Arzneimittel:Beliefert wird, wer mehr zahlt

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Warum es in Deutschland bis vor Kurzem schwierig war, ein wichtiges Narkosemittel zu erhalten.

Von Elisabeth Dostert und Kim Björn Becker, München

Jörg Karst ist Anästhesist in Berlin, er hat eine Praxis nicht weit vom Brandenburger Tor. Dort betreut er die Narkose bei kleineren chirurgischen Eingriffen, etwa an der Hand. Und Karst hat ein Problem: Seit ein paar Wochen haben er und viele seiner Kollegen zunehmend Schwierigkeiten, das wichtige Narkosemittel Remifentanil zu bekommen. Der Pharmakonzern Glaxo-Smith-Kline hat den Wirkstoff entwickelt, er wird in Deutschland unter dem Handelsnamen Ultiva vertrieben. Der Patentschutz ist abgelaufen, es sind etliche Nachahmerpräparate auf dem Markt. Und doch gibt es gerade große Lieferschwierigkeiten, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung zuerst berichtet hat. Die Produktionskapazitäten seien begrenzt, teilt Glaxo-Smith-Kline am Mittwoch mit, deshalb könne man nicht den gesamten Bedarf abdecken, und so sei der Konzern nur "eingeschränkt lieferfähig". Etwa 80 Prozent des Marktes entfallen auf das Originalpräparat.

Karst sitzt als Vertreter der niedergelassenen Ärzte im Präsidium des Berufsverbands der Anästhesisten mit insgesamt 22 000 Mitgliedern, davon sind 2500 niedergelassene Ärzte. Auch in Krankenhäusern werden ambulant Eingriffe vorgenommen. Remifentanil sei "gut steuerbar", sagt Karst, deshalb verwendet er es gern. Es gibt Alternativen, zum Beispiel den Wirkstoff Alfentanil, der von der Firma Janssen vertrieben wird. Es müsse sich zwar niemand Sorgen machen, dass er nicht behandelt werden kann. "Aber es ist so, als würde der Computer ausfallen und man müsse wieder auf der Schreibmaschine tippen", sagt Karst.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Unternehmen dazu auffordert, bei der Konkurrenz zu kaufen. Zu den Nachahmern zählt auch Fresenius mit dem Mittel Remifentanil Kabi. "Wir können alle bestehenden Kunden beliefern", so ein Firmensprecher.

Mediziner Karst hat ein paar Erklärungen für den Engpass. Die Fertigung von Arzneimitteln sei in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt zentralisiert werden. "Fällt mal eine Maschine aus oder kommt es zur Verunreinigung einer Charge, bricht die Lieferung zusammen", sagt Karst. Im Grunde ist das Geschäft mit Medikamenten ein Markt wie jeder andere, Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. "Wenn ein Mittel knapp wird, werden erst die beliefert, die mehr Geld ausgeben", sagt Karst. Ärzte fordern daher eine Liste mit "unverzichtbaren Mitteln", deren Lieferung die Konzerne garantieren müssen.

Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat Glaxo-Smith-Kline am 22. Dezember 2016 erstmals den Engpass gemeldet. Als Grund nennt der Konzern "Verzögerungen in der Herstellung". Die Meldung von Lieferengpässen war hier freiwillig - anders ist es bei Medikamenten, die in Krankenhausapotheken benötigt werden, da werden die Konzerne mögliche Engpässe bald frühzeitig anzeigen müssen. Sollte sich das System der freiwilligen Meldung bei den übrigen Mitteln nicht bewähren, werde man auch dort über die Einführung einer Meldepflicht nachdenken, sagte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung hält das für eine Option. Es sei wichtig, dass die niedergelassenen Ärzte frühzeitig Bescheid wissen, wenn ein Medikament nicht lieferbar ist, sagte ein Sprecher der Dachorganisation niedergelassener Ärzte.

An diesem Donnerstag wollen BfArM, Hersteller und medizinische Fachgesellschaften beraten, ob die Bestände von Remifentanil nun vor allem an Patienten ausgegeben werden, die darauf angewiesen sind - vor allem bei Kindern gilt es als das beste Mittel. Laut BfArM lösen sich die Engpässe allmählich auf. Glaxo-Smith-Kline kündigt für Mai/Juni weitere Lieferungen an.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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