Arzneimittelverkauf in Drogerien:"Es wird einen intensiven Preiskampf geben"

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Drogerien und Supermärkte drängen in den Arzneimittelverkauf. Unternehmensberater Arnt Tobias Brodtkorb zu Risiken und Nebenwirkungen des Milliardengeschäfts.

Melanie Ahlemeier

Arnt Tobias Brodtkorb (44) ist Managing Partner von Sempora Consulting und gebürtiger Norweger. Er verantwortet den Bereich Health Care. Sempora Consulting ist eine auf marktstrategische Themenstellungen spezialisierte Strategieberatung mit den Branchenschwerpunkten Health Care, Fast Moving Consumer Goods und klassischer Handel sowie Tourismus. Die Unternehmensberatung ist europaweit tätig und betreibt Büros in London und Bad Homburg.

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Schlecker will es, und Rewe auch: Warum ist der Arzneimittelmarkt gerade jetzt so attraktiv für Drogerieketten und Supermärkte?

Arnt Tobias Brodtkorb: Der Markt ist schon länger interessant. Die Situation wird ernster, weil jetzt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes erwartet wird - danach würde das Fremdbesitzverbot entfallen.

sueddeutsche.de: Das heißt?

Brodtkorb: Das Fremdbesitzverbot besagt, dass man als Nicht-Apotheker keine Apotheke besitzen darf. Das gibt es in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern. In Großbritannien zum Beispiel ist das anders: Da kann jeder eine Apotheke kaufen und Apotheker einstellen.

sueddeutsche.de: Ein prominentes Beispiel hierzulande gibt es schon länger - die erste DocMorris-Apotheke in Saarbrücken.

Brodtkorb: DocMorris ist das Fremdbesitzverbot 2006 umgangen, indem die Kette als Kapitalgesellschaft aus den Niederlanden heraus eine deutsche Apotheke gekauft hat. Damals gab es einen großen Aufschrei - aber DocMorris beruft sich auf europäisches Recht. Danach darf eine Kapitalgesellschaft auch in anderen europäischen Ländern Apotheken betreiben. Die Frage lautet, ob Deutschland die bisherige Insellösung verteidigen kann.

sueddeutsche.de: Wie groß ist das Marktpotential?

Brodtkorb: Derzeit werden pro Jahr immerhin rund 35 Milliarden Euro in den deutschen Apotheken umgesetzt. Und die Gewinnmargen im Apothekengeschäft sind deutlich höher als im Lebensmittelhandel und im Drogeriesektor. Zum Problem könnte allerdings die Kostenstruktur werden - Angestellte in Apotheken verdienen weit mehr als das Supermarktpersonal. Auch ist die sogenannte Apothekenbetriebsordnung sehr strikt: Man braucht zum Beispiel ein Labor, einen Safe und eine ganz bestimmte Flächenaufteilung in der Apotheke. Das sind andere Kostenfaktoren als sie ein Schlecker-Markt hat.

sueddeutsche.de: Billigere Medikamente, mehr Service, mehr Beratung - sind das die Kennzeichen der künftigen Drogeriemarkt-Apotheke?

Brodtkorb: Im Bereich der freiverkäuflichen Arzneimittel kann man von einem intensiveren Preiskampf ausgehen.

sueddeutsche.de: Wo sind die Aspirin-Tabletten künftig günstiger: Beim Schlecker-Markt oder bei der Versandapotheke im Internet?

Brodtkorb: Das wird sich nicht viel geben. Wenn ich akut Kopfschmerzen habe, kann ich natürlich nicht auf das Internet hoffen - es kommt also immer auf die benötigten Medikamente an. Die Versandapotheke ist besonders für chronisch Kranke interessant, die ihren Bedarf planen können.

sueddeutsche.de: Wie viel kann der Kunde bei den neuen Vertriebsformen sparen?

Brodtkorb: Im nicht rezeptpflichtigen Bereich mindestens 30 Prozent. Das macht aber nicht das Hauptgeschäft einer Apotheke aus. Das Hauptgeschäft sind die rezeptpflichtigen Medikamente.

sueddeutsche.de: Bedrohen gierige Geschäftemacher die Gesundheit der Kunden, weil die Beratung - anders als bei den Apotheken - auf der Strecke bleibt?

