Autohersteller Seat:Inspektion im Morgengrauen

Lesezeit: 6 min

An der Sanierung des Autoherstellers Seat sind schon viele Manager gescheitert, nun versucht es der ehemalige Audi-Vorstand Erich Schmitt - mit Qualitäts-Frühsport.

Michael Kuntz

Die rote Morgensonne taucht auf hinter den Hügeln bei Martorell. Sie scheint durch die Fenster der gläsernen Hauptverwaltung von Seat in dem Industriegebiet an der Schnellstraße A2 bei Barcelona, das nur 35 Kilometer entfernt ist. Es ist 6.56 Uhr. Doch das romantische Bild trügt.

Hier ist die Welt auch zu dieser frühen Morgenstunde keineswegs in Ordnung. In der Chefetage wird schon gearbeitet - und es gibt gute Gründe für einen zeitigen Arbeitsbeginn. Der Autohersteller im Volkswagen-Konzern hat im ersten Halbjahr nur knapp die Kurve gekriegt und in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres Seat gerade einmal zwei Millionen Euro Gewinn ausgewiesen - ein mageres Ergebnis für die Tochter des größten europäischen Autobauers.

Es scheint eine unendliche Geschichte zu sein: Jahrelang lieferte Seat nichts als Verluste an die Mutter in Wolfsburg, kein Manager schaffte es bislang, die Spanier dauerhaft in einen ordentlichen Gewinnlieferanten umzuwandeln. Und nun steht, nach immerhin acht Millionen Euro Gewinn im Vorjahr, die scheinbar schon fast erfolgreiche Sanierung wieder auf der Kippe.

Ein Hauch von Lamborghini

"In der zweiten Jahreshälfte werden wir uns noch mehr anstrengen müssen", sagt Seat-Chef Erich Schmitt. Im Juni knickte der Automarkt in Spanien um ein Drittel ein. Dass es die Konkurrenten noch ärger erwischte und Seat seinen Marktanteil steigern konnte - es ist für ihn nur ein schwacher Trost.

Schmitt lenkt an diesem Morgen in Martorell eines jener neuen Sportcoupés des Seat Ibiza durch das Werk. Es wird erst im September auf den Markt kommen, mit einem neuen markanten Pfeil-Design, das der ehemalige Lamborghini-Gestalter Luc Donckerwolke dem spanischen Kleinwagen verpasste. Der Seat-Chef fährt um die Ecken zur Halle E 22. Auf dem Weg durchs Werk begegnen ihm ein paar Anzugträger.

Es sind Lieferanten. Schmitt öffnet die Seitenscheibe und kommt gleich zur Sache: Die Oberfläche des Armaturenbrettes im neuen Ibiza soll etwas gröber werden. Autotester hatten Spiegelungen kritisiert. Schmitt erkundigt sich, wie es um die Sache steht. Kann der vereinbarte Termin eingehalten werden? Schmitt führt das Gespräch sachlich und freundlich, aber bestimmt. Die Zulieferer geben alles, um sich problemorientiert und liebenswürdig zu zeigen. Doch man spürt, für sie hat dieser Tag nicht gut begonnen. Es ist 7.20 Uhr.

Dann geht es in die Halle zum Meisterbock. Das ist das Ur-Modell eines Autos, sozusagen der Maßstab für die Fertigung. Die Karosserie ist aus Aluminiumteilen aufgebaut in einem festen Gestell - alles passt und nichts bewegt sich, was nicht beweglich sein soll. Das Auto muss steif, aber spannungsfrei zusammen gebaut sein. Schmitt macht hier jeden Morgen Station und Inspektion, wenn er nicht gerade verreist ist.

Ein Auto besteht aus etwa 4000 Teilen, und die wichtigsten werden am Meisterbock diskutiert - von Seat-Ingenieuren und Managern ihrer Lieferanten. Da stehen dann 20 bis 30 Männer im Kreis. 200 Teile sind sie bisher durchgegangen. "Der Meisterbock ist die Theorie, die Fertigungslinie ist die Wahrheit", sagt Schmidt und weil das so ist, führt ihn die morgendliche Runde stets auch an das Fließband. Schmitt, 60, hat diese Art von täglichem Qualitäts-Frühsport eingeführt, als er im Oktober 2006 Chef des einzigen spanischen Autoherstellers wurde.

