Agrarministerin Ilse Aigner:Im Land des Lächelns

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Die neue Bundesagrarministerin Ilse Aigner ist klug, charmant und ein Politprofi - und wischt freundlich manches Problem beiseite.

Daniela Kuhr

Fast wäre es zum Kampf gekommen. Die Fotografen rempeln sich gegenseitig um, der mit der blauen Jacke haut seinem Hintermann die Kamera auf den Mund. Weitere drängen nach vorn.

Ilse Aigner: Tiefe Stimme, oberbayerischer Tonfall (Foto: Foto: dpa)

Jeder will ein Foto, komme was wolle. Dabei wird einfach nur die Grüne Woche eröffnet. Wie jedes Jahr. Zum 74. Mal. Doch den Fotografen geht es nicht um die hübsch drapierten Tulpen, den dekorativ angeschnittenen Käse oder den saftigen Schinken. Sie wollen nur eines: ein Foto von der schlanken hochgewachsenen Frau im grünen Dirndl - wie sie Tomaten in die Kamera hält, Hopfenblüten in die Luft wirft oder lächelnd einen Maßkrug ansetzt.

"Die wirkt sehr nett"

Ilse Aigner hatte am Freitagmorgen Premiere. Zum ersten Mal in ihrer Funktion als neue Bundeslandwirtschaftsministerin eröffnete die CSU-Politikerin die Grüne Woche, die größte Agrarmesse der Welt. Auf dem traditionellen Rundgang begleiteten sie Bauernpräsident Gerd Sonnleitner und Berlins Regierender Oberbürgermeister Klaus Wowereit.

Das ist schon allein deshalb erwähnenswert, weil es sonst womöglich keiner bemerkt hätte. Die Aufmerksamkeit galt einzig und allein Aigner, die um Punkt acht Uhr morgens perfekt gestylt mit strahlendem Lächeln die Messe betrat. "Ja, da haben die Bayern uns endlich mal jemand Feschen geschickt", sagt ein älterer Herr, der aus dem Ems-Weser-Kreis angereist ist, um die Messe zu besuchen. "Die wirkt sehr nett." Auch Sonnleitner ist beeindruckt: "Einem Mann geht immer das Herz auf, wenn er eine Frau im Dirndl sieht, zumal wenn sie jung ist und was von Politik versteht."

Noch sind die 100 Tage nicht voll. An diesem Freitag ist Aigner erst 77 Tage im Amt der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Doch die 44-Jährige hat eine Schonzeit nicht mehr nötig. Sie tritt absolut routiniert auf. Keine einzige Frage der Journalisten bringt Aigner ins Stottern. Egal, ob es um den Welthunger, die Milchbauern, nachwachsende Rohstoffe oder die Kennzeichnung von Nahrungsmitteln geht - die Antworten kommen schnell, ohne jedes "Äh".

Wie bei einem Profi üblich fällt die Antwort meist oberflächlich aus. "Wir müssen weltweit dafür sorgen, dass Nahrungsmittel produziert werden", sagt sie beispielsweise auf die Frage, wie das Ernährungsproblem zu lösen sei. Und in der Halle für nachwachsende Rohstoffe versichert sie: "Uns ist wichtig, dass die nachwachsenden Rohstoffe einen bedeutenden Platz bekommen." Nein, eine Schonzeit hat die neue Landwirtschaftsministerin nicht mehr nötig.

Aigners Entwicklung dürfte manchen überrascht haben. Auf den ersten Blick wirkt sie nämlich weich, zu weich für das Amt und den Umgang mit Deutschlands nicht immer ganz einfachen Bauern. Sie lächelt viel. Doch sobald Aigner zu reden beginnt, mit ihrer tiefen Stimme im oberbayerischen Tonfall, ist alles Weiche, Nachgiebige verschwunden. So sprechen Menschen, die sich ihrer Sache sicher sind und keine Auseinandersetzung scheuen. Fast herb wirkt sie - wäre da nicht immer wieder das herzliche Lachen. "Sie ist Profipolitikerin", sagt Sonnleitner. "Auf eine sehr charmante Art weiß sie sich durchzusetzen."