Brodtkorb: Wie gut die Fachberatung in den Outlets einer Kette sein wird, ist derzeit schwer abzusehen.

sueddeutsche.de: Wie sind die Erfahrungen im Ausland?

Brodtkorb: In Norwegen gibt es im Grunde genommen nur noch serviceorientierte Kettenapotheken. Dieses Beispiel zeigt, dass die Beratung nicht schlechter wird. Die Ketten kämpfen gegeneinander - wenn schlecht ausgebildete Mitarbeiter die Kunden enttäuschen, dann gehen sie woanders hin. In Norwegen wird daher viel in Fortbildungsprogramme investiert. Ich gehe nicht davon aus, dass die Qualität der Beratung hierzulande nach unten gehen würde. Auch DocMorris arbeitet bereits mit standardisierten Service-Programmen.

sueddeutsche.de: Wie beurteilen die Krankenkassen die neue Entwicklung?

Brodtkorb: Es wird spannend, wie die Krankenkassen das Ganze für sich nutzen werden. Die Kassen schließen jetzt teilweise schon Verträge mit Versandhändlern ab. Man hört, die Händler rechnen mit den Kassen weniger ab, wenn die Kasse im Gegenzug Versandapotheken empfiehlt. Auch eine Schlecker-Apotheke könnte zum Beispiel auf die AOK zugehen. Solche Vereinbarungen macht man nur mit großen Gruppen, denn die Krankenkassen wollen nicht mit 21.500 Einzelhändlern reden. Das wird ein klarer Vorteil der Gruppen gegenüber dem einzelnen Apotheker sein.

sueddeutsche.de: Sterben die klassischen, oft familiengeführten Apotheken aus, wenn jeder Supermarkt Medikamente verhökern darf?

Brodtkorb: Ich glaube nicht, dass es kurzfristig ein großes Apothekensterben geben wird. Zunächst einmal wird es mehr Apotheken geben. Die Kettenstrukturen werden wachsen und neue Apotheken eröffnen - aber so schnell werden die selbständigen Apotheken nicht zumachen. Oft gehört dem selbständigen Apotheker das Gebäude und er wird sich in vielen Fällen dem neuen Wettbewerb stellen. Später, wenn der Kampf um den Kunden richtig losgeht, wird sich der Markt bereinigen. Umfragen haben ergeben, dass es dann einige tausend Apotheken weniger geben könnte. Ich gehe davon aus, dass der Markt auch mit 17.000 bis 18.000 Apotheken in Deutschland ganz gut funktionieren wird.

sueddeutsche.de: Mit welchen Problemen müssen die neuen Apotheken in den Drogerien und Supermärkten rechnen?

Brodtkorb: Es wird anfangs schlichtweg nicht genügend Apotheker geben, die sich bei Schlecker oder Rewe hinter den Tresen stellen. Das Ausbildungssystem lässt es nicht zu, dass man plötzlich 5000 Apotheker hat, die willig sind, in einer Ketten-Apotheke zu arbeiten. Außerdem gibt es nur wenige arbeitslose Apotheker. Es könnte zum Kampf um die Apotheker kommen. Von daher kann es gut sein, dass die Gehälter der pharmazeutisch-technischen Angestellten und die der Apotheker nach oben gehen werden, weil die ein rares Gut sein werden.

sueddeutsche.de: Und die Apotheken selbst?

Brodtkorb: Es ist vorstellbar, dass für Apotheken viel Geld gezahlt wird, wenn eine Kette unbedingt einen Apotheker haben will - also kauft er ihm die Apotheke einfach ab, ändert sie um und stellt den Apotheker als Angestellten ein.

sueddeutsche.de: Bis wann werden sich die Billig-Apotheken in den Drogerien durchsetzen?

Brodtkorb: Die finanzstarken Gruppen könnten schon im Jahr 2009 loslegen. Aber man kann nicht davon ausgehen, dass es sofort zum Beispiel 1000 Schlecker- oder Rossmann-Apotheken in Deutschland geben wird. Die Eröffnung und Umgestaltung von Apotheken braucht seine Zeit.

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