Airbus:Lange Strecken, wenig Zeit

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Airbus steckt in der Zwickmühle: Die Entwicklung des Langstreckenjets A350 muss dringend angegangen werden, um künftig im lukrativen Markt für Langstreckenflüge mitmischen zu können. Doch die Konzernbaustelle A380 macht Zeit zur Mangelware.

Peter Pletschacher

Derzeit vergeht kein Tag ohne neue Aufregung bei Airbus. Nachdem der europöische Flugzeugbauer in den vergangenen Tagen die Auslieferung des Super-Jumbos A380 erneut um ein Jahr nach hinten verschieben musste, steht er nun offenbar auch beim geplanten Langsteckenjet A350 XWB vor schwierigen Entscheidungen.

Große Chancen, großes Risiko: Eine Studie des A350. (Foto: Foto: AFP)

Der Co-Chef der Muttergesellschaft EADS, Thomas Enders, schloss in einem Interview mit der Financial Times Deutschland nicht aus, dass die Entwicklung des mittelgroßen Langstreckenflugzeugs möglicherweise gestoppt werden könnte. "Angesichts der schwierigen Situation, in der wir uns jetzt befinden und der Tragweite der A350-Entscheidung kann es keinen Automatismus geben", sagte Enders.

"Bemerkenswerte Aussage"

In der Fachwelt wurde die Aussage Enders' als weiteres Indiz für die derzeitigen Schwierigkeiten bei Airbus genommen: "Dass er es nun offen gelassen hat, ob der A350 weiter entwickelt wird, ist eine bemerkenswerte Aussage", sagt der Luftfahrt-Experte Peter Pletschacher vom Branchenblatt Aviation.

Eigentlich habe Airbus den Startschuss für die Entwicklung des A350 im Oktober geben wollen. Wenn sich der europäische Flugzeugkonzern nun aus der Entwicklung des Langstreckenjets zurückziehe, überlasse er Boeing das sehr lukrative Marktsegment mittelgroßer Langstreckenflugzeuge, erklärt Pletschacher.

Zweigeteilter Markt

Für Airbus wäre das ein erheblicher Rückschlag. Denn die Experten sind sich derzeit einig, dass der Markt für Flugpassagiere künftig zweigeteilt sein wird: Gerechnet wird mit dem Bedarf an billigeren Flüge mit den Superjumbos, die auf den Hauptverkehrsstrecken die großen Drehkreuze ansteuern und die dem Passagier möglicherweise mehrfaches Umsteigen abverlangen bis er sein Endziel erreicht. Im Zeitalter der Globalisierung dürfte aber auch das punktgenaue Erreichen sogar weit entfernter - und womöglich abseits gelegener - Ziele zunehmend nachgefragt werden.

Für das erste Segment steht Airbus mit dem A380 derzeit kurz vor der Markteinführung. Die Probleme seien derzeit zwar größer als ursprünglich angenommen, räumt Pletschacher ein. Doch Boeing könne kein echtes Konkurrenzprodukt anbieten.

Der Jumbo Boeing 747-8, der derzeit neu entwickelt werde, sei bislang nur auf die Nachfrage von Frachtgesellschaften gestoßen. Zudem hätten die Fluggesellschaften kaum eine andere Chance, als auf den A380 zu warten. Denn selbst wenn sie nun ihre Bestellungen bei Airbus stornieren würden, könnte Boeing die neue 747 kaum früher liefern. Schließlich sei mit der Eingliederung des neuen Boeing-Jumbos in den Flugbetrieb nicht vor 2011 zu rechnen.

Schon 2008 im Liniendienst

Im Markt für zielgenaue Langstrecken hat dafür allerdings Boeing mit dem Modell 787 die Nase vorn. Denn Airbus hat mit der Konstruktion des Konkurrenzfliegers A350 XWB noch nicht einmal begonnen, während Boeing derzeit plant, die 787 schon 2008 in den Liniendienst einzustellen.

