150 Jahre TÜV Süd :Risse, Rost und Kesselstein

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Auf den Spuren des TÜV Süd: Wie das technische Prüfwesen entstand, was daraus geworden ist - und was es nach 150 Jahren jetzt zu feiern gibt.

Von Michael Kuntz, Mannheim/München

Christian Immel, 54, ist ein großer und schlanker Mann. Letzteres spielt durchaus eine Rolle in seinem Berufsleben. Denn als Prüfer für gefährliche Industrieanlagen kriecht er auch schon mal auf den Knien in einen Dampfkessel, um ihn von innen auf eventuelle Schäden zu untersuchen. Alle drei Jahre ist das fällig. "Dann steige ich in den Kessel ein", sagt Immel. Er hält sich fit mit Lauftraining und Radfahren, damit er nicht eines Tages in einer solchen Kesselröhre stecken bleibt, die mitunter einen Durchmesser von nur 90 Zentimetern besitzt.

Christian Immel inspiziert Fabrikanlagen im Raum Mannheim, der Industrie- und Handelsstadt mit dem zweitgrößten Rangierbahnhof Deutschlands und vielen Dampfkesseln. Immel wandelt auf den Spuren von Carl Isambert. Das war der erste und für einige Zeit einzige Prüfer der "Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit dem Sitze in Mannheim". Die wurde von 22 badischen Unternehmern 1866 gegründet, nachdem im Jahr zuvor in der heute nicht mehr existenten Brauerei Zum Großen Mayerhof ein Dampfkessel in die Luft geflogen war. Nicht ohne Grund gehört das jeweilige Gebäude noch heute mit zur Anlage. Obwohl solche Explosionen praktisch nicht mehr vorkommen, wird die Hülle als Leichtbau konzipiert - der gut auseinanderfliegen kann.

Von Isambart zu Immel - die zwei Männer stehen für 150 Jahre technisches Prüfwesen in Deutschland. Immel arbeitet beim TÜV Süd. Der ist heute der größte Technische Überwachungsverein in Deutschland und sieht sich als Nachfolger der nach der Mannheimer Brauerei-Explosion gegründeten Gesellschaft. Entsprechend feiert er das Jubiläum fast so flächendeckend, wie es Prüfstellen gibt.

"Das Ergebnis blieb hinter unseren Erwartungen zurück."

Am Anfang stand der Dampfkessel, der auf Risse, Rost und Kesselstein abgeklopft wurde. Autofahrer kennen den TÜV heute vor allem durch die Hauptuntersuchungen, nach denen es die Prüfplakette gibt, oder auch nicht. Doch rund ums Auto macht der TÜV Süd nicht einmal mehr ein Drittel seines Umsatzes. Geprüft wird fast alles, was Menschen gefährden könnte: Aufzüge, Atomanlagen, Rolltreppen oder Fahrgeschäfte von Schaustellern. Daneben gibt es Schulungen nicht nur für Kesselwärter der Unternehmen. Und immer mehr Zertifizierungen für Produkte und Prozesse, von der Mikrowelle bis zum Arbeitsschutz. Aus dem Ein-Mann-Betrieb ist eine weltweite Prüfindustrie entstanden mit 13 Unternehmen, die mehr als eine Milliarde Euro umsetzen.

Der TÜV Süd setzte voriges Jahr 2,2 Milliarden Euro um und rangiert damit unter den globalen Prüfkonzernen auf Rang sechs. Weltweit werden 22 000 Mitarbeiter beschäftigt, seit 2014 mehr im Ausland als im Inland. Doch die Bilanz des seit neun Jahren als Vorstandsvorsitzender amtierenden Axel Stepken, 57, ist durchwachsen. Durch etliche Zukäufe hat der frühere ABB-Manager die behördenähnliche Einrichtung in einen weltweit tätigen Konzern verwandelt. Stepkens großer Erfolg ist ein landesweites Kfz-Prüfsystem in der Türkei. Nicht alles klappte so gut. Jüngst musste für Brasilien ein zweistelliger Millionenbetrag abgeschrieben werden.

Und zu Hause scheiterten diverse Versuche zur Fusion mit anderen TÜVs, nicht zuletzt an den Wettbewerbsbehörden. Nach der Liberalisierung wurde der TÜV Süd dann von der Dekra bei den Kfz-Prüfungen überholt und auch beim Umsatz insgesamt abgehängt. Ausgerechnet in der im Jubiläumsjahr vorgelegten Bilanz war beim TÜV Süd das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit negativ. Mit minus 41,8 Millionen Euro unterschritt es den positiven Vorjahreswert um 106,4 Millionen Euro. Erst die Entnahme von Gewinnrücklagen führte zu einem Bilanzgewinn. "Die Geschäftsentwicklung von TÜV Süd im Jahr 2015 entsprach in Bezug auf das Umsatzwachstum unseren Annahmen, blieb aber hinsichtlich des erwirtschafteten Ergebnisses hinter unseren Erwartungen zurück", heißt es dazu.

Konzernchef Axel Stepken wurde kurz vor dem Jubiläum zum Honorarprofessor ernannt

Seit Herbst muss sich der TÜV zudem fragen lassen, wie es zum Dieselskandal kommen konnte - ohne sein Mitwissen. Das Argument, man habe dem Auftrag entsprechend geprüft, überzeugt die wenigsten. Zumal ein Prüfverein wie der TÜV als Dienstleister und in seinen Gremien vielfältig mit der Autoindustrie verbunden ist. Die FAZ gab sich im Jubiläumsjahr besorgt: Muss der TÜV zum TÜV?

Die Geburtsstätte des TÜV im Planquadrat D2.6 der hufeisenförmigen Mannheimer Innenstadt ist leicht zu übersehen. An der Schrifttafel auf dem Gehweg neben dem Stellplatz für zehn Taxis läuft man schnell vorbei. Das Börsencafé wurde im Krieg zerstört, jetzt steht hier ein Geschäftsgebäude. Christian Immel und seine 20 Prüferkollegen der Abteilung Anlagensicherheit haben ihre Büros im Gewerbegebiet hinter dem Hauptfriedhof, knappe fünf Kilometer entfernt vom Epizentrum des deutschen Prüfwesens.

Der TÜV Süd beschäftigt 500 Menschen in Mannheim, und für sie war die Jubiläumsparty schon im Januar. Für die Pensionäre gab es Kaffee und Kuchen, nach diversen Festansprachen und dem Trendforscher Sven Gábor Jánszky sorgte die Band Speedos für ausgelassene Stimmung in der Alten Feuerwache. Die ganz große Feier steigt an diesem Donnerstag in München im Haus der Kunst.

Das Prüfwesen ist Männersache, auch beim Festakt nach 150 Jahren: Frauen dürfen moderieren und singen, Männer halten die Reden. Manche Frauen unter den Gästen dienen wohl eher als Dekoration: Die vorab verschickte Liste der Zusagen enthält das Model Heydi Nuñez Gómez und die "Society-Lady" Gabriele von Thun-Hohenstein. Eine Plakette wurde bereits erteilt: Die TU München ernannte den TÜV-Süd-Chef Axel Stepken kurz vor dem Jubiläum zum Honorarprofessor.

Während in München gefeiert wird, ist in Mannheim ein normaler Arbeitstag. Es kann durchaus sein, dass Christian Immel wieder einmal in einen Kessel "einsteigt".

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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