Die Australier sind schuld, oder vielleicht auch die Japaner. So genau weiß das Friedrich Riess nicht mehr, aber es waren auf jeden Fall Besucher von sehr weit weg, die vor ein paar Jahren das kleine alte Wasserkraftwerk hier neu entdeckten und das Wiesenschaumkraut, das gleich auf dem Hang gegenüber der Mitarbeiterhäuser blühte. Überhaupt: hübsche kleine Häuser für die Fabrikarbeiter, wo gibt's denn so was noch? Warum aber, fragten die Geschäftspartner aus Australien oder Japan, warum waren all diese Dinge nicht in der Firmenpräsentation von Riess? Da müssen schöne Bilder her, die Leute wollen das heute doch, Nachhaltigkeit, soziales Engagement!
Friedrich Riess war sich nicht ganz sicher, ob er richtig verstanden hatte, aber es wurden schöne Bilder und eine Nachhaltigkeitsuntersuchung gemacht, die zu dem Ergebnis kam, dass seine Firma CO₂-neutral produzierte. Und die Kunden in Übersee reagierten auf diese Dinge, wie die Vertreter es vorausgesagt hatten: Sie kauften fortan aus inniger Überzeugung Emaille-Waren aus Ybbsitz im Mostviertel, Niederösterreich. Pfannen, Töpfe und Backformen, hergestellt zwischen Wiesenschaumkraut und krummen Birnbäumen. Sie mochten die Geschichte einer kleinen Fabrik, die an dieser Stelle seit fast 500 Jahren die Wasserkraft für ihre Maschinen nutzt und immer darauf geachtet hat, dass es Land und Leuten gut geht. Nur das mit dem Marketing, das ist hier eben erst relativ neu.
Das Material verbinden viele in der Erinnerung mit warmer Milch und Omas Gugelhupf
Emaille ist ziemlich jung oder uralt, kommt darauf an, von welcher Seite man seine Geschichte erzählt. Entdeckt wurde es wohl schon in der Frühzeit der Menschheit, vielleicht als Blitzschläge in der Wüste die Sandkörner zu etwas Neuem, Hartem verschmolzen. Der irisierende Glanz und die glatte Oberfläche verliehen Emaille Wertigkeit - es gibt mehr als 3000 Jahre alte emaillierte Grabfunde aus Mykene. Seitdem begleitet die glasierte Oberfläche erst die Kunstgeschichte und später auch den Alltag der Menschen. Gegenwarts-Emaille ist meistens ziemlich banal, jeder hat es daheim. Es macht den Backofen oder die Badewanne, den Boiler, die Hausnummer oder das Backblech unempfindlich gegen so ziemlich jede Alltags-Erosion. Entscheidendes Datum für dieses Haus-und-Hof-Emaille war das Jahr 1836, in dem der Chemiker Pleischl in Wien die erste ungiftige Emaillierung erfand und postwendend eine Fabrik für Kochgeschirr gründete. Davor war beim Emaillieren, zum Beispiel für Schmuckarbeiten, stets Blei im Spiel - ein Element, das in der Nähe von Lebensmitteln nichts zu suchen hat. Die neue, ungiftige Glashaut aber war eine Haushaltsrevolution, sie machte, lange bevor rostfreier Stahl erfunden war, Metalle unempfindlich gegen Korrosion, ließ sich gut reinigen und nahm weder Farben noch Geschmack auf. Dauerhaft und günstig beherrschte die Beschichtung in Rot-Schwarz oder Weiß-Blau bald die Küchen und Krankenhäuser, sie wurde zu Feldgeschirr und Flohmarktware und gehört heute verpflichtend zu jeder Erinnerung an warme Milch und Omas Gugelhupf.
Die Riess-Familie an der historischen Eisenstraße in Ybbsitz begann 1922 damit, ihre Werkstücke zu emaillieren, es schien dem Großvater von Friedrich Riess eine zukunftsträchtige Technik zu sein. Deswegen wagte das Unternehmen, heute in neunter Generation geführt, die Investition, verkaufte Land, kaufte Brennöfen, hämmerte nicht mehr, sondern zog fortan das Stahlblech in Formen, die bis heute hier gezogen werden: Milchkannen und Weitlinge für den Dampfnudelteig, Kehrschaufeln und Potschamperl. Sie waren nicht die Einzigen, die damals modernisierten, allein in Bayern gab es ein paar Dutzend Emaille-Betriebe. Knapp hundert Jahre später aber ist Riess eine von wenigen Firmen, die in Europa noch Haushaltsemaille produziert. "Wir hatten Angst, es könnte dem Emaille gehen wie dem Zinn, dass es einfach aus den Häusern verschwindet. Wir wussten manchmal gar nicht so genau, warum es uns eigentlich noch gibt", sagt Friedrich Riess in einem Ton, bei dem man ahnt, dass er doch eine Vermutung hat. "Es gab Zeiten, in denen wir unsicher waren, ob es weitergeht. Aber es ist eben eine Familiensache und irgendwie sind wir hier auch stur", sagt er, und sein Arm umfängt trotzig die Werkhalle, den Fluss und die nahen Berge hinter denen, so versichert er, schon wieder ganz andere Menschen wohnen würden.
In der Werkhalle riecht es nach Hitze und Sand. Aus Quarz, Feldspat, Borax, Soda und Pottasche entstehen zunächst sogenannte Glasfritten: Rohglaschips, die wieder zermahlen und schließlich zu Schlickermasse vermengt werden, einem sahnigen Gemisch mit verschiedenen Farbzusätzen. Bei komplexeren Stücken wird sie mit Hand auf die blank entfetteten Stahlblechrohlinge aufgebracht, bevor die auf einem Lift in den großen Ofen fahren. Bis zu 800 Grad Hitze lassen den Schlicker auf dem Metall untrennbar zu Glas brennen, die Schicht ist nur 0,15 Millimeter dick und reicht doch, um alles zu versiegeln. Heraus kommen fast fertige Emaille-Waren in Pastellfarben, in klassischem Weiß oder in einem tiefen Donaublau. Sie müssen auskühlen, dann wird per Hand jedes Stück auf Fehlstellen überprüft. Bei aufwendigen Färbungen gibt es eine zweite Runde durch den Ofen, es werden Dekore aufgetragen, handverpackt, fertig. Mehr als 500 verschiedene Produkte können die 120 Arbeiter hier herstellen, darunter auch Schilder und Flötenkessel und zeitgemäße Dinge wie Woks und Pommes-frites-Pfannen. Mit Maschinen, die zwar oft alt seien, aber besser und sparsamer liefen als die neuen, versichert Riess. Topf mit Bördel, Topf ohne Bördel, Topf mit Stiel, Topf mit Schnabel: Vielfalt ist eines der Überlebensrezepte - und Flexibilität. "Wir liefern ab einem Stück!", sagt der Ingenieur, der gemeinsam mit einem Cousin und einer Cousine die Geschäfte führt. Wenn ein Kunde in einem der 38 Länder, in die Riess liefert, ein besonderes Teil möchte, wird es schon am nächsten Tag verschickt.
Der Onlineshop wurde nach drei Tagen wieder geschlossen - die Händler hatten protestiert
Auch so hat man sich gehalten, trotz Produktion in Österreich und obwohl man für die Waren nicht mehr so viel verlangen kann wie früher. Als Riess vor einiger Zeit einen Onlineshop zum Direktverkauf startete, wurde der nach drei Tagen wieder vom Netz genommen - die Händler hatten protestiert. "Es passt einfach zu unseren Produkten, dass man sie im Geschäft in die Hand nimmt, dann merkt man, wie schwer sie sind und wie viel Liebe drinsteckt."
Auf einem Auslieferungswagen im Lager stapeln sich die Kartonagen besonders hoch. "Liv, Berlin" steht auf einem handgeschriebenen Zettel. Die Adresse ist ein gutes Beispiel dafür, dass Emaille wieder auf dem besten Weg Richtung Zeitgeist ist. "Klar, die letzten Jahrzehnte waren im Haushalt Edelstahloberflächen und moderne Beschichtungen gefragt, blitzend, neu und antihaftend. Emaille galt einfach als oll", sagt Stephan Antusch, der zusammen mit einer Partnerin vor neun Jahren den Liv Laden in Berlin erfunden hat. Ein Geschäft, das auf 100 Quadratmetern nur Emaille anbietet, Hunderte verschiedene Stücke, viel von Riess, aber auch britische Puddingformen des Traditionsherstellers Falcon oder billige Schalen aus asiatischer Produktion. Leichtgewichte sind das, die schon kleine Abplatzer am Rand haben, aber eben gerade damit den Shabby-Faktor erfüllen, den heute viele in ihrer Küche haben wollen. "Zu uns kommen die älteren Semester genauso wie diejenigen, die sich den ersten Haushalt einrichten. Und wir hören relativ oft den Satz: Ach, das gibt es noch?" Dann zählt er als Hauptstadt-Botschafter der Emaille deren wichtigste Eigenschaften auf: nickelfrei, also gut für Allergiker. Fasst sich einfach richtig an. Verteilt beim Kochen die Hitze gut, hält ewig, ist komplett recycelbar und passt einfach besser zu der authentischen Küche, die man haben möchte. Gerade die würdevolle Schlichtheit einer weißen Schöpfkelle oder eines Messbechers ist es, die die Menschen in seinen Laden in Prenzlauer Berg kommen lässt.
Reklamationen gibt es, aber wenige. Die Oberfläche kann abplatzen, wenn sie sehr hart anstößt oder auf höchster Stufe trocken auf der Herdplatte steht. "Im Grunde ist das Zeug aber was fürs Leben", so Antusch. Den Grundstein für seinen Laden legte übrigens ein Erlebnis in einem Berliner Kaufhaus, wo man ihm gönnerhaft erzählte, Emaille sei einfach kein zeitgemäßes Material mehr für die Küche.
Dabei straft ausgerechnet der Induktionsherd diese Auskunft Lüge. Emaille-Töpfe mögen nach Puppenküche aussehen, auf der Hightechplatte funktionieren sie bestens, wie Friedrich Riess in der kleinen Testküche in Ybbsitz vormacht. Mit der rapiden Hitzeentwicklung der Technologie kommen emaillierte Pfannen deutlich besser zurecht als solche mit Antihaft-Beschichtung, die jenseits von 200 Grad oft ins Schwitzen geraten. Emaille hält bis 450 Grad locker aus. "Die haben eben lange gebraucht, um die richtigen Herde für unsere Töpfe zu entwickeln", scherzt Riess.
Emaille ist wieder Trend, auf Styleblogs, in Design-Shops und Hipster-Kochbüchern
Die Induktionsplatte ist aber nicht das einzig Moderne hier. Seit einigen Jahren boomen Riess-Produkte auch auf Styleblogs, in Design-Shops und Hipster-Kochbüchern. Grund dafür waren zwei etwas waghalsige Kooperationen. Zum einen mit der Köchin Sarah Wiener, die sich moderne Colour-Blocking-Kuchenformen wünschte. Und dann mit den jungen Designerinnen des Kreativlabels Dottings. Für die puristischen Töpfe und Dosen mit offenem Stahlrand mussten neue Maschinen gebaut, alte Gewohnheiten überwunden und eine ziemliche lange Testphase absolviert werden, "mit hoher Drop-out-Rate", wie Riess knurrt. Aber mit der traditionellen Sturheit bewältigte man das Abenteuer und bekam ein Ergebnis, das auch noch die zehnte Riess-Generation freuen dürfte: Emaille-Geschirr, das kein bisschen nach Omas Gugelhupf aussieht.