Architektur als Standortvorteil:Fast so wichtig wie Fußball

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Die Architektur in den Niederlanden ist ungewöhnlich preiswert, vielfältig und elegant - in Deutschland scheitert dies oft schon an der fehlenden Genehmigung.

Von Ulf Brychcy

"Größe ist nicht wichtig", sagt Maarten Kloos. Das ist zunächst einmal ein bemerkenswerter Satz für einen Architekten. Wer Häuser, Museen oder Brücken baut, möchte gerne auffallen.

Zumal die Regel gilt: je größer der Auftragswert, desto höher das Honorar. Bei Kloos, der eine blaue Handwerkerjacke über den Jeans trägt, liegt die Sache etwas anders. Als Direktor des Architekturzentrums in Amsterdam geht es ihm vor allem um die Qualität der geplanten und gebauten Umwelt.

Die aber hängt oft schon an kleinen Dingen und an alltäglichen Bauaufgaben wie etwa einem Reihenhaus. Um dafür den Blick der Menschen zu schärfen, gibt es in den Niederlanden allein in den Städten 35 Architekturzentren und, sozusagen als Krone, mit dem Nationalen Architekturzentrum in Rotterdam die weltweit größte Einrichtung ihrer Art.

Ein Wirtschaftsfaktor

Und genau an diesem Punkt zeigt sich bereits, weshalb niederländische Architekten und ihre Bauten in der ganzen Welt gerühmt werden und ihre deutschen Kollegen als eher bieder, langweilig und risikoscheu gelten.

"Architektur ist bei uns einfach ein Alltagsthema, fast schon so populär wie Fußball", sagt Kloos. Er steht im Vortragssaal seines Architekturzentrums, dessen tropfenförmiges Dach mit einer Aluminiumhaut überzogen ist. Große Fensterflächen öffnen sich zum Hafenbecken, wo beständig gebaut wird.

Was bereits fertiggestellt ist, wie das gläserne Schiffspassagier-Terminal und das daran angedockte schlanke Bürohochhaus einer Bank oder etwa die neue Brantasgracht mit ihren schmalen Wohnhäusern, wird stolz ausgestellt.

Mediterran wirken diese Gebäudezeilen, mit grünen Innenhöfen, Loggias und Balkonen. Für die Freizeitboote der Bewohner gibt es Anlegestellen.

Die Niederländer wissen, dass ihre Architektur auch ein Wirtschaftsfaktor ist - für die eigenen Büros, die im Ausland Projekte erhalten, und für den Tourismus.

Neidisch in Deutschland

Amsterdam etwa präsentiert derzeit einen Architektur-Sommer, Hauptthema: "Wohnen und Arbeiten am Wasser". Alte Hafenanlagen wurden in Wohngebiete verwandelt, auf Inseln und Halbinseln mit Namen wie Java und Borneo sind Siedlungen aus Miet- und Eigentumswohnungen entstanden.

Die teuersten Neubau-Appartements von Amsterdam sind hier ebenso zu finden wie so genannte Superblöcke, riesige rechteckige Wohnmaschinen mit 300 und mehr Sozialwohnungen. Nicht nur die Metropole Amsterdam, auch die anderen Städte wachsen beständig weiter, Wohnraum ist nach wie vor knapp.

Deutsche Architekten können da nur neidisch zuschauen. Die seit Jahren anhaltende Krise am Bau hat hunderte von Büros in die Knie gezwungen, viele der rund 90.000 Architekten mussten bereits ihren Beruf aufgeben.

Da schmerzt es doppelt, wenn die Märkte außerhalb des Heimatlandes fast immer verschlossen bleiben, was auch an der bescheidenen Reputation deutscher Baumeister liegt.

Natürlich gibt es einige Ausnahmen wie Hans Kollhoff, der am Potsdamer Platz in Berlin ein elegantes, mittlerweile schon berühmtes Hochhaus mit roter Ziegelfassade errichtet hat. Der angesehene Architekt baut derzeit mehr in den Niederlanden als daheim, etwa das Ministerium für Justiz und Inneres in Den Haag oder ein Bürohaus in Maastricht.

Kollhoff vermeidet es zwar, holzschnittartig die westlichen Nachbarn zu loben und die eigenen Landsleute und deren Ansprüche an die gebaute Umwelt zu kritisieren. Sein Fazit aber lautet: "Die Holländer haben Spaß, wenn etwas passiert, Projekte werden begeistert vorangetrieben."

Keine Frage: Dies führt auch manchmal zu regelrechten Abstürzen und architektonischen Ausrutschern. Und schlechte Bauqualitäten oder gesichtslose Eigenheimsiedlungen in der Provinz gibt es im Nachbarland ebenfalls. Nur eben nicht so oft.

Was wohl zunächst an der Mentalität liegt. Kristin Feireiss, die in Berlin die Architekturgalerie Aedes betreibt und fünf Jahre lang das Rotterdamer Architekturzentrum geleitet hat, kennt beide Seiten.

Sie spricht vom "Polder-Modell". Seit Jahrhunderten ringen die Niederländer dem Meer Land ab, und zwar gemeinsam und auf der Suche nach der besten Lösung. Diese Haltung strahle auf das Bauen und die Architektur aus. "Das Land ist stolz auf das, was seine Architekten geschaffen haben", sagt Feireiss.

Und in Deutschland? Allein die vielen Architekturzentren belegen, wie groß die kulturellen Unterschiede zwischen hiesigen Häuslebauern und Niederländern sind.

Ein präsidial und ehrenamtlich agierender "Rijksbouwmeester" (Reichsbaumeister) wacht landesweit über die Architektur, die Regierung gibt "Notas" heraus, in denen Bau- und Raumordnungsprobleme erörtert werden, jede Kommune verfügt über Gestaltungsbeiräte.

In einer Bestandsaufnahme zur Baukulturpolitik im europäischen Ausland konstatiert das Bundesbauministerium in Berlin über die Niederlande begeistert: "Das Ergebnis ist eine ungemein vielfältige, häufig auch radikale, meistens sehr preiswerte Architektur."

Fall für die Kultusminister

Viele Bau- und Architekturexperten fordern endlich einschneidende Konsequenzen. Weniger die niederländischen Baumeister seien das Beispiel, sondern die dortigen Strukturen. "Architektur ist mehr als das Aufeinanderschichten von Beton", sagt Feireiss.

Es ist offensichtlich: Das Thema gehört in die Kultusministerien, nicht ins Bau- und Verkehrsressort. Umgekehrt könnte es, wie in Holland, spezielle Wirtschaftsförderprogramme für junge Architekturbüro-Gründer geben, etwa Zuschüsse für Wettbewerbe im Ausland. "Wir haben bei uns viele herausragende junge Kräfte, die in der Baukrise kaum ihre Chance erhalten", sagt Feireiss.

Außerdem sollte die Baugesetzgebung mit ihren vielen Paragrafen schleunigst gestutzt werden, damit Philip Spangenberg nicht mehr diese Geschichte erzählen kann: Der Stadtplaner, der in Amsterdam in der Großwohnanlage "Der Wal" lebt und arbeitet, führt oft Architektengruppen aus Deutschland durch seine Stadt.

Die Kollegen seien erst begeistert von baulich originellen, oft kostensparenden Lösungen, dann aber schauen sie Spangenberg an und sagen frustriert: "Bei uns würde so etwas nie genehmigt."

© SZ vom 31.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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