Auswanderer in Neuseeland:Glücklich auf der Insel

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Angst vor dem sozialen Abstieg treibt eine wachsende Zahl von Deutschen ins Ausland, doch am anderen Ende der Welt sind längst nicht alle willkommen.

Von Steffen Uhlmann

Was macht man, wenn man Ende 40 ist, einen gut gehenden Bäckereibetrieb mit zehn Angestellten führt und die Arbeit einen auffrisst? Wenn man gerade das elterliche Haus geerbt hat und über ein paar Ersparnisse verfügt? Wenn zwei von drei Kindern schon ihren eigenen Weg gehen, wenn sich die Welt plötzlich nur noch um den kleinen Kirchturm dreht und plötzlich diese Angst da ist: Das soll alles gewesen sein?

Schafherden sind das Synonym für die Ruhe Neuseelands. Eine wachsende Zahl deutscher Auswanderer zieht es dorthin - insbesondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. (Foto: Foto: dpa)

Dann geht man, na klar, zum Psychiater und legt sich auf die Couch, um seine Midlife Crisis zu bekämpfen.

Ingo Diehl aus Hanau hat das nicht gemacht. Er hat für sich und seine Frau ein Ticket gekauft, hat Koffer und Container gepackt, ist in den Flieger gestiegen und nach Auckland geflogen. Schon ein paar mal war er hier in Neuseeland, um in der Ferne auszuspannen. Diesmal aber hatte er eine Annonce dabei, die er in der Zeitung gefunden hatte: "Verkaufe Bäckerei in Hamilton."

Gleichmütig wie eh und je walkt Ingo Diehl den Sauerteig für das Schwarzbrot, als er seine Geschichte erzählt. Er ist jetzt 60 Jahre alt, betreibt in Auckland, Neuseelands Millionenstadt, die wohl einzige deutsche Bäckerei und sagt: "Ich habe doch alles richtig gemacht. Oder, Elena?"

Seine Frau aber schüttelt den Kopf und will sich partout nicht äußern. Das sei, bescheidet sie nur kurz, nun doch eine viel zu lange Geschichte, um sie hier im Laden zu erzählen.

Diehls Bäckerei ist klein, kein Vergleich mehr mit seinem mittelständischen Betrieb in Hanau. Auch die Maschinen und der Ofen sind alt, er hat sie billig in Deutschland gekauft und dann in zwei Containern nach Auckland verschifft.

Keine Angestellten mehr

Diehl hat auch keine Angestellten mehr, er bäckt allein, seine Frau verkauft. Nur zu Stoßzeiten am Freitagnachmittag und Samstag früh, wenn die Leute nach seinen Brezeln, Brötchen und Broten Schlange stehen, haben sie eine Hilfe im Laden.

Diehls Augen leuchten, wenn er von dem neuen Leben erzählt. Von seinem großen Haus am Meer, von den langen Spaziergängen mit Hund am Strand. Immer allein, die Frau will nicht mit und der jüngste Sohn, der anfangs noch mit ihnen in Neuseeland lebte, hat längst eine Ausbildung in einem Londoner Hotel begonnen.

Er selbst hat viel mehr Zeit als früher und keinen Stress mehr. Sein Laden ist sonntags und montags dicht, demnächst will er ihn auch noch dienstags zugesperrt lassen. Jaja, er wisse das, in Deutschland könne er sich das nicht leisten. Da stöhnte sein Handwerk über den ruinösen Wettbewerb.

Unten am Meer, sagt er, kommen ihm mit den Wellen immer wieder die gleichen Gedanken: "Ich habe es schön, ich will nicht zurück." Bäcker Diehl ist längst kein Einzelfall mehr. "Ich liebe Schafe", sagt etwa Auswanderer Michael Herrmann. "Aber muss ich deswegen in einer Herde leben?"

