Auszubildende:Jung, und doch zu alt

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Mit Herzblut bei der Sache zu sein reicht oft nicht: Viele Unternehmen legen bei der Auswahl ihrer Auszubildenden Wert auf gute Zeugnisnoten. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Die Unternehmen stellen an Azubis immer höhere Anforderungen. Kritiker halten die Auslese für grotesk. Doch manche Kandidaten wachsen über sich hinaus.

Von Korbinian Eisenberger, Berlin

In seinem Beruf trägt Sandro Eippert Handwerkerkleidung, doch an diesem Abend hat er den Overall gegen einen Anzug ausgetauscht. Im Stimmengewirr eines Festsaals muss der Thüringer sich eine ruhige Ecke suchen, damit man ihn durchs Handy versteht. "Meine Freunde wussten vorher auch schon, dass ich nicht dumm bin", sagt er dann. Vorher, damit meint Eippert die Zeit, als das Ergebnis seiner Abschlussprüfung noch offen war. Als noch nicht bekannt war, dass er seine Ausbildung zum Produktionsmechaniker Textil mit der Bestmarke von hundert Punkten abschließen werde und er sich den Titel des besten Azubis Deutschlands sichern sollte.

Die Ehrung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) war auch in ihrer zehnten Auflage eine Art Schaulaufen der deutschen Azubi-Elite. Heiko Maas, Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, überreichte auf der Gala am Montagabend in Berlin Urkunde und Pokal. 230 von mehr als 320 000 Prüfungsteilnehmern hatten eine Einladung bekommen, die jeweils punktbesten aus 221 Berufen. Von den 90 Frauen und 140 Männer stammen die meisten aus Bayern (49), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (42) und Baden-Württemberg (37). Zwei von ihnen erreichten den Spitzenwert von maximal von hundert Punkten: Eine Verkäuferin aus Sachsen-Anhalt und der Thüringer Eippert. "Wir würdigen Ihren Erfolg auch, um andere anzuspornen", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Am Ansporn, sagt Eippert, habe es ihm eigentlich nicht gemangelt. Und dennoch war der Weg für den Thüringer beschwerlicher, als man es von Deutschlands bestem Azubi vielleicht vermuten könnte. Der 35-Jährige zählt zu jener Kategorie Azubis, die lange genau das Gegenteil eines Überfliegers waren. Eippert erzählt davon, wie er sich noch bis kurz vor seiner Ausbildung von einem Job zum nächsten hangelte, mal Plastikkanten an Schulpulte goss, Altpapier sortierte oder in einer Schokoladenfabrik aushalf. "Da wollte mich aber niemand ausbilden", sagt Eippert, der nach Abitur und Zivildienst ein Medientechnikstudium begonnen hatte und an Mathematik gescheitert war. "Die meisten Chefs hatten nach dem Studium ein Problem mit meinem Alter", sagt Eippert.

"Teilweise ist es fast wie im Medizinstudium", sagt ein Arbeitsmarktforscher

Tatsächlich legen Betriebe darauf Wert, Lehrlinge möglichst sofort nach der Schule einzustellen. "Wir leben in einer jugendorientierten Gesellschaft, die selbst altert", sagt Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch, Geschäftsführender Direktor am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Fast schon grotesk sei das, sagt Bosch. Unter den 1,2 Millionen 20- bis 35-Jährigen gebe es viele, die eigentlich höchst geeignet wären. "Oft werden selbst Bewerber mit spannenden Lebensläufen aussortiert, weil sie einer Firma schon zu alt sind", sagt Bosch.

Eine ähnlich Erfahrung machte Kristina Gerber, 25, ebenfalls hundert von hundert möglichen Punkten, Deutschlands bester weiblicher Azubi. Sie trägt ein feines Samtkleid. Die Auszeichnung sei für sie "völlig überraschend" gekommen. Drei Jahre lang hatte sie jedes Jahr mehrere Dutzend Bewerbungen verschickt und ausschließlich Absagen bekommen. "Es war schwierig, weil ich mein Abitur nicht geschafft hatte", so Gerber. Wegen schlechter Mathenoten hatte sie die Zulassung zur Abschlussprüfung verpasst. Mit ihrem lückenhaften Lebenslauf wurde es dann immer schwieriger. Schließlich fand sie eine Stelle, und konnte ihre Verkäufer-Lehre beginnen.

Dass sich Fälle wie diese häufen, befindet Bosch als "höchst problematisch". Viele Unternehmen würden eine reine Bestenauslese nach Zeugnisnoten machen und alle andere Kriterien außen vorlassen. "Teilweise ist es fast wie im Medizinstudium", sagt Bosch. "Das ist eine Auswahl, die an den Stärken vieler vorbei geht." Die Praxis zeige, dass sich ein hoher Anteil an Bewerbern mit schlechteren Noten in der Ausbildung erheblich verbessert.

So wie Eippert. Die Zeiten, in denen ihm die wenigsten zutrauten, überhaupt einmal eine Ausbildungsstelle zu bekommen, sind noch gar nicht so lange vorbei. Als er mit 33 endlich einen Ausbilder fand, den sein Alter nicht störte, hatte er fast schon die Hoffnung aufgegeben. Mittlerweile ist er fest bei dem Kunststoff-Forschungsinstitut angestellt. "Ich überlege jetzt, noch einen Techniker zu machen", sagt Eippert. Zu alt fühle er sich dafür noch lange nicht.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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