Atomstrom:Die Kernkraft kehrt zurück

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Die Atomindustrie profitiert von einer Renaissance der Nuklearenergie: Finnland bestellt einen Reaktor der dritten Generation, Frankreich ersetzt alte Anlagen durch einen neuen Typ und China verfünffacht seine Produktion.

Von Gerhard Bläske

Die Atomindustrie wittert Morgenluft. Vor allem aus Asien, einigen Schwellenländern, aus Osteuropa und vielleicht sogar aus den USA sieht die Branche eine Renaissance der Nuklearenergie heraufziehen. Der hohe Ölpreis und die Diskussion um CO2-Ausstoß und Klimawandel tun ein Übriges dazu.

Die mächtige französische Atomlobby hat dafür gesorgt, dass die Atomenergie auch in den nächsten 30 Jahren und darüber hinaus die dominante Rolle in der Energie-Versorgung des Landes spielen soll. Die Weichen dafür werden durch den baldigen Bau eines Reaktors der dritten Generation, des mit Siemens entwickelten EPR, gestellt.

Druckwasser-Reaktoren dieses Typs sollen ab etwa 2018 sukzessive die derzeit 58 Anlagen ersetzen. Areva, der weltweit größte Nuklearkonzern aus Frankreich, plant außerdem in Südfrankreich die Errichtung einer riesigen, neuen Anlage zur Urananreicherung für rund drei Milliarden Euro.

Das Unternehmen, das in erster Linie von Wiederaufarbeitung (La Hague), der Erneuerung und Wartung von Anlagen sowie der Uranförderung- und -anreicherung lebt, hat längere Zeit nicht mehr am Bau neuer Anlagen mitgewirkt.

Insofern hatte der kürzlich erfolgte Auftrag aus Finnland für die Errichtung des weltweit ersten EPR-Reaktors "Symbolwert für die Renaissance der Atomenergie", findet Arthur de Montalembert, bei Areva stellvertretender Chef des internationalen Geschäfts.

Die Impulse für den Bau neuer Atomkraftwerke sollen vor allem aus Asien kommen. China will seine nukleare Energieproduktion innerhalb von 15 Jahren verfünffachen. Der Energiemangel im Reich der Mitte ist eklatant.

Montalembert sieht gute Chancen, dass sein Unternehmen, das bereits Anlagen in China entwickelt hat, bei der demnächst erwarteten Ausschreibung von acht neuen Atomkraftwerken zum Zuge kommt. Einen Ausbau der Atomenergie planen außerdem Japan, das bereits über 52 Kraftwerke verfügt, Taiwan, wo zwei Reaktoren im Bau sind, Südkorea und möglicherweise Thailand.

Russland will die nukleare Stromproduktion verdreifachen

Daneben setzen Indien und Pakistan sowie eventuell wieder Brasilien auf Kernkraft. In Osteuropa haben Russland, Litauen, Slowenien, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Bulgarien Atomkraftwerke.

Der Bau neuer Anlagen scheitert meist am Geldmangel. Nur Russland hat ein ambitioniertes Programm und will die nukleare Stromproduktion innerhalb von fünf Jahren verdreifachen.

In Litauen rechnet sich Areva Chancen aus, sollten die zwei bestehenden Reaktoren des Tschernobyl-Typs durch neue ersetzt werden. Montalembert hofft auch auf eine Ausschreibung für ein neues KKW in Bulgarien.

In West-Europa sieht das Bild für die Branche weniger positiv aus, gesteht er ein. Dabei kassiert die Branche Milliardensubventionen für Forschung und die Europäische Union befürwortet einen höheren Anteil der Nuklearenergie "als Beitrag zu höherer Versorgungssicherheit, besseren Klimaschutz und Nachhaltigkeit".

Belgien folgte dem Beispiel des deutschen Atomausstiegs, Spanien kündigte einen ähnlichen Schritt an, Österreich und Italien haben gar keinen Atomstrom und auch Schweden hat prinzipiell einen Ausstieg beschlossen.

Allerdings wollen sich der italienische Energiekonzern Enel und deutsche Energieversorger am französischen EPR beteiligen. Montalembert glaubt, in Europa und in den USA einen Bewusstseinswandel zu erkennen, den er auf die Diskussionen um CO2-Ausstoß und Klimawandel sowie den steigenden Ölpreis zurückführt. "Die Vorteile der Atomenergie sind in Westeuropa kein Tabuthema mehr, der Wind dreht sich", freut er sich.

Eine Schlüsselrolle könnte nach seiner Ansicht der US-Markt spielen, wo 103 der weltweit 440 Atomkraftwerke stehen. Die Verlängerung der Lebenszeit amerikanischer Anlagen von 40 auf 60 Jahren bescherte Areva Rekordaufträge.

"Wir haben noch nie so viele Exportaufträge gehabt wie jetzt", sagt Jean-Pierre Durski, Direktor der Areva-Fabrik in Chalon-sur-Saone, wo die riesigen Metalltanks und Dampferzeuger für die Erneuerung der US-Anlagen produziert werden. Montalembert hofft, in einigen Jahren Aufträge für neue Anlagen aus den USA zu erhalten.

Vor einigen Monaten waren hochrangige Experten aus den USA in der Wiederaufarbeitungsanlage von La Hague, um sich über die in den USA seit dem Jahr 1976 verbotene Wiederaufarbeitung von Kernbrennstäben zu informieren.

© SZ vom 16. August 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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