Apple, Samsung und Co.:Der Patent-Krieg der Smartphone-Riesen

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Eigentlich sollen Patente Erfindern helfen, ihre Ideen zu schützen. Doch weil Software-Patente inzwischen für triviale Neuerungen erteilt werden, nutzen die großen Smartphone-Hersteller sie als Waffe gegen Konkurrenten - und bremsen damit den Fortschritt.

Christoph Behrens

Jeder der ein iPhone besitzt, kennt diesen Effekt: Man wischt mit dem Daumen auf dem Display eine Website nach unten, und bewegt man den Finger schnell, so beschleunigt die Seite und man ist schnell ganz unten angelangt. Doch da ist mit der Bewegung nicht Schluss, die Seite gleitet weiter, als wollte sie ausbrechen aus dem Bildschirm. Das Dokument hüpft ein bisschen nach oben und erst ein paar Millisekunden später prallt es wie von einer unsichtbaren Gummiwand zurück, als akzeptiere es jetzt seine Gefangenschaft.

Apple (im Bild: iPhone 4) und Samsung streiten vor Gericht über Smartphone-Patente - aus taktischen Gründen. (Foto: Reuters)

Wenige Benutzer nehmen diesen Effekt überhaupt wahr, weil er sich so organisch anfühlt. Noch weniger Nutzer wissen, dass Apple diesen Effekt patentiert hat. Und noch sehr viel weniger wissen, dass dieser patentierte Effekt zu einer mächtigen Waffe geworden ist in einem der größten Patentkriege, den die Welt bisher gesehen hat. Dieser Krieg wird auf drei Kontinenten geführt, in acht Ländern, vor zehn Gerichten. Willkommen bei "Apple gegen Samsung".

Apple begann diesen Krieg im April 2011: Der Konzern verlangte vor einem kalifornischen Gericht, dass mehr als ein Dutzend Samsung-Geräte - Smartphones und Tablets der neuesten Generation - aus amerikanischen Regalen verschwinden oder gar nicht erst dort hinein gelangen dürfen. Samsung habe das "Look and Feel" der Apple-Produkte schamlos kopiert, hieß es sinngemäß zur Begründung; zehn Patente führte Apple als Argumente ins Feld.

Etwa die Hälfte dieser Patente, darunter auch der berühmte Scroll-Effekt, beziehen sich zum großen Teil auf Software. Doch das war nur der erste Zug. Samsung konterte mit Verfahren in Japan, Südkorea und Deutschland, sah nun eigene Patente verletzt; vor der Internationalen Handelsbehörde der USA möchten die Koreaner erreichen, dass Apple seine in Asien gefertigten iPhones und iPads nicht mehr nach Amerika importieren darf.

Der Konflikt ist eskaliert. Mehrmals haben beide Kontrahenten die umstrittenen Patente angepasst, sie ergänzt oder gestrichen, sie zwischen Gerichtssälen hin- und hergeschoben wie Figuren auf einem Schachbrett.

Es geht um maximalen Schaden

"Im Moment liefern sich beide ein Wettrennen, wer als Erster dem anderen das Geschäft mit umsatzstarken Geräten verhageln kann", sagt Florian Müller, der den Konflikt auf seinem Blog Foss Patents analysiert. Wer dabei welches Patent verletzt, ist nicht mehr so wichtig. Es geht darum, dem anderen maximalen Schaden zuzufügen.

Dabei sind auch weit trivialere Dinge als der Scroll-Effekt Anlass zum Streit: Es geht um das "Anzeigen von Fenstern" und die "Bedienung per Fingerdruck" etwa. "Keine Frage, dass Patente, insbesondere Software-Patente, zu Waffen im Kampf um Marktanteile geworden sind", sagt Müller.

Sätze wie dieser könnten auch von Innovationsforscher James Bessen von der Universität Boston stammen. Der Ökonom hat in der Studie "A generation of software patents" untersucht, wie sich Software-Patente auf innovative Branchen auswirken.

Der aktuelle Konflikt zwischen Apple und Samsung liefert ihm Munition für eine Kernthese: "Software-Patente sind zu einer strategischen Waffe großer Konzerne geworden." Doch Bessen geht noch weiter in seiner Kritik. "Software-Patente attackieren, ja sie verhindern Innovation", sagt er.

Diese Kritik ist verständlicher, wenn das Wesen eines Patents genauer ergründet wird: Es ist ein Handel zwischen Erfinder und Öffentlichkeit. Der Erfinder legt seine Erfindung offen, dafür gewährt ihm der Staat ein 20-jähriges Monopol auf das Patent.

Der Erfinder kann anderen verbieten, sein Patent zu benutzen, das Erfundene muss neu sein und besser als das schon Dagewesene. Mit anderen Worten: Der Erfinder soll sich schon ein bisschen anstrengen.

