Anleger gegen Telekom:Die Fakten zum Prozess

Lesezeit: 4 min

Gibt es 16.000 oder 17.000 Kläger im Telekom-Prozess? Ein oder zwei Musterkläger? Und - warum macht es die Telekom nicht wie in den USA?sueddeutsche.de bringt Ordnung in das Chaos um den größten Anlegerprozess Deutschlands.

Nina Jauker

Um welche Aktien geht es im Prozess?

Umzug nach Frankfurt? Ein Rechtsanwalt bei Beginn des möglicherweise jahrelangen Prozesses im Oberlandesgericht. (Foto: Foto: dpa)

Das ehemalige Staatsunternehmen Telekom gab während des New-Economy-Booms ab 1999 in drei Tranchen Aktien auf den Markt. Es waren vor allem Kleinanleger, die die Aktien kauften und sie als eher sichere Wertanlage betrachteten. Ein Jahr nach der Ausgabe der dritten Aktientranche, die für knapp 67 Euro verkauft worden waren, fiel die T-Aktie im Juni 2000 auf 8,42 Euro und notiert heute, acht Jahre später, nur bei etwa elf Euro - die Aktionäre verloren fast 90 Prozent ihres angelegten Kapitals. Die Anwälte wollen belegen, dass die Aktie nicht so sicher war wie vom Unternehmen dargestellt.

Welche Aktionäre klagen?

Etwa 17.000 Aktionäre wollen Schadensersatz. Sie fühlen sich getäuscht, weil die Telekom zur Unternehmenssituation falsche oder unvollständige Angaben gemacht habe. Verhandelt wird über die zweite und dritte Aktientranche, für jede dieser Tranchen gibt es einen Musterkläger. Verhandelt wird zuerst die dritte Tranche, da fast alle Fragen der dritten Tranche auch auf die zweite zutreffen - aber nicht umgekehrt. Somit kann das Gericht unnötige Arbeit sparen. Zudem könnte die mit der dritten Tranche zusammenhängende Frage der Voicestream-Übernahme (siehe unten) zu einer schnellen Entscheidung im Prozess führen.

Wie viele Kläger gibt es?

Der Prozess ist hinsichtlich der Klägerzahl einer der größten in der deutschen Justizgeschichte, da Sammelklagen wie im US-Recht bislang nicht möglich waren.

Nach Angaben des Oberlandesgerichts Frankfurt handelte es sich bei Beginn des Prozesses um etwa 17.000 Kläger und rund 2700 Klageverfahren. Die beiden Zahlen sind unterschiedlich, da in einem Verfahren mehrere Kläger gleichzeitig als Klägergruppen auftreten können. Die Kläger werden von rund 800 Anwaltskanzleien vertreten.

Die Zahl der Kläger lässt sich nicht genau angeben: Immer wieder ziehen ganze Klägergruppen ihre Klagen vor den erstinstanzlichen Gerichten zurück - andere kommen hinzu. Die Klägerzahl soll bei knapp 18.000 gelegen haben, doch dann hatten etwa 1000 Betroffene vor Beginn des Prozesses ihre Klagen mit einem Streitwert von rund 13 Millionen Euro wieder zurückgenommen. Doch in Frankfurt geht es zunächst ohnehin nur um die beiden Musterkläger - der Rest gilt als "Beteiligte".

Wie kann ein solches Massenverfahren abgewickelt werden?

Im Frankfurter Prozess wird lediglich festgestellt, ob überhaupt ein Schadensersatzanspruch gegen die Telekom besteht. Sollte Richter Christian Dittrich zu diesem Schluss kommen, geht jeder Einzelfall wieder zurück an die erstinstanzlichen Gerichte. Dort wird dann entschieden, wie viel Geld der einzelne Kläger erhält.

Die deutsche Justiz betritt mit diesem Anlegerschutzprozess juristisches Neuland. Um Musterverfahren zu ermöglichen, wurde eigens das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) geschaffen.

Wie viele Musterverfahren gibt es im aktuellen Prozess?

Aufgrund des neuen Gesetzes ist es möglich, dass vor dem Oberlandesgericht nur zwei Personen klagen. In Frankfurt findet damit ein Musterprozess statt, in denen zwei Musterkläger - von den Anwälten wird lediglich der Name des einen, Bruno Kiefer, herausgegeben - stellvertretend für alle anderen Betroffenen gegen die Telekom prozessieren. Da es sich um zwei Aktientranchen handelt, die strittig sind (die zweite und die dritte), gibt es für jede einen Musterkläger.

Um wie viel Geld geht es?

