Angst vor der Linse:Bitte recht heimlich!

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Als Schnappschuss-Lieferanten wurden Foto-Handys entwickelt — nun verbieten viele Industrieunternehmen die Telefone aus Angst vor Spionage.

Von Harald Hordych

James Bond hätte bestimmt längst eines in der Westentasche stecken. Nicht nur, dass man mit Handys heimlich fotografieren kann, während alle Welt denkt, man versuche gerade ein Telefonat zu führen.

(Foto: Foto: AP)

Es kommt noch besser: Kaum ist etwas abgelichtet, besteht die Möglichkeit, das Foto sofort per E-Mail abzusetzen. Paradiesische Aussichten für professionelle Heimlichtuer.

Keine Leibesvisitationen

Von solchen Sorgen werden offenbar Unternehmensleitungen in Deutschland gequält, wenn sie Foto-Handy-Verbote aussprechen. Beim BMW-Werk in München müssen Besucher nicht nur Fotoapparate, sondern auch die Multimedia-Telefone in Schließfächern am Werkstor zurücklassen.

Der bayerische Automobilhersteller lehnt zwar Leibesvisitationen ab. Wie ernst das Unternehmen dieses Thema aber nimmt, zeigt, dass die Sprecherin des Werks München, Gabriele Schattat, berichtet, der Werksschutz habe "Mittel und Wege, das zu kontrollieren". Mehr möchte sie nicht verraten, nur so viel, dass "die BMW Group um dieses Thema sehr besorgt ist". Warum? "Weil diese Handys so klein sind."

Nicht nur BMW hat in den Multimedia-Geräten "ein Problem erkannt", so Gabriele Schattat. Volkswagen kontrolliert stichprobenartig bei Besuchern und Mitarbeitern, ob das Verbot des Mitführens von Fotoapparaten - also auch Foto-Handys - befolgt wird.

Sogar Mobiltelefon-Hersteller wie Nokia und Motorola haben in ihren deutschen Produktionsstätten aus Sorge vor Industrie-Spionage Foto-Handy-Kontrollen am Eingang eingeführt. Bei Motorola Flensburg allein deshalb, weil sich dort eine der wichtigsten Herstellungsstätten für die neuen UMTS-Handys befindet.

Ein Spielzeug wird plötzlich ernst genommen, ernster, als man eigentlich erwarten durfte. Beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz heißt es, die Foto-Handys erhöhten enorm die Möglichkeiten der heimlichen Bildaufnahme. Damit steige auch die Notwendigkeit, dass der Gesetzgeber das Aufnehmen und Verbreiten solcher Fotos im Internet unter Strafe stelle. Eine alte Forderung des Datenschutzbeauftragten.

Nackt und unwissend

Wie aus heiterem Himmel hatte sich im Supersommer 2003 der Verband deutscher Schwimmmeister für ein Foto-Handy-Verbot in Schwimmbädern ausgesprochen.

Man fürchtete Voyeure, die nicht-bekleidete Badegäste in der Umkleidekabine ohne deren Wissen ablichten und die Fotos ins Internet stellen. Diese Forderung ließ der Verband allerdings bald wieder fallen. Es gab nämlich keine konkreten Beschwerden und keine rechtliche Grundlage für ein solches Vorgehen. Dafür gab es Boulevard-Zeitungen, die sich dem Thema gerne bildmächtig annahmen.

In der Tat ist es die Frage, ob den Geräten nicht zu viel Ehre zuteil wird. Die seit etwas mehr als eineinhalb Jahren angebotenen Foto-Handys waren eigentlich als Schnappschuss-Lieferanten gedacht. Zumindest legte das die Standard-Ausstattung mit einem Fotoapparat nahe, der anfangs eine Datenmenge von 30Kilobyte pro Bild zu bieten hatte.

Im Vergleich zu digitalen Kameras, die 1 bis 3 Megabyte schaffen, ist das kaum der Rede wert. Die schwache Auflösung reichte aber für kleinstformatige Momentaufnahmen, die als Multi Media System (MMS) von einem Handy zum anderen geschickt werden.

Dieses Angebot wird bislang eher wenig bis gar nicht genutzt, auch weil MMS bis zu sechsmal teurer sind als die reine Text-Version SMS: Marktführer T-Mobile setzte weltweit von Januar bis Oktober 2003 gerade mal 15 Millionen dieser Fotonachrichten ab. Im gleichen Zeitraum gingen 20 Milliarden SMS über die T-Mobile-Netze.

Trotzdem meldete Motorola während des Weihnachtsgeschäfts Lieferengpässe, und auch bei "Nokia Deutschland" ist man vom Siegeszug der neuen Technologie überzeugt.

Dort schwärmt man von einer "sehr, sehr hohen Nachfrage" und davon, dass die Einführung der MMS nur mit dem Entwicklungssprung vom Schwarzweißfernsehen zur Farb-Version zu vergleichen sei. Von vier neuen Nokia-Modellen im ersten Quartal 2004 haben drei einen Fotoapparat.

Wer sich Websites anschaut, wo jeder seine verwischten Schnappschüsse im Briefmarkenformat ausstellen kann, der blättert in einem Album der Unschärfe und der Fehlfarben. Schwer vorstellbar, dass von solchen Flimmerbildern eine Spitzel-Gefahr ausgehen soll.

Bleibt das Geheimnis nicht im Foto-Nebel verborgen? Davon will Motorola-Manager Jürgen Kühn nichts wissen. Mittlerweile ließen sich mit größerer Kapazität aufgenommene Handy-Fotos auf den PC übertragen und ausdrucken. "Da brauchen Sie keine Digitalkamera mehr", behauptet Kühn tapfer. "Ohne Fotoapparat geht bei Handys nichts mehr."

Drohender Imageverlust

Beim Bundeskriminalamt liegen trotz angeblich verbesserter Bild-Qualität bislang noch keine Fälle von Industriespionage mittels Foto-Handys vor. Das mag auch daran liegen, dass betroffene Unternehmen nach Auskunft der Behörde sehr zögerlich sind, so etwas einzugestehen.

Sie wägen ab zwischen der vagen Hoffnung auf einen Fahndungserfolg und einem drohenden Imageverlust. Denn wer zugibt, sich ausspionieren zu lassen, vermittelt den Eindruck, dass er sich nicht schützen kann. Das BKA will das Handy lieber selbst als "Fahndungsmittel" der Zukunft nutzen.

In Kürze sollen flüchtige Täter statt mit einer Durchsage über Funk mit einer Sammel-SMS an alle Taxifahrer und Busfahrer gesucht werden. Ein Projektversuch verlief erfolgsversprechend. Wer weiß, vielleicht wird irgendwann auch gleich das Foto des Bankräubers per MMS mitgeschickt.

© SZ vom 17.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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