20 Jahre nach dem Big Bang in London:Erst ignoriert, dann kopiert

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Vor 20 Jahren hörte außerhalb der Londoner Finanzmeile kaum einer hin, als es dort zum so genannten Big Bang kam. Doch inzwischen hat sich herausgestellt, dass dieser Urknall die Welt veränderte.

Von Gerd Zitzelsberger

Es roch, wie die Briten in solchen Fällen sagen, nach nassen Feuerwerkskörpern: Die neuen Regeln, die am 27. Oktober 1986 in Kraft traten, waren eine der unzähligen Reformen unter der Herrschaft von Premierministerin Margaret Thatcher: Wirtschaftspolitikern und vielen Spitzenmanagern erschien das Ganze sehr technisch, sehr speziell und für den weiteren Lauf der Geschichte höchst bedeutungslos.

Schließlich ging es doch nur darum, dass die Börsenhändler künftig ihre Gebühren mit den Kunden frei vereinbaren konnten. Oder etwa darum, dass die Trennung von Händlern und so genannten Marktmachern - sie stellen sicher, dass man immer einen Käufer oder Verkäufer bei einem Wertpapiergeschäft findet - aufgehoben wurde.

"Einfach nicht ans Telefon gegangen"

Auch dass in Großbritannien künftig Firmen an Stelle von Einzelpersonen als Börsenhändler auftreten konnten, galt keineswegs als Revolution. Und dass die ehrwürdige London Stock Exchange als erste der großen Börsengesellschaften wenige Tage später den Handel vom Parkett auf den Bildschirm verlagerte, freute in erster Linie Computer-Enthusiasten.

Selbst ein Jahr danach galt die Reform noch als missglückt: "In Deutschland blieb der Handel liquide, in London dagegen sind die Händler einfach nicht ans Telefon gegangen", hieß es bei Experten nach dem Börsenkrach vom Oktober 1987.

Amerikanische Banken waren die ersten, die die neuen Möglichkeiten der Reform nutzten, ihre Dependancen in London vergrößerten und dort in den Aktienhandel einstiegen. "Dass die Amerikaner gekommen sind, war das Wichtigste. Sie haben Innovationen und Wettbewerbsgeist gebracht", urteilt heute beispielsweise Howard Shore, der selbst vom Scheitel bis zur Sohle den Typ des klassischen britischen Bankiers verkörpert.

Tatsächlich regierte in der "City", der Londoner Finanzmeile, vor 20 Jahren noch das "old boys network", das Beziehungsgeflecht alter Bekannter: Geschäfte machte man unter sich, möglichst beim Mittagessen. Entscheidungen fielen im privaten Gespräch zwischen Ministern und Honoratioren der City. Und die schlimmste Strafe für eine Bank war, wenn der Notenbank-Chef missbilligend die Augenbrauen hochzog.

Mit dem Einzug der amerikanischen Banker änderte sich alles. Hinzu kam: Englisch entwickelte sich zu weltweiten Zweitsprache. In den USA selbst oder etwa in Japan unterlagen die Banken strengen Beschränkungen.

In London dagegen konnten sie, soweit es um internationale Geschäfte ging, die den britischen Binnenmarkt nicht berührten, schalten und walten, wie sie wollten. Außerdem war und ist Großbritannien, so der deutsch-britische Investmentbanker Olav zu Ermgassen, eine Steueroase für große Vermögen. Mancher internationale Anleger scheute zudem das US-Territorium wegen möglicher Sanktionen.

Kapital strömte nach London, der internationale Wertpapierhandel begann zu blühen und schon und schon die schiere Menge des Kapitals und der Wettbewerb führten dazu, dass in London immer neue Finanzinnovationen auf den Markt kamen. Der Boom der Finanzplatzes und die englische Sprache zogen später dann auch das Geschäft mit Firmenübernahmen nach London.

Der Big Bang war es nicht allein, aber ohne ihn wäre es lange nicht so schnell zur Globalisierung der Finanzwelt gekommen. "Die City ist nicht stark beim Erfinden neuer Instrumente. Aber sie übernimmt schnell in großem Stil die Innovationen anderer.

Enorme Wertschöpfung entspricht

Das macht ihre Stärke aus", urteilt David Lascelles, der Direktor des Finanzforschungsinstituts CSFI. Selbst die Deutsche Börse, die mit ihren Tochter Eurex zu den wirklichen Innovatoren gehört, verdankt ihre Größe zu einem guten Teil London und dem Big Bang dort: An der Themse sitzt ein Großteil der Eurex-Nutzer.

Mittlerweile erwirtschaftet die Londoner City - genau genommen ist es nicht nur die traditionelle Finanzmeile in der Innenstadt, sondern auch das neue Finanzviertel in Canary Wharf ein paar Kilometer östlich - eine Wertschöpfung, die Europas achtgrößtem Staat entspricht.

Auf London entfällt 32 Prozent des weltweiten Devisenhandels, das ist weit mehr als auf New York. 70 Prozent des Anleihehandels (ohne Neuemissionen) werden in London getätigt. Bei Terminkontrakten, Swap-Geschäften und ähnlichen Finanzderivaten liegt ihr Marktanteil bei 40 Prozent.

Und nicht zuletzt: Internationale Aktien-Emissionen finden heute weit häufiger in London statt als in New York. Die Finanzszene zeigt damit selbst der Washingtoner Regierung die Grenzen auf, wie stark sie Märkte regulieren kann.

© SZ vom 26.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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