Meisterbock-Runde am frühen Morgen

Schmitt hat sich das abgeschaut. In Ingolstadt erschreckte der heutige Konzernchef Martin Winterkorn seine eingespielte Mannschaft einmal die Woche auf mit einer Meisterbock-Runde am frühen Morgen. Seat machte damals viel von sich reden - meist wegen großer Probleme mit der Qualität seiner Autos. Nicht zuletzt deshalb hat Winterkorn mit Schmitt einen seiner besten Manager nach Barcelona entsandt.

Seit 1992 arbeitet er nach Stationen bei General Motors in Deutschland und Großbritannien für die VW-Tochter Audi. Er war im Vorstand in Ingolstadt für den Einkauf zuständig. Vor allem aber baute er das äußerst erfolgreiche China-Geschäft bei Audi auf, und so eilte ihm ein Ruf wie Donnerhall voraus, als er bei Seat antrat.

Schmitt liebt die Nähe zum Objekt nicht nur am Meisterbock und in der Fabrik. Anders als seine Vorgänger zog er mit der Familie in die Nähe der katalanischen Kleinstadt Martorell (26 000 Einwohner) und beginnt nun nach zwanzig Minuten Autofahrt spätestens um sieben Uhr die Arbeit in einem Land, wo nach spätem Abendessen die meisten erst um neun Uhr ins Büro kommen.

Am schwierigen Job von Schmitt bei Seat versuchten sich schon einige Manager vergeblich. Die bekanntesten sind Bernd Pischetsrieder, der später dennoch Konzernchef wurde, und Utz Claassen, der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Stuttgarter Energiekonzerns EnBW. Er ist Finanzchef von Seat gewesen.

"Strategische Voraussicht"

Die Geschichte des einstigen Staatsunternehmens Seat verlief alles andere als ruhmvoll. Den spanischen Autohersteller gibt es seit 1950. Die Sociedad Española de Automóviles de Turismo, S.A. ("Spanische Gesellschaft für Pkw") wurde gegründet vom staatlichen Industrieinstitut. Es hielt die Mehrheit. Banken des Landes waren beteiligt und auch Fiat mit sieben Prozent. So kam es, dass jahrelang vor allem vereinfachte und veraltete Modelle des italienischen Konzerns produziert wurden. Das ging nicht gut.

In Spanien waren alle froh, als die marode Automarke im Jahr 1986 von Volkswagen übernommen wurde. Von "richtiger strategischer Voraussicht" spricht VW-Aufsichtsratsvorsitzender Ferdinand Piëch in seiner Autobiographie bei dieser Entscheidung. Doch die weitere Geschichte von Seat liest sich bei Piëch nicht gerade wie eine Erfolgsstory. Seat sei ohne ordentliches Controlling geblieben. Das habe sich 1993 von Monat zu Monat deutlich herausgestellt. "Zu den schlichtweg falschen Buchwerten kam ein dramatischer Absatzeinbruch." Riesenverluste noch aus dem Vorjahr seien bei Seat-Töchtern, also VW-Enkeltöchtern, geparkt gewesen - versteckt vor den Wolfsburger Kontrolleuren.

Im Sommer 1993 überraschte Seat mit einem Minus von 1,8 Milliarden Mark. Das war nicht alles. "Als sich die Wirtschaftsflaute Mitte 1993 massiv ausbreitete, hatte Seat ungefähr doppelt so viele Leute, wie es tatsächlich brauchte." Überdies sei die Fabrik Martorell verheerend angelaufen.

"Ein Teil der Autos konnte schon wegen schwerer Mängel nicht ausgeliefert werden, ganz abgesehen davon, dass sie am Markt keinen Platz hatten", schreibt Piëch. Drei Möglichkeiten habe es gegeben: "die Marke Seat völlig auszulöschen, die Hälfte der Anlagen zu schließen oder die Belegschaft zu halbieren".

Mehr Emotion

Der Chefposten bei Seat ist also kein leichter Job selbst für einen so erfahrenen Mann wie Schmitt. Sein Motto: "Wir machen Topprodukte in Topqualität zu für unsere Kunden erreichbaren Preisen. Nun fügen wir noch mehr Emotion hinzu." Sagt Schmitt und gibt ein wenig kräftiger Gas im Ibiza-Coupe.