Auf gepackten Koffern

Viele Deutsche sitzen inzwischen auf gepackten Koffern, seit sich die Wirtschaft nicht aufhellen will und die Angst vor Arbeitslosigkeit und Hartz VI um sich greift. Deutschland erlebt einen Exodus wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Mehr als 110.000 Deutsche verlassen jährlich offiziell und für immer das Land. Die Dunkelziffer der Auswanderer aber ist weit höher, weil sich die meisten Emigranten erst Jahre später oder gar nicht in Deutschland abmelden, um ihre Ansprüche aus der Renten- und Sozialversicherung nicht aufs Spiel zu setzen.

Umfragen zufolge will mindestens jeder Fünfte unter den Abwanderern im Ausland noch einmal beruflich und privat neu anfangen. Nicht mal jeder Zehnte dagegen sehnt sich nach Müßiggang im Häuschen unter der Palme in der ewigen Sonne. So machen sich vor allem Junge und Junggebliebene auf den weiten Weg, um ihre zweite Chance zu suchen.

Dafür aber sei Neuseeland nahezu optimal, sagt Peter Hahn, 42. In der Hauptstadt Wellington hat er sich als Immigrationsberater selbständig gemacht. Nirgendwo in der westlichen Welt, so Hahn, gebe es so viele small businesses wie auf den beiden neuseeländischen Inseln.

85 Prozent aller Firmen hätten nicht mehr als fünf Angestellte. Geschäfte würden häufig genug noch per Handschlag gemacht. Das gelte nicht zuletzt auch bei der Einstellung neuer Mitarbeiter.

18.000 Kilometer Küste - türkisfarbenes Wasser und goldene Strände - auch das ist Neuseeland. (Foto: Foto: dpa)

Statistiken und Untersuchungen geben Hahn recht. Firmengründung und Geschäftsabwicklung sind vergleichsweise unkompliziert. So braucht in Neuseeland ein Investor ganze zwei Tage zur Gründung einer neuen Firma (Platz drei nach den USA und Australien), in Deutschland sind es nach einer Untersuchung der Unternehmensberatung A.T.Kearney weit über 40 Tage.

Stetig verschärft

Dennoch warnt Hahn, der seit über einem Jahrzehnt fest in Neuseeland lebt, vor Euphorie. Zwar ist "Aotearoa", das Land der weißen Wolke, mittlerweile eines der beliebtesten Auswanderungsländer überhaupt. "Doch das wissen inzwischen auch die Behörden", sagt der Rechtsanwalt. Die Regierung habe darum Einwanderungsrecht und Immigrationsbestimmungen stetig verschärft.

Neuseeland ist im Wandel. Auf den beiden großen Inseln, die zusammengenommen fast der Fläche Deutschlands entsprechen, leben nicht einmal vier Millionen Menschen, dafür zehnmal so viele Schafe, ferner Millionen von Rindern und Ziegen.

Doch die Wirtschaft, deren Rückgrat immer noch Fleisch-, Milch- und Wollproduktion ausmacht, wird vielfältiger. Biotechnologie, Bauindustrie oder das Handwerk wachsen inzwischen fast schneller als die Landwirtschaft. Spätestens seit dem America's Cup im Segeln und dem Oscar-Abräumer "Herr der Ringe" ist das schönste Ende der Welt auch in den Fokus großer Konzerne, Banken und Dienstleistungsfirmen geraten.

Die Filmindustrie ist zur Boombranche Nummer eins im Lande aufgestiegen. Aucklands Hafen, mitten in der Stadt gelegen und früher einsamer Ankerplatz heimischer Fischkutter, mutierte zu Neuseelands schickster und teuerster Flanier-, Kneipen- und Shoppingmeile.

Gute Wirtschaftsdaten

"Früher", sagt Hahn, "verließen die Wirtschaftseliten das Land und gingen nach Australien, nach Genf, London oder gleich in die USA." Heute aber komme ein Teil von ihnen zurück. Und der Nachwuchs bleibe gleich da, um in der Heimat ein Geschäft zu beginnen. Positive Folge ist ein Wirtschaftswachstum zwischen drei und vier Prozent, das Neuseeland seit einigen Jahren zu verzeichnen hat. Die Arbeitslosigkeit dagegen stagniert bei unter fünf Prozent.

