100-Tage-Bilanz des Allianz-Chefs:Michael Diekmann: Arbeit auf Vorschuss

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Wenn Unauffälligkeit zur Methode wird: Der Vorstandsvorsitzende der Allianz ist in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit kaum öffentlich in Erscheinung getreten.

Von Martin Reim

(SZ vom 06.08.2003) — Man könnte meinen, Michael Diekmann sei in seinem neuen Job rasch ergraut. Der Allianz-Vorstandsvorsitzende hatte bei seinem Amtsantritt Anfang Mai noch durchweg hellbraunes Haar.

Jetzt, nachdem er knapp 100 Tage im Amt ist, zeigen Fotos in der Mitarbeiterzeitschrift Allianz Journal eine deutlich silberne Färbung an Schläfen und Scheitel. Vermutlich beruht der Wandel auf schlechter Retusche, denn auch der braune Grundton ist verschwunden.

Doch wie es sich wirklich verhält, ist schwer zu sagen, denn der 48-Jährige ist selten auf offiziellen Anlässen außerhalb des Unternehmens zu sehen.

Das sei Methode, heißt es aus dem Konzern. Diekmann wolle sich auf die vielen Aufgaben konzentrieren, die beim zweitgrößten Versicherers der Welt auf ihn warten. Dafür reise er viel und treffe jede Menge Leute, aber eben vorwiegend innerhalb des Hauses.

Die selbst gesetzte Agenda — sie steht ebenfalls in der Mitarbeiterzeitung — ist geprägt vom Katastrophenjahr 2002, in dem die Allianz erstmals in der Nachkriegsgeschichte einen Verlust auswies. Und so hat Diekmann als Leitsatz ausgegeben: "Geld verdienen, das ist jetzt das A und O."

Skeptische Rating-Agentur

Ganz oben auf der Aufgabenliste steht die Bonitäts-Einstufung der Gruppe, und hier gab es kürzlich einen Misserfolg. Moody's, eine der wichtigsten Rating-Agenturen, stufte die Allianz von der dritt- auf die viertbeste Note herab und begründete dies mit Skepsis über die langfristigen Gewinnaussichten der Gruppe.

Besser sieht es mit dem zweiten Punkt aus, der Kapitalausstattung des Konzerns. Die neuen Aktien, die die Allianz durch eine Kapitalerhöhung im Frühjahr schuf, fanden reißenden Absatz; allerdings war ihr Preis auch sehr niedrig.

Bei Punkt drei, der Reduzierung des Besitzes fremder Aktien, geht es einigermaßen voran. Eine Reihe kleinerer Investments wurde reduziert oder abgestoßen, und speziell das Riesen-Paket an der Münchener Rück — die wechselseitige Beteiligung beider Versicherungsriesen ist quasi das Herzstück der Deutschland AG — um einiges verkleinert.

Noch nichts Entscheidendes ist allerdings bei zwei großen Brocken geschehen, die zum Verkauf stehen: den Anteilen an dem Nivea-Hersteller Beiersdorf und am Mischkonzern MAN. Vor allem das zweite Paket könnte zum Lackmus-Test für Diekmann werden, inwieweit er nur auf Rendite achtet oder auch eine weitergehende Verantwortung seines Konzerns sieht: Verkauft er den Anteil gegen das höchste Gebot, oder akzeptiert er einen billigeren Bieter, der den MAN-Konzern und damit dessen Arbeitsplätze weitgehend erhalten will?

Bei weiteren Punkte der Agenda — vor allem das Zurückfahren der Kostenquote, die schnellere Umsetzung von Turnaround-Programmen und die Verbesserung der operativen Ergebnisse — gab es einige Erfolge, etwa bei der Dresdner Bank und der französischen Versicherungstochter AGF.

Warten auf die Halbjahreszahlen

Wie stark solche Fortschritte das Bild des Gesamtkonzerns prägen, werden die Halbjahreszahlen weisen, die nächste Woche vorgelegt werden. Definitiv kaum etwas Bemerkenswertes geschehen ist beim Punkt "Abstoßen von dauerhaft unprofitablen Aktivitäten".

Einige kleine Konzernteile gingen weg, doch ist deren Größe vernachlässigbar im Verhältnis zum Prämienvolumen von zehn Milliarden Euro, das laut Diekmann im Versicherungsbereich überprüft wird. Der Konzernchef wird demnächst erklären müssen, wie der Stand dieser Untersuchung ist — immerhin handelt es sich um ein Achtel der Allianz-Versicherungsaktivitäten.

Ein großer, sichtbarer Erfolg ist in Diekmanns Amtszeit bislang lediglich in einem Bereich zu verzeichnen, der nicht auf seiner Agenda steht: Der Aktienkurs der Allianz ist seit seinem Amtsantritt um rund die Hälfte gestiegen und hat damit die europaweiten Branchenindizes um Längen geschlagen. Der Vertrauensvorschuss ist also enorm. Diekmann täte gut daran, ihn bald durch öffentlich sichtbare Taten einzulösen.

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