Er erneuert die ganze Modellpalette und hat dafür ein Entwicklungszentrum eingerichtet, wo alle Beteiligten so kreativ kommunizieren können wie kaum anderswo in der Industrie. Bis zum Jahr 2018 soll die Zahl der Modelle von acht auf 16 und die der produzierten Autos von 400.000 auf 800.000 verdoppelt werden.

Dabei beschreitet der Manager auch originelle Wege, "smart investieren" nennt er das. So wird in Martorell gerade ein Fließband aufgebaut. Es stammt aus Ingolstadt. Audi baute darauf bis vor kurzem seine Limousine A4, von der es jetzt einen Nachfolger gibt. Schmitt ließ das alte Modell weiterentwickeln. Seat-Designer gestalteten Front und Heck neu.

Instrument und Innenraum wurden erneuert. Die Käufer dieses neuen Seat Exeo werden vom kommenden Frühjahr an ein Produkt mit bewährter Technik bekommen, in einer Fahrzeuggröße, die Seat bisher nicht im Angebot hat. Audi-Qualität zum Seat-Preis, das funktioniert mit anderen Materialien in Martorell, aber den hohen Standards in Ingolstadt. Nicht umsonst steht im Dachgeschoss der Halle mit dem Meisterbockhalle ein Audi als Referenzobjekt.

Seat tut sich nicht leicht im konzerninternen Wettbewerb etwa mit Skoda, der tschechischen VW-Tochter, die mit geräumigen und praktischen Autos sehr erfolgreich ist, auch wenn sie derzeit mit der starken Währung ihres Landes zu kämpfen hat. Doch ein Plus haben die Spanier - sie sind in einem wichtigen Punkt die attraktivste Marke im VW-Konzern. Seat hat die jüngsten Kunden. Sie sind in Deutschland 44 Jahre alt, in Spanien sogar nur 35 und damit fast in dem Alter jener Generation, die in der Werbung so gern gezeigt wird.

Weg von Audi

Wenn der Markt so schwach bleibt wie im Juni, dann allerdings wird Schmitt noch einmal kräftig an der Kostenschraube drehen müssen. Dabei wird er die 24.000 Mitarbeitern nicht verschonen können. "Auch unsere Belegschaft wird einen weiteren Beitrag zur Senkung der Kosten leisten müssen."

Früher gehörte Seat innerhalb des VW-Konzerns zu Audi, was in Ingolstadt schon immer als etwas unglücklich empfunden wurde, weil das Wohl von Seat doch stark von den Plattformen des Polo sowie des Golf abhing und damit eine enge Symbiose mit der Marke Volkswagen bestand. Den Traum von Audi plus Seat plus Lamborghini als sportlicher Markengruppe innerhalb des VW-Konzerns beendete Winterkorn, als er zu Beginn vorigen Jahres Chef in Wolfsburg wurde.

Neuerdings dürfen die Audi-Vorstände um ihren Vorsitzendern Rupert Stadler sich ganz auf die Erfolge der eigenen Marke und die Entwicklung von Lamborghini konzentrieren, ohne die immer noch missliche Situation bei Seat erklären zu müssen. Das machen die VW-Manager nun selbst.

Bei der Vorlage der Halbjahreszahlen, die in dieser Woche den Aktienkurs von Volkswagen beflügelten, gab sich Konzernvorstand Hans Dieter Pötsch zuversichtlich, dass Seat auch im gesamten Jahr ein positives Ergebnis einfahren werde. Das wäre dann übrigens auch noch im Plan. Schmitt war es gelungen, die Ertragswende ein Jahr früher hinzubekommen als erwartet. Er sieht die Chance für Seat im Trend zu kompakteren Autos: "Wir profitieren vom Zwang zum Sparen. Der Wechsel auf ein kleineres, aber schönes Auto ist kein sozialer Abstieg." Zumindest die Menschen in Ballungszentren werden begreifen, was er meint: "Ich stehe mit einem Kleinwagen in Barcelona auch im Stau, finde aber anschließend einen Parkplatz."

So wie mit dem Meisterbock am Anfang aller Bemühungen um eine bessere Qualität, so hat Seat auch am Ende der Produktion bestmöglich vorgesorgt. Viele der fertigen Autos parken im Werk Martorell unter dicken Hagelnetzen. In Spanien herrscht eben ein raues Klima - in jeder Hinsicht.

© SZ vom 26.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: