Bahn: Die Tarifrunde:Weitsicht statt Kleingeist

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Die drei bei der Deutschen Bahn organisierten Gewerkschaften warten mit Lohnforderungen auf. Die einstige Hass-Gewerkschaft GDL könnte zum Liebling des Arbeitgebers werden.

Melanie Ahlemeier

Die Messlatte für den Neuen liegt hoch - extrem hoch. Elf Prozent hatte Manfred Schell, fast 20 Jahre lang Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), in der vergangenen Tarifrunde für "seine" Eisenbahner nach langem Tarifkampf herausgeholt. Das war ein Schauspiel!

Für Claus Weselsky, seit Mai Bundesvorsitzender der GDL, ist es die erste Tarifrunde in neuer Funktion. (Foto: Foto: AP)

Über Monate hinweg hatte die Schell-Truppe die Republik in Atem gehalten, selbst aus der Kur in Radolfzell am Bodensee machte der oberste Lokführer Ansagen. Irgendwann war Bahn-Chef Hartmut Mehdorn mürbe - und willigte nach Intervention von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee ein.

Was für eine schöne letzte Heldentat Schells, dem letzten Gewerkschafter alten Schlags. Wie aber kommt Claus Weselsky, sein Nachfolger an der DGL-Spitze, damit zurecht?

Für ihn ist die neue Tarifrunde - die erste in der Post-Schell-Ära - mit einem geforderten Lohnplus von 6,5 Prozent eine Herausforderung in dreifacher Hinsicht.

Erstens: Die Erwartungen der GDL-Mitglieder dürften immens sein. Sie haben in der vergangenen Tarifrunde gesehen, welch hohes Lohnplus bei langer Streikbereitschaft herausgeholt werden kann.

Zweitens: Der gebürtige Dresdner Weselsky muss zeigen, dass er sich von seinem geistigen Übervater Schell gelöst hat. Mehrere Jahre lang war Weselsky stellvertretender GDL-Vorsitzender und damit rechte Hand Schells.

Drittens: Im Zuge einer sich immer stärker abkühlenden Konjunktur bedarf es beim Aufstellen der Tarifforderung Weitsicht, nicht Kleingeist.

Die Wirtschaftsprognosen für 2009 verheißen nichts Gutes, mit Deutschland wird es bergab gehen. Und weil jeder weiß, dass am Ende der Tarifrunde ein Kompromiss stehen wird, der Arbeitgeber und Arbeitnehmern gerecht werden muss, sind die von der GDL geforderten 6,5 Prozent ein guter Ausgangspunkt.

Irgendwo zwischen 3,5 und vier Prozent wird voraussichtlich der Kompromiss liegen - das ist immer noch deutlich über der aktuellen Inflationsrate.

Ein echtes Problem hingegen könnten die mit der GDL konkurrierenden Gewerkschaften Transnet und GDBA bekommen. Ihre Lohnforderungen liegen mit zehn Prozent deutlich über dem Lohnwunsch der Weselsky-Truppe.

Das zeigt zweierlei: Zum einen haben die GDL-Rivalen den unerwartet hohen GDL-Tarifabschluss zu Beginn des Jahres immer noch nicht verdaut. Zum anderen blenden sie die sich verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aus und gehen mit völlig überzogenen Forderungen in die Tarifrunde. An dieser Stelle gilt: Kleingeist statt Weitsicht.

Nun ist es Aufgabe des Arbeitgebers Bahn, nach abgeblasenem Börsengang und peinlichem Widerruf des Bedienzuschlags einen zügigen Tarifabschluss zu finden. Das wird mit der GDL vermutlich einfacher als mit Transnet und GDBA.

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