Arbeiten am Bildschirm:Die Volksbrille

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Schon ab 40 Jahren droht die Alterssichtigkeit. Man kann sie auf verschiedene Arten korrigieren, und das kann ganz schön teuer werden. Manchmal zahlt dafür aber der Chef.

Von Simone Boehringer, München

Die einen probieren es mit Vitaminen, die anderen mit Karottensaft oder roten Beeten. Das Beta-Carotin darin, eine Vorstufe zum Vitamin A, kann den Hell-Dunkel-Kontrast der Augen fördern. Die Vitamine C und E sollen Zellschädigungen vorbeugen, die Fettsäuren in bestimmten Fischsorten den Tränenfilm bewahren helfen. Alles schön und gesund, nicht nur für eine bessere Sicht aufs Leben. Dennoch bleibt in Sachen Sehkraft eine ernüchternde Erkenntnis: Das Auge wird auch alt, die Brechkraft lässt ab 40 deutlich nach, die Altersweitsichtigkeit kommt. Und zwar unabhängig davon, ob man schon Brillenträger ist oder nicht.

"Die Akkommodationsfähigkeit des Auges lässt sogar weit früher nach, bloß die Menschen merken es erst, wenn der Leseabstand unangenehm groß wird", erklärt Augenarzt Ludger Wollring. Seit 35 Jahren praktiziert er in Essen, hat mehr als 130 000 Patienten gesehen und viele operiert. Wollring spricht für den Berufsverband der Augenärzte Deutschlands. Er sagt auch: "Alterssichtigkeit ist keine Krankheit, sondern es ist eine natürliche Entwicklung, dass sich die Augen immer schlechter auf die Nähe einstellen können." Langjährige Analysen zeigen, dass im Schnitt eine Zehnjährige noch Dinge scharf sehen kann, die nur sieben Zentimeter vom Auge entfernt sind. Das entspricht einer Brechkraft der Linse von 13 Dioptrien, bei einem Zwanzigjährigen liegt der Nahbereich schon bei zehn Zentimetern, und beim 40-Jährigen befindet sich der Punkt, von dem an er scharf sieht, bei mehr als zwanzig Zentimetern. Von den 60-Jährigen haben heute 93 Prozent eine Brille, sagen Forscher des Allensbach-Instituts. Alterssichtkorrekturen sind fast so etwas wie eine Volksbrille.

Spätestens beim Einfädeln und beim Lesen in düsterem Licht bemerken die meisten Menschen zuerst, dass etwas nicht stimmt mit der Sicht in die Nähe. "Das passiert meist Anfang, Mitte vierzig", so Wollring. Bereits kurzsichtige Menschen mit Brille haben bei diesem Phänomen der Alterssichtigkeit zunächst einen kleinen Zeitvorteil, zumindest am Anfang können sie die fehlende Flexibilität des Auges wettmachen, indem sie sich ihre Brille zum Lesen, Schreiben oder Nähen immer ein Stückchen weiter vom Auge wegschieben. Und viele tun das auch, im Zweifel, bis die Sehhilfe von der Nase rutscht. Doch diese Praxis überbrückt nur ein paar Jahre. Optiker wissen das, und so kommen ihre Kurzsichtkunden wie auch normalsichtige Käufer von Standard-Lesebrillen irgendwann wieder, um ihre Sehhilfe anzupassen oder durch eine weitere Brille zu ergänzen. Teilweise bezahlt dies der Arbeitgeber. Die SZ fasst die wichtigsten Aspekte zusammen:

Lesebrille

Bei Normalsichtigen erfolgt der Einstieg zur Korrektur der Alterssichtigkeit meist mit einer Lesebrille. Diese gibt es als Halbbrille von der Stange schon für zehn, fünfzehn Euro mit einer Brechkraft von plus einem, zwei, drei und mehr Dioptrien. Zum schnellen Lesen von Formularen und Kleingedrucktem oder für die Speisekarte beim Kneipenbesuch in schummrigem Licht reicht dies anfangs aus. Auf Dauer und für längeres Lesen bietet sich ein maßgefertigtes Modell an, das genau der benötigten Stärke entspricht und zur Entlastung des Auges auch eine Vollbrille sein kann.