Allerdings dürfte das nur dann der Fall sein, wenn alles so klappt, wie sich Boeing das derzeit vorstellt. Dies sei allerdings fraglich, denn Boeings Ziele seien sehr "sportlich", gibt Pletschacher zu bedenken. Der US-Flugzeugbauer habe im Augenblick drei Risiken abzudecken:

Erstens kämpfe die 787 im derzeitigen Planungsstadium mit Gewichtsproblemen. Diese zu reduzieren, sei eine enorme technische Herausforderung. Zweitens sei Boeings Zeitplan von vorneherein sehr ambitioniert ausgefallen. Es würde niemanden wundern, wenn er nicht eingehalten werden könne, selbst wenn keine größeren Komplikationen auftreten würden. Drittens habe Boeing die Produktion erstmals extrem globalisiert. Die Strategie, weltweit die billigsten Zulieferer zu beauftragen, sei zwar kostengünstig, müsse aber erst einmal bewältigt werden, mahnt Pletschacher.

Risiken auch bei Airbus bekannt

Die Risiken für den Konkurrenten seien auch bei Airbus bekannt. Es könne daher durchaus sein, dass der EADS-Chef mit seiner jetzigen Infragestellung des A350 nur nach der Strategie "abwarten und Tee trinken" verfahre. Denn gerate Boeing bei der weiteren Entwicklung der 787 tatsächlich in Schwierigkeiten, würden Airbus die weiteren Entscheidungen zum A350 möglicherweise leichter gemacht, meint Pletschacher. "Dann hat Airbus zwei Optionen: Entweder sie nehmen sich die Zeit und warten ab, oder sie setzen gleich was wesentlich Besseres dagegen."

Beim ersten Szenario könne der europäische Flugzeugbauer seine Ingenieurkapazitäten auf den A380 konzentrieren und hätte mehr Spielraum, wenn etwa das Erfolgsmodell A320 in einigen Jahren auf Grund des Fortschritts im Triebwerksbau modernisiert werden müsste.

Neuland

Die letztere Reaktion könne hingegen angebracht sein, wenn Airbus von Boeing lerne und die Probleme des Konkurrenten schon in der frühen Planungsphase in den Griff zu bekommen versuche. Schließlich ist der Bau eines solchen mittelgroßen Langstreckenflugzeuges ja für beide Unternehmen Neuland", gibt Pletschacher zu bedenken.

Allerdings beinhalte der Versuch des Zeitgewinns für Airbus auch Risiken. Denn gelinge es Boeing, den eigenen ambitionierten Plan einzuhalten, laufe Airbus die Zeit davon. Man könne mit einem Konkurrenzmodell zwar schon mal etwas später dran sein, doch der Zeitrahmen dafür liege bei maximal drei Jahren. Das belege der Vergleich der Modell A340 und 777: "Mit der A340 kam Airbus 1991 auf den Markt, während Boeing mit der 777 erst 1994 nachgezogen ist. Beide Modelle waren aber ein Erfolg", erläutert Pletschacher. Wenn sich der Zeitverlust in Grenzen halte, müsse man eben nur ein etwas besseres Flugzeug bauen.

Sollte Boeing die 787 also wie geplant 2008 in den Liniendienst einstellen, müsse Airbus mit der Entwicklung des A350 eben doch bald beginnen, um sein Konkurrenzmodell für 2011 anbieten zu können. "Fünf Jahre bis zur Marktreife müssen einkalkuliert werden", erläutert Pletschacher.

Chancen und Risiken

Nach den Äußerungen von EADS-Co-Chef Enders verstärke sich so der Eindruck, dass Airbus in einer Zwickmühle steckt, meint Pletschacher. Entweder entscheide sich der europäische Flugzeugkonzern für die baldige Entwicklung des A350. Dann wahre er in jedem Fall die Chance, in einem lukrativen Markt mitspielen zu können. Er riskiere aber auch weitere Lieferverzögerungen beim A380, da er seine Ingenieurskapazitäten überdehnen könnte. Weniger riskant wäre daher eine Vertagung der Entscheidung zum A350. Doch dann riskiere Airbus, im lukrativen Markt für mittelgroße Langstreckenjets schon heute den Anschluss zu verpassen.

© Gespräch: Paul Katzenberger - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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