Genau diese Anstrengung aber stellt Bessen bei Software-Patenten wie dem Scroll-Effekt in Frage. "Früher brauchte man zur Patentanmeldung noch ein funktionierendes Modell einer Erfindung", sagt er. "Um Patente auf Software zu bekommen, reicht eine Idee, eine reine Skizze." Man brauche nur ein paar Leute die im Kreis sitzen, nachdenken "und voilà, wir haben Software-Patente".

Tatsächlich hat Apple bei der Anmeldung des Scroll-Effekts keine einzige Zeile Programmcode ans US-Patentamt geschickt. Auch nicht den ausgeklügelten Algorithmus, der diesen Effekt erst möglich macht. Die Idee reicht, sagt Bessen, und das sei das Fatale.

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Deshalb helfen Software-Patente vor allem großen Firmen. Konzernen wie Microsoft oder Google fällt es leicht, ihren Programmierern eine Art Patentformular auf den Schreibtisch zu legen, das sie nebenbei ausfüllen. Die Konzerne haben das nötige Geld und meist auch eigene Patentabteilungen, die sich um nichts anderes kümmern.

So entstünden "Patent-Dickichte", die kleinere Firmen von einem Markteintritt abhielten, argumentiert Bessen. Wer heute ein Smartphone bauen möchte, muss rund eine Viertelmillion Patente beachten.

Bei kleinen Start-Ups sind die Kosten pro Patent dagegen viel höher: Programmierer müssen von wichtigen Projekten abgezogen, teure Patentanwälte erst engagiert werden, um an einen Schutzbrief heranzukommen. Deshalb sinke bei Start-Ups mit Software-Patenten das Budget für Forschung und Entwicklung, schreibt Bessen.

Weil eher Ideen patentiert werden und die Anmeldungen nur wenige technische Skizzen enthalten, verwässern auch die Grenzen des Rechtsschutzes schnell. Software-Patente landen deshalb in den USA etwa fünf Mal so häufig vor Gericht wie etwa Patente aus der Chemie-Industrie.

Start-Ups in Gefahr

"Die meisten Start-Ups, die ich kenne, haben Patentklagen gegen sich laufen", sagt Bessen. In der Hoffnung, hohe Kosten und Klagen zu umgehen, verzichteten 2008 rund drei Viertel der amerikanischen Start-Ups in der Software-Branche gleich ganz auf den Schutz ihres geistigen Eigentums. "Das Risiko von Prozessen schreckt viele ab, in Innovation zu investieren", fasst Bessen zusammen.

Am 8. Juli sorgte ein Twitter-Beitrag von John Doerr für Aufsehen. "Wie sollen wir das Patentsystem reparieren", rätselte der Manager, "Software-Patente abschaffen oder ihre Schutzdauer verkürzen?" Doerr wurde vom Magazin Forbes 2008 und 2009 auf Platz 1 der "Midas List" gewählt, der Rangliste der erfolgreichsten Investoren für Risikokapital. Er wurde reich mit Anteilen an Symantec, Sun Microsystems, Google. Und an Amazon.com, der Firma die immerhin das Online-Shopping patentiert hat. Wenn einer wie Doerr öffentlich zweifelt, hat die Kritik eine neue Dimension erreicht.

Ein Anlass für Doerrs Beitrag war wohl auch, dass in den vergangenen Wochen viele Entwickler von Smartphone-Apps Briefe von der Firma Lodsys bekommen haben. Die Firma verlangt darin Lizenzgebühren, weil die Entwickler in ihren Apps einen Button eingebaut hatten, mit dem man die Vollversion kaufen kann.

Lodsys besitzt auch ein Patent zum Zählen von Klicks auf Onlinewerbung und verklagt deshalb gerade die Onlineausgabe der New York Times. Doch worin besteht bei einem Upgrade-Button und dem Zählen von Klicks die Erfindung, fragen James Bessen und Florian Müller unisono.

Auch in Deutschland ein Problem

Klagen und Lizenzgebühren bringen Software-Patente auch nach Deutschland, obwohl hier das Gesetz "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" ausschließt. Es geht aber auch direkter: Der BGH erklärte voriges Jahr ein Siemens-Patent zur "dynamischen Dokumentengenerierung" für gültig.

Ein reines Software-Patent, sagen Kritiker. Fachverbände wie die Bitkom warnen aber: "Es wäre falsch, eine Erfindung vom Rechtsschutz auszuschließen, nur weil sie ein Fitzelchen Software enthält." Man müsse eher die Erfindung als Ganzes sehen.

Eine Entscheidung zwischen Apple und Samsung erwartet Patentexperte Müller frühestens im Herbst. Die Firmen würden sich wohl finanziell einigen. "Das ist wie im Kalten Krieg - die potenzielle gegenseitige Zerstörung verhindert letztendlich die gegenseitige Zerstörung." Am Ende zahle eben einer die Rechnung.

© SZ vom 02.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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