Aktienmarkt:"Die Luft ist dünner geworden"

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Inflations- und Zinssorgen haben an den europäischen Börsen für einen lange nicht mehr gesehenen Kursrutsch gesorgt. Doch Marktstrategen sehen darin keine Trendwende, sondern eine "fällige Korrektur".

Simone Boehringer

Die Einschätzungen der meisten Marktexperten klingen aufs Erste wie immer, wenn es in guten Zeiten an der Börse Aktien mal ein paar Tage nach unten geht: "Diese Korrektur war überfällig", sagt etwa Sören Steinert, Aktienhändler beim Broker Close Brothers Seydler.

"Auf Dauer konnte sich Europa dem Druck durch den hohen Euro, die gestiegenen Rohstoffpreise und die Zinsängste nicht entziehen", fasst er zusammen, was viele seiner Kollegen ebenfalls denken.

"Die nun zu Ende gehende Rekord-Dividendensaison bei den Dax-Unternehmen hat diese negativen Faktoren lange überstrahlt", sagt Frank Schallenberger, leitender Aktienbeobachter bei der Landesbank Baden-Württemberg.

Rohstoffwerte im Fokus

Den langfristigen Aufwärtstrend hält er nicht für gefährdet, rät sogar die jüngste Korrektur zum Nachkaufen zu nutzen. "70 Prozent der Dax-Unternehmen haben mit den Quartalsergebnissen die Prognosen der Analysten deutlich übertroffen", begründet Schallenberger sein Kursziel für 6500 Punkten per Jahresende 2006.

Bernd Meyer vom europäischen Aktienstrategieteam der Deutschen Bank hält immerhin 6300 Zähler für möglich, und das, obwohl der Hausse-Markt seiner Analyse zufolge schon den ganzen April lang "praktisch nur noch von rohstoffaffinen Werten getragen wurde". Die vormalig kurstreibenden Finanztitel und Technologieaktien hätten sich schon länger eher seitwärts bewegt, so Meyer.

Generell räumt eine größer gewordene Zahl von Experten ein, dass "die Luft in den vergangenen Wochen dünner geworden" sei. Gerhard Schwarz, Leiter der Aktienstrategie bei der HypoVereinsbank, hält auch eine größere Kurskorrektur für möglich: "Zwei Jahre lang wurden die Gewinnschätzungen stark nach oben geschraubt", jetzt würden die Steigerungen schwächer. Sein Team hat die Dax-Korrekturphasen seit dem Aktiencrash 1987 zusammengetragen.

Laut Meyer zeigt auch ¸¸die steigende Anzahl der Wetten auf fallende Märkte an den Derivatebörsen", dass viele Investoren nicht mehr so uneingeschränkt positiv gestimmt seien wie zu Jahresanfang. Seiner Ansicht nach "wird jedoch die nach wie vor sehr hohe Liquiditätslage am Markt noch für neue Höchststände beim Dax sorgen".

Auch Schallenberger hält die Inflationsängste vieler Investoren für übertrieben: "16 Leitzinserhöhungen der US-Notenbank in Folge und weitere, die noch kommen, werden die Inflation in Grenzen halten", sagt Schallenberger. Meyer glaubt, dass der europäische Markt davon weitgehend verschont bleiben wird: "Die Arbeitskosten sind im Unterschied zu Amerika hier kaum gestiegen. Das erlaubt den Unternehmen, teuer gewordene Rohstoffeinkäufe auszugleichen, ohne die Produkte nennenswert zu verteuern."

Deutlich kritischer beurteilt dagegen Philipp Vorndran, Chefstratege und Geschäftsführer der Credit Suisse Asset Management in Deutschland, die Lage. "Die Ängste vor hohen Preissteigerungen sind sehr berechtigt", sagt er. Sein Haus rechne mit einer Fortsetzung der Rohstoffhausse und folglich auch mit einem Durchschlagen dieser Teuerung auf die Produzentenpreise in vielen Branchen.

Eine Anlage in Rohstoffe hält er "für das beste Investment der nächsten zehn Jahre", weil das Wirtschaftswachstum weltweit eine stetig erhöhte Nachfrage nach selbigen zur Folge habe. Zudem sorge die laufende Übernahmewelle für höhere Marktanteile einzelner Firmen, die dann tendenziell höhere Preise bei den Verbrauchern durchsetzen könnten.

© SZ vom 16.05.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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