Aussteiger:Genug gearbeitet!

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Chao war Berater bei McKinsey, verdiente ein sechsstelliges Jahresgehalt und flog nur Business Class. Doch eines Tages schmiss er alles hin.

Charlotte Frank

Er redet von seinem "Leben bei McKinsey", das er aufgegeben hat, nicht von seinem "Job". Sechs Jahre lang hat Goeth-Chi Chao im Chicagoer Büro der Unternehmensberatung "McKinsey and Company" gearbeitet - sechs Monate lagen noch vor seiner Beförderung zum Junior Partner.

Damals war er 29 Jahre alt und selbst für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich erfolgreich. "Irgendwie ging alles sehr schnell - der Anfang und das Ende."

Der 32-Jährige sitzt in einem Café in Hamburg und zieht Bilanz. Er spricht hastig, mit einem kleinen amerikanischen Akzent sprudelt seine Geschichte aus ihm heraus: Wie er als Kind mit seinen Eltern von Taiwan nach Deutschland zog.

Wie er nach dem Abitur Europäische Wirtschaft in Bamberg studierte und noch vor dem Diplom ins Förderprogramm von McKinsey aufgenommen wurde. Wie er gleich nach dem Studium in Chicago anfangen konnte. Und wie er später alles hinschmiss.

Sechsstelliges Jahresgehalt, Sterne-Hotels, First-Class-Flüge

In Chicago begann Chaos "Leben bei McKinsey". Anfangs erschien es ihm wie ein schöner, spannender Traum. Nach eigenen Angaben berät die Firma in den USA zwei Drittel der 1000 größten Unternehmen.

Das garantierte ihm gleich zu Beginn ein sechsstelliges Jahresgehalt, Sterne-Hotels, First-Class-Flüge und prominente Projekte. "Durch all das wurde der Job sehr attraktiv", sagt Chao und lacht, wie so oft.

Das alles führte aber auch dazu, dass mehr als fünf Stunden Schlaf für den jungen Unternehmensberater zur seltenen Ausnahme wurden - genau wie Zeit für Freunde, Hobbys oder ein Tag ohne ein paar Stunden im Flugzeug. "Du musst jederzeit alles geben", sagt Chao. "Alles" hieß für ihn damals auch: Freizeit, Privatleben, Feierabend.

Eine Zeitlang machte die Karriere das wett. "Aber irgendwann merkte ich, dass ich mein Leben für den beruflichen Erfolg völlig aus der Hand gegeben hatte", sagt er. Der junge Mann ist jetzt nicht mehr fröhlich, sein Blick verliert sich einen Moment lang im Hamburger Regen, der wütend gegen das Fenster prasselt.

Sein Privatleben fand nur noch am Wochenende statt. Chao zog die Notbremse. Er kündigte bei McKinsey, gab alles auf, was er dort erreicht hatte. "Es war kein Burn-Out und keine Sinnkrise", betont er. Es war die ganz bewusste Entscheidung, wieder selbstbestimmt zu leben. Sein Vater erklärte ihn für verrückt. Seine Vorgesetzten beschworen ihn, die Entscheidung zurückzunehmen.

Aber Chao wollte nicht mehr. Er ließ die zweimonatige Suchzeit, die McKinsey ihm gewährte, einfach verstreichen. Erstmal hatte er nur ein Ziel: "Ich wollte nachholen, was ich die letzten Jahre verpasst hatte."

Verlorene Zeit lässt sich nicht wieder einholen, das war ihm klar. Aber man kann ein bisschen von dem Leben nachholen, das man in dieser Zeit ausschließlich in Arbeit investiert hat.

Er reiste zunächst mit seiner Freundin nach Italien, dann zu seiner Familie in Deutschland. Der räumliche Abstand war ihm wichtig: "Zu Hause hätte ich mich nicht so leicht umstellen können", glaubt Chao. Zurück in den USA belegte er einen Fotokurs und streifte tagelang mit der Kamera durch die Stadt. Er nahm Tanzstunden und spielte fast täglich Squash.

"Manchmal verbrachte ich ganze Tage mit einem guten Buch im Café", erzählt er. Er fing wieder an, alten Freunden Briefe zu schreiben und besuchte Museen. Er hatte damals fast vergessen, wie sich manche Alltäglichkeiten anfühlen. Einer Freundin beim Umzug helfen, zum Beispiel. Oder morgens ausschlafen.

Als er nach einem halben Jahr seiner Schwester zu Weihnachten einen langen Winterschal gestrickt hatte, hatte er genug Leben nachgeholt. Er suchte wieder einen Job - und hatte fünf Wochen später Angebote vorliegen. Chao entschied sich für einen Managerposten bei der Einzelhandelskette Target. "Ich habe geregelte Arbeitszeiten und muss fast nie reisen", sagt er.

Schon nach ein paar Monaten wurde er wieder befördert. "Ich gebe jeden Tag mein Bestes", meint er. Der Unterschied ist nur: Heute bedeutet Luxus für den jungen Manager nicht mehr, im Fünf-Sterne-Hotel zu übernachten.

Luxus, das bedeutet heute für ihn: Abends um 17 Uhr mit einem Freund ein Glas Wein trinken zu können. Oder ein paar Stunden in einem Hamburger Café zu sitzen und in den Regen zu blicken. Ohne auf die Zeit zu achten.

© SZ Primetime vom 5. Januar 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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