Anbang:Angst vor Chinas Lehman

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Die Probleme beim chinesischen Versicherer Anbang sind offenbar größer als bisher bekannt. Etliche Banken haben bereits den Vertrieb von Policen eingestellt.

Von Christoph Giesen, Peking

Von außen betrachtet, ist beim chinesischen Versicherer Anbang noch alles genauso wie vor dem großen Schock: Der Verkehr braust vorbei an der Zentrale, die an einer der größten Magistralen der chinesischen Hauptstadt liegt. Fährt man die Avenue einige Kilometer gen Westen, stößt man direkt auf den Platz des Himmlischen Friedens. Pünktlich um 12 Uhr strömen die Angestellten zur Mittagspause aus dem Büroturm in die umliegenden Restaurants und Imbisse. Niemand schleppt Kisten, keiner trägt Büropflanzen hinaus. Doch wie lange noch? Das fragen sich inzwischen viele in China. Ein Wort macht dabei immer wieder die Runde: Lehman. Droht der Volksrepublik nach der Verhaftung von Anbang-Chefaufseher Wu Xiaohui womöglich ein Lehman-Brothers-Szenario?

Am Dienstag vermeldete ein chinesisches Wirtschaftsmagazin, dass der umtriebige Wu verschwunden sei. Wenig später teilte das Unternehmen auf seiner Website mit, dass der Aufsichtsratsvorsitzende seine Aufgaben aus "persönlichen Gründen" derzeit nicht erfüllen könne. Am Mittwoch dann der Rücktritt. Seitdem herrscht gewaltige Verunsicherung in der chinesischen Finanzbranche. Immerhin verwaltet die Versicherung fast 300 Milliarden Dollar an Vermögen. Und die Probleme bei Anbang scheinen gewaltig zu sein.

Mehrere Banken haben inzwischen den Vertrieb von Anbang-Produkten eingestellt. Sie verkaufen keine Lebensversicherungen und auch keine Graumarktfonds mehr. Doch genau damit refinanziert Anbang sich. Die Versicherung verfügt zwar über mehrere Vertriebskanäle. Mit Hilfe der Banken wurden jedoch im vergangenen Jahr knapp 90 Prozent der Policen verkauft.

Das eingesammelte Geld investiert Anbang wieder. Etliche Milliarden davon flossen zuletzt ins Ausland. Für knapp zwei Milliarden Dollar kaufte die Versicherung 2015 das New Yorker Waldorf Astoria Hotel. Ende vergangenen Jahres übernahm Anbang das Geschäft der Allianz in Südkorea. Kostenpunkt: 1,6 Milliarden Euro. Auch an der HSH Nordbank, die auf Geheiß der Europäischen Kommission bis Februar 2018 verkauft werden muss, meldete Anbang Interesse an. Und geplant war noch viel mehr: Erst kürzlich wurde ein hochrangiger Manager bei der Schweizer Großbank Credit Suisse abgeworben. Große Deals hieß es in der Branche habe man in Europa vor. Die Nordbank sollte nur der Anfang sein.

Wie sich nun zeigt, stand Anbangs Geschäftsmodell jedoch bereits seit dem Frühjahr enorm unter Druck. Daten der chinesischen Regierung offenbaren, dass im April die Umsätze mit Lebensversicherungen und einigen sogenannten Wealth Management Products (oft hochspekulative Firmenbeteiligungen mit kurzen Laufzeiten, die bei chinesischen Sparern beliebt sind) im Vergleich zum Vorjahresmonat dramatisch eingebrochen sind. Im April 2016 sammelte Anbang noch 5,92 Milliarden Dollar ein. Ein Jahr darauf waren es gerade einmal 218 Millionen. Die Wettbewerber in China konnten hingegen im selben Zeitraum im Schnitt um 4,5 Prozent zulegen.

Doch wenn dem Unternehmen wirklich eine solch dramatische Schieflage drohte, warum griff die zuständige Versicherungsaufsicht nicht schon früher ein? Ein gewichtiger Grund dürften die ausgezeichneten politischen Kontakte von Chefaufseher Wu Xiaohui sein. Er ist mit einer Enkelin des Reformpatriarchen Deng Xiaoping verheiratet - er ist also Teil des innersten Machtzirkel Chinas. So konnte er es sich offenbar lange Zeit leisten, gegen etliche, wenn auch ungeschriebene, Regeln zu verstoßen.

Normalerweise sind Versicherungskonzerne in der Volksrepublik angewiesen, höchstens 15 Prozent des angelegten Geldes außerhalb Chinas zu investieren. Aufsichtsratschef Wu aber ging mit Anbang in den vergangenen zwei Jahren regelrecht auf Einkaufstour im Ausland. Deutlich mehr als 15 Prozent des angelegten Geldes floss ab. Auch in der Politik mischte Anbang mit - ein weiteres Tabu.

Über Monate verhandelte der Konzern mit der Familie von Jared Kushner, dem Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, über den Kauf eines Hochhauses an der Fifth Avenue in New York. Erst Ende März wurde dieser Deal abgeblasen, nachdem Kritiker vor möglichen Interessenkonflikten gewarnt hatten.

Was passiert, wenn Anbang nicht mehr in der Lage sein sollte, seine Verbindlichkeiten zu bedienen? Die Aktienpakete, an denen Anbang beteiligt ist, sind in den vergangenen Tagen zum Teil unter Druck geraten. Springt der Staat dann ein? Wie so oft, erfährt man wenig. Kein Wort bislang, weshalb Wu Xiaohui verhaftet worden ist. Eine offizielle Stellungnahme gibt es nicht. Nur die dürftige Erklärung des Unternehmens. Und das Schlagwort Lehman, das man sich in der chinesischen Finanzbranche zuraunt.

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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