Autokredite:Wenn die Krise in der Garage beginnt

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In den USA wurden Autokredite an finanzschwache Schuldner vergeben. Manche glauben, das kann so gefährlich werden wie die Immobilienkrise.

Von Simone Boehringer, München

Die Autokredite in den USA sind auf ein Rekordhoch von fast 1,2 Billionen Dollar gestiegen, mindestens ein Drittel des Volumens liegt bei zahlungsschwachen Privatkunden. Das beunruhigt viele Marktbeobachter, manche Experten sprechen von einer Blase und ziehen Vergleiche mit der Schieflage am Markt für Häuserkredite in Amerika vor zehn Jahren - dem Auslöser der internationalen Bankenkrise. Könnte ein solches Szenario durch ein Überschäumen des Autokreditmarktes wiederkehren? Die wichtigsten Aspekte.

Wie bedeutend sind Autokredite in den USA, und wie hoch sind die Ausfallraten?

Autofinanzierungen und Leasing machen fast ein Drittel aller Verbraucherkredite in den USA aus. Das Gros der Neuwagen wird ganz oder teilweise so finanziert. Statistisch gesehen hat jeder US-Bürger mit Führerschein laut Bloomberg Autokreditschulden von 6100 Dollar. Die Ausfallrate hat sich zuletzt erhöht, ist aber mit 1,5 Prozent aller Autokredite noch moderat.

Ist die Kreditvergabe-Praxis in den vergangenen Monaten laxer geworden?

2016 wurden in den USA rund 17,5 Millionen Autos verkauft, das ist ein Rekord. Entsprechend stieg auch das Finanzierungsvolumen - und, so berichten Autoexperten, die Anzahl der Darlehen an Käufer mit schlechterer Bonität. Gemessen wird dies in den USA mit der 900 Punkte umfassenden Scoring-Skala, vergleichbar mit der Schufa-Auskunft in Deutschland. Wer mehr als 660 Punkte erreicht, gilt als zahlungskräftig genug für einen Verbraucherkredit, ab etwa 760 Punkten hat man eine hervorragende Bonität. Unter 620 Punkten beginnt der riskante Subprime-Bereich, in dem überdurchschnittlich viele Kunden zahlungsunfähig werden.

"Viele Banken in Amerika sind bei Verbraucherkrediten in den vergangenen Jahren freizügiger geworden und haben Autodarlehen an Kunden vergeben, die Scorings schlechter als 660 hatten", sagt Marc Winterhoff, Partner im US-Geschäft der Unternehmensberatung Roland Berger, zuständig für die Autoindustrie. Je nachdem, ob man die Grenze bei 620 oder 660 setzt, liege der Anteil problematischer Autokredite bei 33 oder 50 Prozent, so Colin Plunkett, Analyst beim Finanzinformations-Unternehmen Morningstar in Chicago.

Welche Folgen hätte eine Schieflage bei Autokrediten für die Autoindustrie?

Da die Zinsen lange historisch niedrig lagen und sich die Wirtschaftsaussichten gleichzeitig verbesserten, schien den Finanzhäusern das Risiko schlechter Kreditportfolios recht überschaubar. Das ändert sich gerade, weil die Zinsen wieder steigen, zum anderen die Absatzzahlen am US-Automarkt seit einigen Monaten stagnieren. "An diesem Trend wird sich im Laufe des Jahres 2017 auch wenig ändern", prognostiziert Stefan Bratzel, Branchenexperte an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Mit Rabatten und eben auch mit günstigen Krediten werde oft gegengesteuert. Sollte es vermehrt zu Ausfällen und weniger neuen Kreditabschlüssen kommen, träfe das die Autobauer hart. Mit ihren Finanzsparten, ähnlich deutschen Autobanken, vergeben sie Bloomberg zufolge etwa die Hälfte aller Autokredite, gleichzeitig stehen sie hinter drei Vierteln der Darlehen an bonitätsschwache Subprime-Kunden. "Die Autoindustrie ist ausgerichtet auf volle Kapazitätsauslastung. Ein Einbruch auf dem Kreditmarkt wäre fatal und würde sich sehr bald deutlich auf die Arbeitsmarktlage auswirken", so Winterhoff von Roland Berger.

Können höhere Ausfallraten bei Autodarlehen auf andere Kreditmärkte überschwappen?

Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen den US-Autokrediten und anderen Verbraucherkrediten, außer dass teilweise dieselben Banken involviert sind. Ähnlich wie Immobilienkredite werden Konsumentenkredite aber gebündelt, neu verpackt (Verbriefung) und als neue Produkte weiterverkauft. Höhere Ausfallraten bei Autokrediten können dadurch auch bei Instituten landen, die nichts mit der Autoindustrie zu tun haben. Morningstar-Analyst Plunkett rechnet daher mit Problemen und Geschäftsaufgaben vor allem bei kleineren spezialisierten Instituten, die "mit aggressiven Preisangeboten den Markt aufgewirbelt haben" und nun vor einem Berg an Subprime-Krediten stünden. Berger-Partner Winterhoff beruhigt: ,,Einige Autobauer haben der laxeren Kreditvergabepraxis Einhalt geboten und zumindest eigene Finanzdienstleister angehalten, die Kreditprüfungen strenger zu handhaben."

Welche Risiken haben Autokredite mit US-Häuserkrediten 2007 gemein?

Auf beiden Märkten war damals (US-Immobilien) und ist heute (Autokredite) ein steigender Anteil an Darlehen für Schuldner mit schlechterer Bonität zu beobachten. Damals wie heute werden steigende Zinsen erwartet, was klammere Kreditnehmer härter trifft als liquide. Allerdings war der US-Hypothekenmarkt damals um wenigstens das Zehnfache größer als der US-Autokreditmarkt heute. Vor dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im Zuge der Immobilienkrise waren Experten zufolge rund ein Fünftel aller Häuserkredite minderer Qualität, knapp zehn Prozent der Häuserkredite sind im ersten Schub notleidend geworden. Die Ausfallzahlen am Auto- und Verbraucherkreditmarkt liegen mit ein bis zwei Prozent deutlich niedriger. Zu einer negativen Veränderung der Verhältnisse käme es, wenn sich in den USA die Konjunktur und Jobsituation verschlechtern.

Kann sich ein Abwärtsszenario wie damals also wiederholen?

Die Häuserkredite 2007 umfassten häufig den vollen Kaufpreis einer Immobilie oder gingen sogar darüber hinaus. Dahinter stand die Erwartung, dass die Immobilienpreise weiter steigen würden. Auch Verbraucher minderer Bonität spekulierten darauf und hangelten sich so von der günstigen zu teureren Immobilien. Banken lockten sie teils in Kreditverträge, die in den ersten Jahren Tilgungs- und Zinsfreiheit versprachen, dann aber teuer wurden. Als die ersten Kredite ausfielen, folgte eine Abwärtsspirale, bei der die Immobilienpreise unter den Wert der Darlehensbeträge rutschten. Nicht wenige US-Bürger verloren ihr Eigenheim. Da Banken weltweit an der Immobilienspekulation teilgenommen hatten, gerieten einige in Schieflage und mussten vom Staat gerettet werden.

Dieses Szenario kann sich so extrem am Autokreditmarkt nicht wiederholen, meinen Experten bislang. So würden Verbraucherkredite fast immer zu fixen Konditionen vergeben, die Beträge seien auch meist Zehn- bis Zwanzigfach geringer als bei Häuserdarlehen. "Zum anderen kann die Bank das Auto jederzeit als Pfand nehmen und wiederverkaufen, was die Ausfallsumme für die Geldhäuser deutlich reduziert", so Morningstar-Experte Plunkett.

Wie krisenanfällig ist der Markt für Konsumentenkredite allgemein?

Während Immobilienkredite seit der Krise 2007 strenger reguliert sind, können sich die Amerikaner für kleinere Anschaffungen viel leichter verschulden. Die Verbraucherkredite haben der US-Zentralbank Fed zufolge ein Volumen von etwa 3,7 Billionen Dollar erreicht, 30 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Neben den Autokrediten entfällt ein großer Teil auf Studiendarlehen und Kreditkartenschulden. Nach einer Statistik der Deutschen Bank ist jeder US-Haushalt mit rund 12 000 Dollar aus solchen Konsumentendarlehen belastet. Hinzu kommen 34 000 Dollar Hypothekenkredite. Die Teilmärkte gelten damit als beherrschbar und als "nicht systemgefährdend", urteilt selbst Marc Faber. Der Vermögensverwalter und Krisenprognostiker hatte als einer der Ersten Anfang 2007 vor möglichen Pleitefolgen der Subprime-Kredite am US-Immobilienmarkt gewarnt. Heute seien nicht einzelne Märkte das Problem, sondern die Tatsache, dass alle Sektoren und der Staatshaushalt hoch verschuldet sind. "Die Gesamtbelastung ist im Verhältnis zur Wirtschaftskraft der USA um die Hälfte höher als 2007", warnt Faber, dies mache die Lage im Falle von Zinserhöhungen unkalkulierbar.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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