Aventis-Übernahme:Geheimsache "Viktor"

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Sanofi-Chef Dehecq will zur Großmacht der Pharmabranche und Nummer Eins in Europa aufsteigen. Bereits seit zwei Jahren hatte er die Übernahme von Aventis erwogen.

Von Markus Balser

Treffender könnte ein Konzernsitz die Rastlosigkeit einer ganzen Branche nicht symbolisieren. Die Aventis-Zentrale im Straßburger Vorort Schiltigheim ist der Inbegriff des Provisorischen — ein schmuckloser Fertigteilbau, in wenigen Wochen hochgezogen, als der Pharmakonzern 1999 aus der Fusion von Hoechst und Rhône-Poulenc entstand.

Fusionstrend

"Baut Zelte auf, nicht Paläste!", hatte Jürgen Dormann, Architekt jener Fusion und früherer Aventis-Chef seinem Nachfolger Igor Landau noch mit auf den Weg gegeben. "Denn die lassen sich schnell einreißen — und andernorts wieder aufbauen." Nun zieht die Aventis-Karawane weiter.

Nach dem überraschenden "Ja" des Verwaltungsrats zum aufgebesserten feindlichen Übernahmeangebot von Sanofi-Synthélabo ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Zelte in Straßburg eingerissen werden. Denn die neue Konzernzentrale, so heißt es in Unternehmenskreisen, liege natürlich in Paris.

Seit Jahren schon herrscht unter Pharmaunternehmen die Fusionitis. Die gesamte Branche steht unter enormem Druck. Patente laufen aus und es fehlen neue Medikamente, die steigende Umsätze versprechen. Bis 2007 verlieren weltweit Arzneien mit einem jährlichen Gesamtumsatz von 54 Milliarden Dollar ihren Patentschutz. Das zwingt die Konzerne dichter zusammenzurücken.

Geheimsache "Viktor"

Schon vor zwei Jahren hatte Sanofi-Chef Jean-Francois Dehecq erkannt, dass sein Unternehmen einen Partner braucht, um im Konzert der Großen bestehen zu können. Seit Frühjahr 2002 arbeitete er von Paris aus im Geheimen am Schlachtplan für die feindliche Übernahme von Aventis. Codename: "Viktor". Der bullige Zigarrenraucher hält sich seit 31 Jahren an der Konzernspitze von Sanofi. Seither kaufte Dehecq rund 300 Unternehmen. Die Aventis-Übernahme gilt als die Krönung seiner Karriere. Dehecq träumt davon, den führenden europäischen Pharmakonzern aufzubauen.

Nehmen die Aktionäre das Angebot an, steigt die neue Gruppe "Sanofi-Aventis" hinter dem US-Branchenprimus Pfizer und der britischen GlaxoSmithKline zur weltweiten Nummer drei der Branche auf. Sie käme auf einen Jahresumsatz von rund 25 Milliarden Euro und würde weltweit rund 110000 Mitarbeiter beschäftigen.

Mit sechs neuen Medikamenten versuchte Forschungsvorstand Gerard Le Fur in den vergangenen Wochen das Argument von Aventis zu entkräften, Sanofi würde die Übernahme des Rivalen aus einer Position der Schwäche wagen. Tatsächlich ist es nicht nur die eigene Stärke, die Dehecq in die Übernahme treibt. So droht ein wichtiger Bestseller, das Thrombosemittel Plavix, seinen Patentschutz zu verlieren.

Zweifelhafte Prognosen

Auf mittlere Sicht läuft daneben der Patentschutz des ebenfalls verkaufsstarken, aber weniger rentablen Schlafmittels Stilnox aus. Sanofi besitzt zwar mehrere Arzneien mit Wachstumspotenzial, doch äußerten Analysten zuletzt auch Zweifel an den positiven Prognosen von Sanofi. Die von den Analysten der Großbank Crédit Lyonnais geäußerte Vermutung, Sanofi könne den Zugriff auf das deutlich größere Forschungsbudget von Aventis gut gebrauchen, ist deshalb weit verbreitet.

Zusammen verfügt das neue Unternehmen über ein Forschungsbudget von über vier Milliarden Euro. Die Kosten für Entwicklung und Markteinführung eines neuen Medikaments schätzen Experten auf 800 Millionen Euro. Zudem interessiert Sanofi das starke US-Geschäft des Konkurrenten. Denn auf dem lukrativen Markt in Nordamerika sind die Franzosen bislang nur über Kooperationen aktiv. Aventis unterhält dort ein eigenes Forschungszentrum.

Vieles haben sich die beiden Seiten in den vergangenen Wochen an den Kopf geworfen. "Man soll sich nicht in die Hose machen, bloß weil die komischen Sanofis hier aufgetaucht sind", rief Aventis-Deutschland-Chef Heinz-Werner Meier aufgebrachten Mitarbeitern bei einer Betriebsversammlung in Frankfurt im Februar öffentlich zu.

Jean-Francois-Dehecq ärgern solche Sprüche. Der Widerstand in Deutschland basiere auf einem Missverständnis, sagte er kühl. Ziel sei es, die Nummer eins in Europa zu werden. Da plane man nicht, Stellen abzubauen. Der entschlossene Auftritt hat einigen Konkurrenten unterdessen die Bindungsangst genommen. Glaxo-Chef Jean-Pierre Garnier stellte bereits klar: "Ich werde keine gute Gelegenheit für einen Zusammenschluss auslassen."

© SZ vom 27.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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