AIG:Der weltgrößte Versicherer taumelt

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Einer der größten Finanzkonzerne der Welt steht am Rande des Kollaps. Experten befürchten den Gau.

Moritz Koch und Martin Hesse

Der Versicherer American International Group (AIG) sucht händeringend nach Kapital. Ein Zusammenbruch hätte unkalkulierbare Folgen für das globale Finanzsystem. Überall auf der Welt sind Investoren eng mit AIG verstrickt. Berichte über eine mögliche Rettung mit staatlichen Mitteln sorgten am Dienstagabend für etwas Erleichterung.

(Foto: Foto: Reuters)

Die Nervosität wird größer

AIG ist ein Konglomerat aus einer Vielzahl einzelner Firmen. Der Konzern beschäftigt 100.000 Mitarbeiter weltweit und verkauft Lebensversicherungen, garantiert Kreditgeschäfte, betreibt eine Investmentbank und ist auch in lukrativen Marktnischen wie dem Flugzeug-Leasing engagiert.

Versicherungen für hypothekengedeckte Wertpapiere wurden dem Konzern zum Verhängnis. Viele dieser Papiere sind praktisch wertlos, seit die Spekulationsblase am amerikanischen Immobilienmarkt geplatzt ist und viele Amerikaner ihre Schulden nicht mehr tilgen können. AIG muss nun für Teile der Milliardenverluste von Banken und Hedgefonds einstehen.

Die Nervosität an den Finanzmärkten wird immer größer. Seit AIG massiv unter Druck steht, kletterte ein Maß der Risikoscheu auf das höchste Niveau seit Dezember 2001. Finanzinstitute wollen sich untereinander nur noch zu hohen Zinsen Geld leihen. "Die Angst geht um. Man weiß nicht, wer wo engagiert ist und wer sein Geld einfach nicht mehr zurückbekommt", sagt Imke Jersch von der Norddeutsche Landesbank. ,"Es ist ein Dominoeffekt; niemand weiß, wer als nächstes fällt."

75 Milliarden Dollar nötig

Am späten Montagabend hatten führende Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit von AIG herabgestuft. Allein dadurch schnellte der Kapitalbedarf von AIG noch einmal um 14 Milliarden Dollar nach oben. Die Regierung in Washington erwartet mittlerweile, dass AIG bis zu 75 Milliarden Dollar benötigt, um dem Zusammenbruch zu entgehen.

Am Dienstag meldete sich der frühere AIG-Chef Maurice Greenberg zu Wort, der den Konzern aufgebaut hat. "Die Zeit wird knapp", sagte Greenberg im US-Fernsehen. "AIG braucht Hilfe." An sich sei das Unternehmen mit seinen Vermögenswerten von einer Billion Dollar aber solvent. Unterdessen schwindet das Vertrauen der Märkte in den derzeitigen AIG-Chef Robert Willumstad rasant. Ihm wird vorgeworfen, zu geringe Kompetenz im Versicherungsgeschäft zu haben.

"Absoluter Gau"

An den europäischen Börsen herrschte am Dienstag zeitweise erneut Panik angesichts der Unsicherheit über die Zukunft von AIG. Experten fürchteten, eine Pleite des weltweit größten Versicherers könnte noch gravierendere Folgen für die Finanzwirtschaft haben als die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers. "Wenn AIG zusammenbräche, wäre das der absolute Gau", sagte Philip Gisdakis, Kreditmarktexperte bei der italienischen Großbank Unicredit.

Der Chef der Bank of America Kenneth Lewis hatte am Vortag erklärt, er kenne keine große Bank, die nicht im Zusammenhang mit AIG keinen Risiken ausgesetzt sei.

Auch das Schicksal anderer Finanzinstitutionen hängt vom Überleben von AIG ab.

Der weltgrößte Anleihefonds Pimco Total Return Fund hat AIG Anleihen im Volumen von 760 Millionen Dollar garantiert. Erst am Montag musste die Traditionsbank Lehman Brothers Konkurs anmelden. Auch sie war eng in das globale Finanzsystem eingebunden. Analysten befürchten, dass auf Banken und Versicherungen weltweit neue Abschreibungen zukommen, sollte nach Lehman auch AIG gezwungen sein, milliardenschwere Wertpapierbestände auf den Markt zu werfen.

"Egal wie geordnet die Liquidation direkter Marktpositionen von Lehman (und möglicherweise AIG) vonstatten geht, wird sie kurzfristig zu weiteren Wertberichtigungen bei Banken und Nicht-Banken führen", schreibt die Schweizer Credit Suisse.

Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Michael Diekmann, bezifferte das maximal denkbare Ausfallrisiko durch Geschäftsbeziehungen mit Lehman auf 400 Millionen Euro. In Bratislava sagte Diekmann zudem, die Probleme der AIG würden die Allianz kaum betreffen. "Ich sehe keine Auswirkungen." Zum Verkauf stehende AIG-Teile wie die Rückversicherung oder die Leasing-Sparte seien für die Allianz nicht interessant. Andere Bereiche, die möglicherweise noch zur Disposition stünden, werde sich die Allianz anschauen.

Die Analysten von Credit Suisse fürchten, eine Folge sei, dass Finanzkonzerne weitere Kapitalerhöhungen brauchten. Am Dienstag kursierten an den Börsen Spekulationen, dass der belgisch-niederländische Finanzkonzern Fortis neues Kapital eintreiben werde. Am Abend dementierte Fortis in einer Mitteilung derartige Pläne und erklärte, die Gerüchte würden durch Emails gezielt gestreut. Der Kurs erholte sich daraufhin etwas.

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