Dabei verliefen die ersten Wochen durchaus holprig. Es war kein leichtes Erbe, das Aigner am 31. Oktober antrat. Modisch gekleidet, im grauen Jacket mit grüner Halskette erschien sie zu ihrer ersten Pressekonferenz. An ihrer Seite Amtsvorgänger Horst Seehofer, der neue CSU-Chef.

Er ein Politschwergewicht mit Charisma, sie dagegen eine eher zurückhaltende hübsche Frau, die bis dahin kaum einer kannte. "Die Fußstapfen, in die ich trete, sind riesig", sagte sie zu den Journalisten. "Größe 46", wandte Seehofer von der Seite ein. Aigner lachte, fuhr dann aber fort: "Ich habe großen Respekt vor dem Amt." Nicht ganz zu unrecht, wie sie gleich darauf erfahren sollte.

Kollision der Interessen

Ein Pressevertreter wollte wissen, ob Aigner für hohe Preise im Sinne der Landwirte sei oder für niedrige Preise im Sinne der Verbraucher. Ihre Antwort kam schnell, etwas zu schnell. "Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Verbraucher hat ein Interesse daran, dass die Landwirtschaft funktioniert und dass die Landwirte faire Preise bekommen." Es wirkte, als hätte man ihr das kurz vorher noch zugeflüstert. Bei der Nachfrage geriet Aigner prompt ins Stocken. Wie es denn mit armen, kinderreichen Familien sei, wollte ein anderer wissen.

Ob denen wohl auch wichtig sei, dass die Bauern gut bezahlt werden? Aigner blickte zu Seehofer. Doch der zuckte nur die Schultern: "Ich wurde nicht gefragt." Also musste sie selbst ran - und schwurbelte etwas davon, dass die Menschen bereit seien für gute Lebensmittel zu bezahlen. Zum Glück hakte keiner nach. Vielleicht wurde ihr in dem Moment erstmals bewusst, wie schwierig die Aufgabe wird, die auf sie zukommt.

Als Ministerin muss Aigner sich für die Landwirte, die Ernährungsindustrie und die Verbraucher zugleich einsetzen, obwohl deren Interessen oft gegenläufig sind. Ihr Vorgänger löste das Problem, indem er viel versprach und wenig hielt. Aber ob ihr das als Vorbild dienen sollte?

Sechs Tage später. Ein kühler Herbstmorgen wie aus dem Bilderbuch, strahlendblauer Himmel. Aigner ist nach Bad Tölz gekommen, wie jedes Jahr, zur Leonhardi-Fahrt, bei der traditionell gekleidete Wallfahrer auf geschmückten Pferdewagen durch den Ort fahren, um sich anschließend zum Gottesdienst unter freiem Himmel auf dem Kalvarienberg zu versammeln.

Es ist Aigners Wahlkreis. Für sie war selbstverständlich, dass sie auch dieses Mal anreist. Doch Aigner ist eben nicht mehr eine normale Abgeordnete, sie ist Bundesministerin. Der Milchstreit kocht gerade wieder hoch. Nur einen Tag später soll im Bundesrat die entscheidende Sitzung dazu stattfinden.

Für Bayern und die Milchbauern, die zu den CSU-Stammwählern zählen, zeichnet sich eine Niederlage ab. Und doch - an diesem kritischen Tag ist die neue Landwirtschaftsministerin nicht in Berlin, sondern steht im Dirndl in Bad Tölz. Vor der Kapelle. Bei gleißendem Sonnenschein. Sie möge die Gabe haben, Ketten zu lösen, wünscht der Pfarrer ihr in seiner Predigt. "Die Bauern leiden darunter, dass die Preise sinken. Die Verbraucher aber freut das. Wie wird die Ministerin diesen Konflikt lösen?" Eine Antwort liefert er nicht.

"Nicht hierarchisch"

Der Ausflug nach Bad Tölz hat bei so manchem in Berlin ein Kopfschütteln provoziert. Seehofer hätte so etwa nie gemacht. Der hätte den ganzen Tag am Telefon gehangen, um die Länder doch noch zum Einlenken zu bewegen. Auch die Gelegenheit, am nächsten Tag im Bundesrat zu reden und sich für die Milchbauern einzusetzen, ließ Aigner aus. Stattdessen verhandelte sie mit europäischen Amtskollegen und mit dem Einzelhandel. War sie feige? Vielleicht. Vielleicht war sie aber auch klug. Es wäre ihre erste große Niederlage gewesen, nach gerade mal einer Woche im Amt. Wer so beginnt, hat schon verloren.

