Auftritt können Online-Plattformen wie das große Internet-Versandhaus Amazon neue Kunden gewinnen, ist sein Arbeitgeber sicher. Eine neue Nische, wenn die allgemeine Nachfrage einbricht.

Behindert oder nicht - der Gewinn muss passen

Becker arbeitet 27,5 Stunden die Woche. Die andere Zeit braucht er, weil er gepflegt werden muss, Physio- und Ergotherapie macht. Trotz der Einschränkungen müssen er und seine Kollegen, die den Computer teilweise mit dem Mund oder einer Stange um die Stirn steuern, Gewinn erwirtschaften.

Aufträge erhält die Werkstatt nicht allein wegen des sozialen Images. "Wir müssen uns mit den Marktpreisen messen", sagt Vorstand Walter. Die seien gerade bei IT-Dienstleistungen oft von Billiglohnländern wie Indien und Tschechien bestimmt.

Die Werkstatt versucht außerdem mit einer Qualität zu punkten, die über dem Marktdurchschnitt liege. Die erreicht die Stiftung Pfennigparade, weil die behinderten Mitarbeiter außergewöhnlich motiviert sind. "Darüber läuft die Anerkennung", betont Walter.

Auch ein Werbe-Argument: Firmen, die eine Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Schwerbinderten-Pflichtplätze zahlen müssen, können einen Auftrag an die Werkstatt auf diese Abgabe anrechnen.

Die Stiftung mit rund 1000 Mitarbeitern - davon mehr als 700 schwerbehindert - zählt neben Größen wie BMW, Siemens oder die Deutsche Bank viele kleine und mittelständische Unternehmen zu ihren Auftraggebern.

Eintippen und einscannen - Hauptsache einfach

Die Jobs sind so unterschiedlich wie die Auftraggeber: So erfassen die Pfennigparade-Mitarbeiter beispielsweise Kreditanträge mit dem PC, für andere Firmen werden alle eingehenden Rechnungen eingescannt. Kleine Firmen geben hier ihren Webauftritt in Auftrag.

Damit fällt die Stiftung bundesweit aus der Reihe. Die Mehrzahl der Behindertenwerkstätten beschäftigt überwiegend geistig Behinderte und übernimmt vor allem einfache Fertigungsarbeiten - dort wird geschraubt oder sortiert.

"Wir haben insgesamt eine dreistellige Zahl an Kunden", erläutert Jochen Walter. Die zu halten oder neue zu gewinnen sei jedoch deutlich schwieriger geworden.

Um die Leerläufe zu überbrücken, werden viele Mitarbeiter - wie es auch bei Achim Becker der Fall war - weitergebildet. Es bleibt auch mehr Zeit für eigene Ideen: So haben die Behinderten etwa einen Sitzsack aus einem beheizbaren Garn entwickelt, der Rollstuhlfahrer im Winter vor Unterkühlung schützen soll.

Die Stiftung Pfennigparade stemmt sich mit aller Macht gegen die übermächtige Krise. "Wir stecken nicht den Kopf in den Sand", gibt Walter das Ziel vor. Dennoch stellt sie bereits weniger nicht behinderte Mitarbeiter ein - und die erhalten oft nur einen befristeten Vertrag. Vor solchen Risiken schützt der Staat ihre behinderten Kollegen.

Auch wenn er sich keine Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen muss, arbeitet Achim Becker sehr konzentriert. Seine Augen hinter der modernen, rahmenlosen Brille sind fest auf den Bildschirm gerichtet. Ihn treibt nicht die Angst an. Er sagt: "Ich will zeigen, dass ich das kann."

In seiner Abteilung sind auch manche Aufträge weggebrochen. Es kamen jedoch neue hinzu. Zu tun hat Becker also genug. Dass Krise herrscht, merkt er nur in den Medien. "So schlimm, wie es beschrieben wird, kommt es bei mir nicht an." Er hat Glück - und er weiß das.

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