Assekuranz:Die Steigerung von schrecklich

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Sinkende Aktienkurse und niedrige Zinsen haben die Versicherungskonzerne hart getroffen

Von Martin Reim

(SZ vom 07.08.2003) — Ein "annus horribilis" - lateinisch für: schreckliches Jahr - sei 2001 gewesen, sagte der damalige Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle.

Für die Beschreibung der Geschehnisse im Jahr 2002 war Schulte-Noelle, inzwischen Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns, allerdings mit seinem Latein am Ende.

Es gebe keine sinnvolle Steigerung des zuvor verwandten Begriffs, erklärte er jüngst vor Managern und nahm mit einer Beschreibung auf Deutsch vorlieb: "Es war das schwierigste Jahr in der jüngeren Geschichte der Allianz."

Der Marktführer verbuchte erstmals in der Nachkriegsgeschichte einen Verlust. Mit einem Minus von 1,2 Milliarden Euro traf es die Allianz schlimmer als die meisten anderen Konkurrenten. Kein Wunder: Der zweitgrößte Versicherungskonzern der Welt hatte sich durch die Übernahme der Dresdner Bank auch noch die Probleme in deren Branche ins Haus geholt (siehe nebenstehender Beitrag).

Doch ging es der Allianz nicht allein durch eigene Fehler so schlecht, vielmehr betrafen die meisten Schwierigkeiten den gesamten Wirtschaftszweig. Abzulesen ist dies beispielsweise daran, dass die Münchener Rück als zweitgrößter deutscher Branchenvertreter (Marken: Hamburg-Mannheimer, Victoria, DKV) nur deshalb einen Gewinn machte, weil sie Beteiligungen im Milliardenwert verkaufte.

Ramponierte Bilanzen

Besonders schwer litt die Assekuranz unter der Baisse an den Aktienmärkten. Fast alle Unternehmen hatten im Zuge des Booms immer stärker auf Dividendentitel gesetzt - und verloren. Durch den Kursabsturz wurden immense Abschreibungen nötig.

Parallel gingen die Renditen an den Anleihemärkten nach unten, was die Zinseinnahmen verringerte und die Bilanzen zusätzlich ramponierte. Hinzu kam die Jahrhundertflut in Mitteleuropa, die hohe Schadenzahlungen auslöste.

Die historisch seltene Kombination aus niedrigen Aktienkursen und Zinsen - sie dauert in abgeschwächter Form auch 2003 an - trifft die Lebensversicherungs-Sparte besonders augenfällig, weil sie jährliche Ausschüttungen an Kunden ausweisen muss. Und diese gingen 2002 so stark nach unten wie in kaum einem Jahr zuvor - im Schnitt von gut sechs auf weit unter fünf Prozent.

Doch litten andere Versicherungsbereiche ähnlich hart. Anlass genug für die Branche, ihr Geschäftsmodell neu zu justieren. Jahrelang brauchten die Firmen auf Profite im eigentlichen Versicherungsgeschäft nicht zu achten. Selbst wenn die Zahlungen für Schäden und Verwaltung über den Prämieneinnahmen lagen, war das kein großes Problem. Denn die Einnahmen aus den Kapitalanlagen sorgten per saldo für fette Gewinne. Nun müssen die Policen an sich schon lohnend sein.

Die Allianz beispielsweise peilt an, dass alle Sparten schon bis Jahresende auch ohne Erträge aus Kapitalanlagen profitabel sind. Keine größere Umstellung machen muss hingegen die Debeka. Sie hatte fast kein Geld in Aktien investiert und brauchte deshalb kaum etwas abzuschreiben.

Sie hat auch im Neugeschäft beachtlich zugelegt und rückte deshalb um zwei Plätze in der deutschen Rangliste vor. Sie ist damit das einzige Unternehmen, das durch organisches Wachstum, also ohne Zukäufe, nach vorne kam. Die Zürich-Gruppe - sie machte den weitesten Sprung nach oben - schaffte dies nur durch die Übernahme des Deutschen Herold.

Der wichtigste Problemfall unter den Branchenführern, der Gerling-Konzern, wird in künftigen Ranglisten wohl nicht mehr so weit vorne auftauchen wie zuletzt. Die Kölner würden liebend gern einige Konzernteile verkaufen - beispielsweise die Rückversicherung, die weltweit immerhin auf Platz sieben rangiert.

Es hat sich nur noch kein finanzstarker und seriöser Käufer gefunden. Ähnlich erging es in diesem Juli der Mannheimer Leben, einem der mittelgroßen Anbieter in Deutschland: Keiner wollte in das sanierungsbedürftige Unternehmen einsteigen, so dass die Auffanggesellschaft der Branche namens Protektor aktiv werden muss.

Der weitere Jahresverlauf wird zeigen, ob solche Ereignisse die Nachwehen des katastrophalen Jahres 2003 sind - oder eher ein Zeichen dafür, dass die Krise der Branche noch lange nicht zu Ende ist.

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