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Sie sei "nicht hierarchisch", hatte Seehofer über sie gesagt. Und genau das dürfte der Grund gewesen sein, warum Aigner unbedingt nach Bad Tölz hatte reisen wollen. Eben weil sie erst wenige Tage Ministerin war, wollte sie den Menschen in ihrer Heimat zeigen: Schaut her, ich bin noch die gleiche. Mir ist das nicht zu Kopf gestiegen. Das war ihr wichtig. Dass das nicht jeder versteht, damit kann sie leben. An einem mangelt es ihr sicher nicht: Selbstvertrauen.

Aigner war bei der CSU schon länger für höhere Aufgaben gehandelt worden. Mit 18 war sie in die Junge Union eingetreten, mit 21 in die CSU. Sie saß im Gemeinderat, im Kreistag, im bayerischen Landtag und schließlich seit gut zehn Jahren im Bundestag. Ob sie sich als Frau, noch dazu als unverheiratete, in ihrer Partei immer gut aufgehoben fühlte? "Ja", sagt sie, ohne zu zögern. "Ich habe mich in der CSU nie als Exotin gefühlt." Vielleicht, räumt sie ein, liege das aber auch daran, dass sie als gelernte Radio- und Fernsehtechnikerin gewohnt war, viel mit Männern zusammenzuarbeiten.

Ihren ersten großen Auftritt auf internationaler Bühne hatte sie Ende November in Brüssel. Zwar konnte Aigner dort nicht verhindern, dass bald noch mehr Milch produziert werden darf, doch immerhin setzte sie einen Fonds durch, der den Landwirten Erleichterung bringen soll. "Mehr war nicht drin", sagte sie im Anschluss. Die Milchbauern reagierten enttäuscht. Bei den meisten Gesprächspartnern aber hinterließ die Ministerin einen starken Eindruck. "Sie war bestens informiert und hat hart, aber fair verhandelt", sagt ein EU-Vertreter, der sie in Brüssel erlebt hat.

Danach wurde es wieder ein paar Wochen ruhig um sie. Die größte Aufmerksamkeit erlangte sie noch damit, dass sie in der Vorweihnachtszeit die Kerzen auf dem Adventskranz brennen ließ und so das Büro im Ministerium verwüstete. Der Vorfall ist ihr unsagbar peinlich. Aber immerhin: Sie machte ihn öffentlich, um auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Schließlich ist Aigner auch Ministerin für Verbraucherschutz.

Ein Thema, das unter ihrem Vorgänger ein wenig in den Hintergrund geraten ist. Sie will es wieder stärker besetzen, und die Finanzkrise dürfte ihr noch viele Gelegenheiten dazu geben. "Ich habe den Eindruck, dass Frau Aigner dem Verbraucherschutz einen großen Stellenwert einräumt und ernsthaft gewillt ist, sich des Themas anzunehmen", sagt Gerd Billen, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Den guten Willen stellen alle bei ihr fest, genauso, wie alle sie sympathisch finden. Doch das reicht nicht aus, um sich als Politikerin zu profilieren. Und Aigner ist zu klug und zu lange im Geschäft, um das nicht zu wissen.

Auf der Grünen Woche zieht der Tross weiter zum Stand der Schweden. Ein Herr reicht Aigner, Sonnleitner und Wowereit ein Gläschen "Elkschnaps", sie nippen kurz. Die Fotografen reißen die Kameras hoch. Auch einer der Besucher versucht, ein Foto zu schießen. Ob er denn wisse, wer das ist? "Na, der Wowi", sagt er verblüfft. Und die Frau daneben? "Ne, tut mir leid, da muss ick passen", berlinert er. "Die kenn ick nich."

"Natürlich habe ich mich gefragt: Kannst du das? Schaffst du das?", antwortete Aigner einmal auf die Frage, ob sie sich das Ministeramt auf Anhieb zugetraut habe. "Aber ich habe ein großes Gottvertrauen. Es ist bisher immer gut gelaufen, und ich hoffe, dass es auch künftig gut läuft." Und da ist es wieder, das Lachen.

© SZ vom 17.01.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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