Anlegerschutz:Aufklärung per Fragebogen

Lesezeit: 3 min

Mifid II soll Anleger vor Fehlberatung schützen. Doch der bürokratische Aufwand dafür ist hoch.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Vor dem Geschäftsabschluss müssen Bankberater künftig überprüfen, ob ein Produkt für den Kunden geeignet ist. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Sie ist eine Antwort der EU auf die Finanzkrise und auch auf die Pleite der Bank Lehman Brothers, die viele Zertifikateanleger geprellt hat. Nach jahrelanger Ausarbeitung durch die Gremien und hitzigen Debatten tritt die reformierte Richtlinie Markets in Financial Instruments Directive, kurz Mifid II, Anfang 2018 in Kraft. Mit den verschärften Dokumentations- und Informationspflichten für Banken und Finanzdienstleister sollen Kleinanleger vor Fehlinvestments geschützt werden.

Mifid II enthält Regeln zur Produktüberwachung von börsengehandelten Derivaten. So sind Hersteller verpflichtet, die Tauglichkeit eines Anlageprodukts sicherzustellen. Banken und Wertpapierdienstleister müssen ab 2018 all ihre Finanzprodukte laufend auf die Eignung für die jeweiligen Zielkunden überprüfen. Neu sind zudem bestimmte Informationspflichten. Alle Gebühren für Anlageprodukte und Wertpapierdienstleistung sind vorab transparent zu machen, Berater müssen die jeweiligen Provisionen offen legen. Mifid II bringt für Aktien und Derivate die Handelspflicht an organisierten Handelsplätzen und durch die begleitende KIDs-Verordnung (Key Information Documents) gibt es Basisinformationsblätter künftig auch für verpackte Anlageprodukte.

Wichtiges Instrument der Reform, die in Deutschland durch das zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz umgesetzt wurde, ist die neue Geeignetheitserklärung. "Sie muss konkret erklären, warum ein bestimmtes Produkt empfohlen wurde und wie es zu den individuellen Eigenschaften des Kunden wie seiner Risikoneigung, den Anlagezielen sowie den Kenntnissen und Erfahrungen passt", sagt Christian Ahlers, Finanzmarktreferent des Bundesverbands Verbraucherzentrale. Die Erklärung sei daher im Gegensatz zum ausgedienten Beratungsprotokoll ein Fortschritt für den Anlegerschutz. Kunden dürften jedoch nach einem Termin bei ihrer Hausbank oder Sparkasse mit einem Pack Papier unter dem Arm nach Hause gehen. Im Rahmen einer Befragung müssen Bankberater, Vermögensverwalter und Fintechs umfangreiche Angaben zu finanziellen Verhältnissen sowie Kenntnissen und Erfahrungen ihrer Kunden mit Wertpapiergeschäften einholen. Dies soll helfen, etwa Erstanleger und risikoaverse Sparer zu identifizieren. Kritisch zu sehen ist, dass diese Kundenanalyse die konkrete Verlustbereitschaft ausspart. "Die simple Einteilung in Risikoklassen im Zuge der Geeignetheitsprüfung wurde beibehalten, obwohl allen Experten klar ist, dass es so nicht funktioniert. Die Information, was im schlimmsten Fall passieren kann, fehlt", sagt Marc Oliver Rieger, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Trier. Banken könnten somit weiterhin komplexe Produkte designen, deren Risiken die Regulierung übersieht.

Ein Geschäftsabschluss darf erst nach Übergabe der Geeignetheitserklärung erfolgen. Ausnahme: Telefonische Ordern bei Zustimmung der Kunden. Anleger sollten eine unabhängige Meinung einholen. "Um Fehlberatungen zu verhindern, sind eine ausreichende Qualifikation der Anlageberater, die Orientierung am Kundeninteresse in der konkreten Beratung und eine umfassende systemseitige Unterstützung entscheidend", sagt Steffen Steudel, Verbandssprecher der Volks- und Raiffeisenbanken. Punkte, die Mifid II mit der Produktüberwachungspflicht sowie Ausbildungs- und Weiterbildungsanforderungen bei Beratern neu reguliert.

Letzte Details zur Ausgestaltung der Kundenanalyse und Standards der notwendigen Produktkontrolle stehen drei Monate vor dem Mifid-II-Start noch immer aus. Die Europäische Wertpapieraufsicht Esma muss bis Jahresende endgültige Leitlinien veröffentlichen. Dies birgt Chancen auf Verbesserungen. "Wir wünschen uns eine Standardisierung der Geeignetheitserklärung. Durch fehlende Standards können Berater die Geeignetheit in der Erklärung wieder so begründen, wie sie es für richtig halten", sagt Ahlers. Die Folge: Die Dokumentation wäre - wie schon das Beratungsprotokoll - als Beweisgrundlage für geprellte Anleger im Fall einer Falschberatung vor Gericht ungeeignet.

Auch die Offenlegung von Provisionen, geht Experten nicht weit genug. "Jede gut gemeinte Regelung ist Flickschusterei, solange der Interessensgegensatz zwischen dem Berater, der möglichst viel verdienen will, und dem Anleger, der gut investieren will, nicht gelöst ist", sagt Rieger. Eine geeignete Maßnahme gegen Falschberatungen und echter Anreiz für den Wandel der Branche könnten staatlich geförderte Gutscheine für unabhängige Honorarberatung sein.

Auch bei den bekannten Produktinformationsblättern ändert sich ab 2018 einiges. Die Beipackzettel, die detailliert Kosten und Risiko der Anlageprodukte aufschlüsseln, gelten durch die PRIIPs-Verordnung (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products) fortan auch für Zertifikate und Versicherungen mit Kapitalanlagecharakter. Auf Basis einer vergangenheitsbezogenen Wertentwicklung veranschaulichen die Produktinformationsblätter verschiedene Wahrscheinlichkeitsszenarien. "Hier sehe ich durch die vorgeschriebenen vier Performance-Szenarien einen Fortschritt. Sie bieten den Kunden durch die gute Vergleichbarkeit einen besseren Überblick, was sie von dem Produkt erwarten können", sagt Rieger.

In der Finanzbranche werden der Bürokratieschub und die Kostenbelastung der komplexen EU-Verordnung beklagt. Eine besondere Herausforderung ist die Aufzeichnungspflicht für Kundengespräche via Telefon und elektronischer Kommunikation (Mails, Video, etc.). "Im Detail wird es beim Dokumentationsprozess zahlreiche Änderungen geben, die die Anlageberater in relativ kurzer Zeit verinnerlichen müssen. Manches wird sich dabei erst in der täglichen Praxis einspielen können", sagt Steudel. Im Auftrag der EU sind ab 2018 die nationalen Aufsichtsbehörden am Zug. Sie bestimmen die tatsächliche Schlagkraft der Reform. "Nun liegt es an der Verwaltungspraxis der Bafin, ob die Vorgaben auch wirklich eine Verbesserung des Anlegerschutzes bringen. Sie muss die Regeln streng anwenden und am Ende sagen, welche Geeignetheitserklärungen rechtlich okay sind", sagt Ahlers.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: