Baden-Württemberg:Hausärzte verschreiben Wettbewerb

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Die baden-württembergischen Mediziner schließen erstmals in der deutschen Geschichte einen Honorar-Vertrag außerhalb des etablierten Systems ab - das Ziel sind weniger Bürokratie und mehr Zeit für Patienten.

Guido Bohsem

Um Superlative ist die deutsche Gesundheitsbranche eigentlich nie verlegen. Dass ihre Vertreter regelrechte Euphorie packt, ist aber eher selten. Und doch sprach der Vorstandschef der baden-württembergischen AOK, Rolf Hoberg, am Donnerstag in Berlin "von einem großen Tag im deutschen Gesundheitswesen".

Der Vertrag zwischen der AOK Baden-Württemberg und den Ärzteverbänden sieht vor, dass die Mediziner mehr Geld bekommen. Die Patienten binden sich in dem System für mindestens ein Jahr an ihren Hausarzt. (Foto: Foto: dpa)

Für den Chef des Ärzteverbandes Medi, Werner Baumgärtner, ging "ein Traum in Erfüllung". Der Landesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Berthold Dietsche, sagte: "Es ist nicht übertrieben, von einer historischen Wende zu sprechen."

Oberflächlich betrachtet haben die AOK und die beiden Arzt-Verbände lediglich einen weiteren Vertrag abgeschlossen, der dem Hausarzt eine zentrale Rolle als Lotse im Gesundheitssystem verschaffen soll. Revolutionär ist, dass dies zum ersten Mal ohne Mitwirkung einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geschieht.

Klagen über die kassenärztliche Vereinigung

Die haben nämlich seit 75 Jahren das Monopol darauf, zentral für alle Kassenärzte mit den Versicherern die Honorare auszuhandeln. Erst seit der Gesundheitsreform 2007 sind andere Verträge möglich.

Mit dem baden-württembergischen Kontrakt wird die Rolle der KV zwar nicht ausgehebelt, ihre bisherige Stellung aber untergraben. "Die KV ist eine Organisation, die nur noch mittelfristig ein Dasein führen wird", sagte Medi-Chef Baumgärtner. "Warum sollten wir eine Institution finanzieren, die keine Leistungen erbringt?"

Tatsächlich klagen viele niedergelassene Ärzte, egal ob Haus- oder Facharzt, seit Jahren über die Arbeit der KV. Die Organisation laste ihren Mitgliedern zu viel Bürokratie auf, beschneide so die Zeit für Behandlungen und scheitere zudem damit, die Honorarwünsche der Mediziner zu erfüllen, lauten grob vereinfacht die Vorwürfe.

Mit dem neuen Vertrag soll die Lage der Hausärzte in Baden-Württemberg von Juli an vollkommen anders werden. Nach Worten des stellvertretenden AOK-Vorsitzenden Christopher Hermann sieht das Regelwerk einen Abrechnungsmodus vor, der auf einen Bierdeckel passt. "Damit befördern wir das Bürokratie-Monster aus den Praxen", betonte er. Nach Angaben des Medi-Geschäftsführers Werner Conrad können die Ärzte, die an dem Vertrag teilnehmen, ihre Abrechnung künftig in fünf Minuten erledigen. Zudem sieht der Vertrag einen kräftigen Aufschlag beim Honorar vor.

Erhalte ein Hausarzt derzeit für einen Patienten im Quartal etwa 53 Euro, sollen es im Rahmen des Vertrags mit der AOK 80 Euro sein. Das kostet die Kasse je nach Nachfrage um die 200 Millionen Euro zusätzlich. Diese Summe muss durch Einsparungen wieder hereinkommen.

Dafür sehen die Beteiligten vor allem im Arzneimittelbereich Möglichkeiten. Nach Hobergs Worten wollen die Vertragspartner Empfehlungen ausarbeiten, welche günstigeren Arzneien die Ärzte verschreiben könnten. Diese seien aber nicht verbindlich.

Der Vertrag soll im Juli starten und zunächst über fünf Jahre laufen. Die Teilnahme ist für Ärzte und Versicherte freiwillig. Die AOK geht davon aus, dass sich bis Ende 2009 mindestens 5000 der etwa 7000 Allgemeinmediziner, hausärztlichen Internisten und Kinderärzte des Landes beteiligen. Mindestens eine Million Patienten sollen dabei sein. Die AOK Baden-Württemberg ist mit 3,7 Millionen Versicherten die größte Krankenkasse des Landes. Nur ihre Kunden dürfen an der sogenannten hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen.

Bessere Qualität angestrebt

Finanzielle Vorteile für die Patienten, etwa einen Wegfall der Praxisgebühr, soll es nach Hermanns Worten nicht geben: "Wir sind keine Billigheimer. Wir setzen auf Qualität." Die Patienten profitieren aber davon, dass die teilnehmenden Ärzte an jedem Werktag Sprechstunden anbieten müssen.

Einmal die Woche sollen sie bis 20 Uhr geöffnet haben. Die Qualität der Behandlung wollen die Vertragspartner durch regelmäßige Schulungen und sogenannte Qualitätszirkel verbessern. In so einem Zirkel kommen Ärzte verschiedener Fachrichtungen alle paar Wochen zusammen und besprechen besonders schwierige Fälle. Das ist allerdings kein neues Instrument.

Schreibt sich der Versicherte in das System ein, bindet er sich für mindestens ein Jahr an seinen Hausarzt. Er kann dann nicht mehr ohne weiteres einen Facharzt besuchen. Die Vertragspartner versprechen aber, dass den Patienten bei Bedarf ein kurzfristiger Termin bei einem Facharzt besorgt wird. In Notfällen oder wenn sein Hausarzt im Urlaub ist, kann der Kranke zu jedem beliebigen anderen Mediziner gehen. Die dann entstehenden Kosten werden wie bisher über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet.

© SZ vom 09.05.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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