Den Weg zum Wachstum eröffnete einst der Radikalreformer David Lange, der vor rund 20 Jahren als Labour-Parteichef und Premierminister dem Lande eine Rosskur in Sachen Neoliberalismus verordnet hat. Das hat ihn die Karriere gekostet, der bis dahin stark regulierten Gesellschaft aber bald auch den konjunkturellen Aufschwung gebracht.

So ist nicht nur der Wert des Neuseeland-Dollar immens gestiegen, mittlerweile wachsen auch die Touristenzahlen mit den Immobilienpreisen um die Wette.

Die Lage am Arbeitsmarkt ist skurril. Nicht wenige heimische Unternehmen stöhnen, dass es an geeignetem Nachwuchs fehlt, um weiter investieren zu können. Doch die Einwanderungsbehörde verhindert den schnellen Zuzug ausländischer Fachkräfte.

"Statt Zuwanderungskriterien klar zu definieren, sammeln die Behörden nun einfach Anträge über eine gewisse Zeit und suchen sich dann die besten heraus", sagt Immigrationsberater Hahn. Auch für ihn ist das Verfahren bisweilen undurchsichtig.

Grundlage ist ein Punktesystem, mit dem Kriterien wie Ausbildung, Jobangebot in Neuseeland und Berufserfahrungen bewertet werden. Dabei, so Hahn, stünden bestimmte Qualifikationen ganz weit oben auf der Wunschliste, etwa junge qualifizierte Einwanderer aus der Bio- und Computertechnologie.

Auch solide ausgebildete Handwerker mit guten Englischkenntnissen können sich nach Meinung des Ex-Anwalts in den Wettbewerb um die jährlich 45.000 begehrten Einwanderungs-Tickets einreihen.

Keine Erfolgsgarantie

Eine Erfolgsgarantie aber gebe es nicht. "Es sei denn, man bringt rund eine Million NZ-Dollar als Startkapital mit", rechnet Hahn vor. "Millionäre sind auch in Neuseeland hochwillkommen." Eine Million NZ-Dollar, das sind 500.000 Euro.

Anja Gallas hat keine Million, sondern nur Neugier und Abenteuerlust mitgebracht. Das aber war ihre Eintrittskarte für das ferne Auswanderungsparadies.

Seit viereinhalb Jahren lebe sie nun schon mit einem chaotischen Kiwi zusammen, sagt die 32-jährige Fotografin aus Berlin. Es geht ihr gut dabei. Gallas, aufgewachsen in Ostberlin, war kurz vor dem Mauerfall via Budapest in den Westen geflohen. Später jobbte sie in Israel, dann in Australien - bis sie in Neuseeland strandete.

Anderthalb Jahre hat sie sich in Auckland mühselig mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Dann aber kam der Durchbruch mit Familienfotos. Inzwischen hat sie sich als Hochzeitsfotografin einen Namen gemacht und kann gut davon leben.

Nur halb so teuer wie in Berlin

Freilich ist das Leben in Neuseelands einziger Millionenstadt alles in allem etwa nur halb so teuer wie in Berlin. Fernab der wenigen Städte wird es noch billiger. So kommen die Neuseeländer mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 35.000 NZ-Dollar (rund 18.000 Euro) aus. Gerade das sei ein Vorteil für viele Immigranten, sagt Gallas. "Schließlich kommen hier bei weitem nicht nur Millionäre und betuchte Rentner her."

Vor allem Ostdeutsche wie Anja Gallas lockt das ferne Inseldasein. Ex-Anwalt Hahn, der gleich nach der Wende in den Osten Berlins zog, um dort für eine Westberliner Anwaltskammer eine Dependance aufzubauen, bekommt es jedenfalls in Neuseeland zunehmend mit seiner Nachwende-Klientel zu tun.

Immer mehr junge Ostdeutsche versuchten auf den beiden Inseln ihr Glück, sagt Hahn achselzuckend. "Kein Wunder", findet er, "bei den vielen Arbeitslosen."

© SZ vom 04.09.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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