Der Einfluss ist nicht genau messbar, aber offensichtlich: Bei Siemens verweigerte auf der Hauptversammlung im Januar jeder dritte der anwesenden Aktionäre dem Management die Entlastung - eine Reaktion auf die unzähligen Korruptionsskandale.
Auch Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender bei Volkswagen, musste beim letzten Aktionärstreffen massive Kritik einstecken. Beim Automobilzulieferer Continental gelang es im vergangenen Jahr sogar, eine geplante Kapitalerhöhung zu verhindern; sie ging erst dieses Jahr in reduziertem Umfang über die Bühne.
In allen Fällen war eine Firma namens Institutional Shareholder Services (ISS) involviert. Sie gibt Großinvestoren Hinweise, wenn eine Aktiengesellschaft aus ihrer Sicht gegen das Prinzip der nachhaltigen und guten Unternehmensführung (Corporate Governance) verstößt.
Ein Abstimmungskriterium unter vielen
"Stimmen Sie gegen die Entlastung des Aufsichtsrates'', lautete beispielsweise die Empfehlung bei Volkswagen. "Corporate Governance ist für institutionelle Anleger aber nur ein Abstimmungskriterium unter vielen. Daher wissen wir nicht, ob und wie viele Kunden unseren Ratschlägen tatsächlich folgen'', sagt eine ISS-Sprecherin.
Trotzdem stößt der Service nicht bei jedem auf Wohlgefallen. "Auch wenn der Trend zu steigenden Aktionärspräsenzen und damit zu weniger Zufallsentscheidungen geht, sehen viele Streubesitzer die Entwicklung mit gemischten Gefühlen'', sagt ein Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.
Der Grund seien Beratungsunternehmen wie ISS, die institutionellen Anlegern die Wahrnehmung der Aktionärsrechte erleichterten.
Doch wer steckt hinter dem Kürzel ISS? Das Agieren im Hintergrund - man tritt auf Hauptversammlungen nicht selbst am Rednerpult auf - passt zur geringen öffentlichen Wahrnehmung der Firma.
Von JP Morgan abgespalten
Das Unternehmen ist im Januar dieses Jahres für 550 Millionen Dollar an den New Yorker Finanzdienstleister Riskmetrics übergegangen. Letzterer wurde 1998 von der Investmentbank JP Morgan abgespalten und ist auf Risikoanalysen spezialisiert.
Die wichtigsten Eigentümer der Firma sind neben eigenen Mitarbeitern die Finanzinvestoren General Atlantic, Spectrum und Technology Crossover.
ISS agiert nach eigenen Angaben als weltweiter Marktführer, berät 1700 Fonds, Investmentgesellschaften und Pensionskassen in Fragen rund um die jährlichen Aktionärstreffen.
Dazu gehören beispielsweise die Analyse von Managementaktivitäten, konkrete Abstimmungsempfehlungen für einzelne Tagesordnungspunkte und Tipps bei Sammelklagen.
Vermögende ISS-Kunden
Die Preise für diesen Service variieren je nach Aktienbestand und Umfang der Analysen zwischen 1000 und 100.000 Euro. Wie vielfältig die Geschäftskontakte von ISS sind, zeigt sich daran, dass ISS-Kunden immerhin ein Vermögen in Höhe von 25,5 Billionen Dollar verwalten.
Zum Vergleich: Der weltgrößte Vermögensverwalter UBS hat nicht einmal ein Zehntel dieses Wertes im Portfolio.
In Deutschland ist die ISS-Präsenz noch vergleichsweise gering - auch weil Fonds hierzulande, im Gegensatz zu den USA, gesetzlich nicht dazu verpflichtet sind, auf Hauptversammlungen abzustimmen.
Deutsche Filiale geplant
Trotzdem stößt die Möglichkeit professioneller Stimmrechtsberatung bei institutionellen Investoren mittlerweile auf reges Interesse, heißt es bei ISS. Um dem gerecht zu werden, will ISS noch in diesem Jahr ihre erste deutsche Niederlassung in Frankfurt eröffnen.
Bei Kapitalmarktbeobachtern stößt die ISS-Vormachtstellung dagegen auf wenig Gegenliebe. "Ein größerer Wettbewerb unter den professionellen Stimmrechtsberatern wäre wünschenswert und würde die Präsenzen auf Hauptversammlungen sicherlich weiter erhöhen'', sagt Professor Rüdiger von Rosen.
Der Geschäftsführer des Deutschen Aktieninstituts sieht ein weiteres Problem: "ISS lässt sich nur ansatzweise auf den europäischen Rechtsrahmen und nationale Bestimmungen für Unternehmen ein.''
Enge Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat
Rosen spielt vor allem auf das enge Zusammenwirken zwischen Vorstand und Aufsichtsrat an, "das in angelsächsisch geprägten Volkswirtschaften mit ihren einheitlichen Managementsystemen oftmals nicht verstanden wird''.
Des Weiteren sehen Fachleute einen Interessenkonflikt, da ISS die Aktiengesellschaften auch in Sachen Corporate Governance berät und gleichzeitig auf deren Hauptversammlungen dagegen Stellung bezieht.
Für den streitbaren Würzburger Wirtschaftsprofessor Ekkehard Wenger tragen solche Stimmrechtsberater ohnehin nicht dazu bei, den Abstimmungsprozess transparenter zu machen: "Im Gegenteil, das verbessert eher das enge Verhältnis zwischen Großinvestoren und Unternehmensführung. Das Interesse der Kleinaktionäre bleibt dagegen wieder einmal auf der Strecke.''
Gelassenheit
Bei der Firma aus der Washingtoner Vorstadt Rockville geht man mit der Kritik gelassen um. "Wenn Firmen sich in Corporate-Governance-Fragen verbessern, kommt das auch Kleinanlegern und Arbeitnehmern zugute'', sagt Jean-Nicolas Caprasse, verantwortlich für das ISS-Europageschäft.
"ISS selbst verfolgt ohnehin kein bestimmtes Interesse.'' Auch Investoren, die nach dem Kriterium der verantwortungsvollen Unternehmensführung abstimmen, hätten keine kurzfristigen Profitziele. Die Firmen, auf die sich die ISS-Empfehlungen auswirken, bestätigen diese Ansicht weitgehend - so auch im erwähnten Fall von Continental.
"ISS hat mit offenen Karten gespielt. Die Ergebnisse wurden noch vor der Hauptversammlung veröffentlicht. Wir wussten also frühzeitig, wo wir ansetzen mussten'', sagt Thomas Greth, Leiter der Investor-Relations-Abteilung von Continental.
Ivox als Alternative
Eine Alternative zu ISS ist die Karlsruher Firma Ivox. In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Investment und Asset Management bietet der Neuling seit Januar 2007 einen Hauptversammlungsservice an.
Dabei werden 160 Unternehmen aus den Dax-Indizes sowie 61 nicht-deutsche Mitglieder von Euro Stoxx 50 und Stoxx 50 unter die Lupe genommen. Zu den Nutzern des Dienstes zählen beispielsweise die führenden Fondsgesellschaften DWS, Union und Dit.
"Wir setzen kein einheitliches Muster an, sondern beraten individueller und flexibler als ISS'', sagt Ivox-Gründer Alexander Juschus. Pikanterweise war Juschus einst selbst Deutschland-Chef von ISS.