Arbeitsbrille

Wer schon wegen angeborener Kurzsichtigkeit eine Brille hat, kann sich mit der herkömmlichen Lesebrille nicht behelfen. Hier empfehlen Fachärzte und Optiker entweder eine Bildschirm- oder Computerbrille, die den Nahbereich großzügig abdeckt, meist zwischen 30 und 80 cm, und damit das Sehen im unmittelbaren Umfeld am Computerarbeitsplatz unterstützt. Für bisher Normalsichtige reicht hier in der Regel ein Einstärkenglas, das entsprechend dem Bedarf meist auf optimales Sehen am Bildschirm zwischen 50 und 80 cm geschliffen wird und oft auch nur direkt am Arbeitsplatz getragen wird.

Gleitsichtbrille

Für stärker Kurzsichtige reicht ein Einstärkenglas mit zunehmendem Alter nicht mehr aus. Ab Mitte 50 bewegt sich der Nahpunkt des scharfen Sehens in Richtung der Ein-Meter-Marke. Da geht dann mit und ohne die bisherige Brille lesetechnisch wenig. Spätestens dann empfehlen Augenärzte den Wechsel zu einer Gleitsichtbrille, die Fern-, Mittel und Nahbereich gleich gut abdeckt. Der Wechsel von einer herkömmlichen Arbeitsplatzbrille zum Mehrstärkenglas für alle Entfernungen erfolgt sinnvollerweise dann, wenn sich die Alterssichtigkeit nicht mehr so schnell verändert wie in der ersten Zeit. Denn eine gute Gleitsichtbrille kostet schnell einige hundert Euro. Kurzsichtige Arbeitnehmer ab 40, die viel am Bildschirm sitzen, entscheiden sich daher oft erst mal für die Beibehaltung ihrer Einstärkenbrille zur Fernsicht sowie für eine zweite Bildschirmarbeitsbrille, die sich auf die Korrektur des für PC-Arbeit nötigen Sehbereichs konzentriert.

Kontaktlinsen

Eine Alternative zu Gleitsichtbrillen sind bifokale Kontaktlinsen. Sie verfügen ähnlich der Gleitsichtbrille über einen Nah- und Fernsichtbereich. Da diese Linsen eine ähnliche Investition bedeuten können wie eine Brille und bei manchen Kunden anfangs zu Schwindelgefühlen oder Seh-Irritationen führen können, bieten Optiker hier oft ein Probetragen an. Der Preis hierfür wird zuweilen auf den späteren Kauf bifokaler Haftschalen angerechnet.

Wer stellt Alterssichtigkeit fest?

Wer Beschwerden hat bei der Arbeit, Sehschwierigkeiten, Doppelbilder, ständiges Brennen in den Augen oder Augenschmerzen, sollte sich beim Augenarzt oder Betriebsmediziner vorstellen. Der Arzt im Unternehmen kann den Arbeitsplatz einschätzen und kann, sollte eine Arbeitsbrille nötig sein, die Entfernungen, für die das Sehen verbessert werden soll, gleich vermessen. Der Augenarzt attestiert die exakten Werte der Fehlsichtigkeit.

Wer zahlt die Brille?

Die gesetzlichen Krankenkassen müssen sich bei Erwachsenen nur beteiligen, wenn die Patienten eine Fehlsichtigkeit von sechs Dioptrien oder mehr haben oder an einer starken Hornhautverkrümmung leiden. Bei Arbeitsplatzbrillen kommen unabhängig davon die Arbeitgeber ins Spiel. Bildschirmbrillen fallen unter die Pflicht zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Wer vom Arbeitgeber eine Kostenübernahme oder einen Zuschuss für die Gläser möchte, benötigt in der Regel das Attest des Augenarztes. Manche Firmen haben direkt Kooperationen mit Optikern. Eine Erkundigung vorab bei Betriebsarzt oder Betriebsrat gibt Klarheit. ,,Unternehmen sollten hier nicht knausern, eine angepasste Arbeitsplatzbrille erhöht nachweislich die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit", mahnt Wollring vom Augenärzteverband.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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