Der Streitwert beträgt etwa 80 bis 90 Millionen Euro - zu ungleichen Teilen verteilt auf 17.000 Kläger. Im Schnitt würde jeder Kläger - theoretisch - also 4000 bis 5000 Euro erhalten.

In der Masse der Fälle geht es um Summen von rund 3500 Euro, einzelne Anleger haben aber auch deutlich mehr verloren. Der Musterkläger will sogar 1,2 Millionen Euro erstattet bekommen.

Der Gesamtbetrag gilt, gemessen an vergleichbaren US-Klagen, gemeinhin als niedrig für ein solches Verfahren. "Das finanzielle Risiko ist für den Konzern überschaubar, da sich die gesamte Schadenssumme lediglich auf 80 Millionen Euro beläuft", erklärten Experten.

Was wird der Telekom vorgeworfen?

Gibt ein Unternehmen Aktien an die Börse, muss es in einem Börsenprospekt Angaben zu seiner Finanzlage machen. Werden wichtige Informationen weggelassen oder falsch wiedergegeben, hat der Anleger Anspruch auf Schadensersatz, weil er seine Kaufentscheidung auf Grundlage unzureichender Informationen getroffen hat.

Die Kleinaktionäre werfen der Telekom vor, bewusst falsche Angaben gemacht zu haben. Die zwei wichtigsten Streitpunkte sind dabei die Übernahme von Voicestream und die Frage der Immobilienbewertung. Die Privatanleger werfen der Unternehmensspitze vor, die teure Übernahme des US-Mobilfunkkonzerns im Jahr 2001 für rund 34 Milliarden Euro sei bei der Ausgabe der dritten Aktientranche schon unter Dach und Fach gewesen - aber im Börsenprospekt nicht erwähnt worden.

Sollte dieser Kauf schon während der Zeichnungsphase der T-Aktie im Mai und Juni 2000 beschlossen gewesen sein, wäre das aber mitteilungspflichtig gewesen, erklärt die Anwaltskanzlei Tilp, die den Musterkläger und weitere 300 Aktionäre vertritt.

Sollten die Kläger Recht bekommen, müsste die Telekom für die fehlenden Angaben im Börsenprospekt haften. Diese Möglichkeit wird zuerst verhandelt. Ein Prospektfehler kann bereits über Zeugenbeweis bestätigt werden. Damit könnte bereits früh im Prozess eine Entscheidung fallen. Mit einem deutlich langwierigeren Verfahren wird gerechnet, wenn der zweite Hauptvorwurf geklärt werden müsste: Ob die Telekom bei der Bewertung ihrer Immobilien in den Geschäftsberichten 1995 und 1996 um mehr als eine Milliarde Euro zu hoch gelegen hat. Dazu müsste nach Ansicht von Experten ein Sachverständigengutachten eingeholt werden - und der Prozess käme zunächst ins Stocken. Allerdings machte das Gerich am zweiten Verhandlungstag überraschend klar, dass es die umstrittene Immobilienbewertung der Telekom für rechtens hält.

Warum zahlt die Telekom nicht einfach den geforderten Betrag?

Mit US-Klägern hat sich das ehemalige Staatsunternehmen Telekom bereits 2005 geeinigt und 120 Millionen Dollar überwiesen. In den USA kam es gar nicht zum Prozess, denn die berüchtigten Sammelklagen nach amerikanischem Recht bergen große Prozessrisiken für Unternehmen.

Abgesehen davon, dass die Telekom sich im Recht sieht, wäre in Deutschland ein solcher außergerichtlicher Vergleich angesichts der aktuellen Rechtslage schwer möglich. Wenn nicht alle 17.000 Kläger einem außergerichtlichen Vergleich zustimmen, wäre die Telekom gezwungen, mit jedem einzelnen zu verhandeln. Dies würde einen noch höheren Aufwand erfordern als der Mega-Prozess in Frankfurt. Der Vorsitzende Richter Dittrich bezeichnete einen umfassenden Vergleich mit allen 17.000 Klägern wegen der hohen Zahl der Parteien als "schlicht undenkbar".

Wie lange wird der Prozess dauern?

Der Prozess ist zunächst auf 17 Verhandlungstage bis Ende Mai angesetzt. Ein Urteil noch in diesem Jahr gilt allerdings als extrem unwahrscheinlich. Experten mutmaßen jedoch, dass der Prozess sich über mehr als zehn Jahre hinziehen könnte.

Zeugen sollen erst ab der kommenden Woche befragt werden - unter anderem Ex-Telekom-Chef Ron Sommer, der noch amtierende Finanzchef Karl-Gerhard Eick sowie Sommers Nachfolger an der Spitze der Telekom, Kai-Uwe Ricke.

© sueddeutsche.de/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: