Trotz Terror:"Paris geht nicht unter"

Wie macht die Hauptstadt der Kreativen nach den Terroranschlägen weiter? Eine Umfrage unter Mode-, Design- und Stil-Größen, für die Lebenslust zum Beruf gehört.

Protokolle: Karoline M. Beisel, Dennis Braatz, Anne Goebel, Marten Rolff, Julia Rothhaas, Max Scharnigg

Fotos: Warner, Imago, PR (2), G. Hansen&C. Compagnon, AFP, B. Werzinski

Alain Ducasse

"Als ich als junger Mann zum ersten Mal nach Paris kam, war das Liebe auf den ersten Blick. Am meisten begeistert hat mich die Lebensfreude der Menschen hier, diese enorme Kraft, egal ob am Tag oder in der Nacht. Die Attacken vom 13. November waren auch ein Anschlag auf unsere Lebenslust. Und auch das macht sie so grausam. Natürlich sitzt der Schock bei den Parisern tief, wir alle tragen Trauer, unsere Gedanken sind bei den Opfern, bei ihren Familien und Freunden. Doch kann man bereits spüren, dass der Terror eine seltsam paradoxe Wirkung zu haben scheint: Noch nie haben wir so genau begriffen, wie wertvoll unserer Lebensstil ist, was er uns bedeutet. Uns allen wird plötzlich sehr bewusst, wie stolz wir auf unsere Vielfalt sind. Aus diesem Grund ermutigen sich die Menschen gerade gegenseitig, sich nicht einschüchtern zu lassen und jetzt erst recht in die Bars und Restaurants, Kinos und Theater zu strömen; da gibt es eine regelrechte Bewegung im Netz. Und es sagt etwas Wichtiges, etwas Wunderbares über uns aus: Wir alle sind in dem Wunsch vereint, das Leben zu genießen. Und unsere Hingabe wird immer stärker sein als alles andere." Alain Ducasse ist der erfolgreichste und höchstdekorierte Koch Frankreichs mit Restaurants auf der ganzen Welt.

Jonas Unger

"Ich hoffe, dass die Stimmung in Paris auch nach den Anschlägen so bleibt, wie sie vor dem 13. November war. Das Leben nach dem Überfall auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar war anstrengend. Die Stimmung war gedämpft, die Euphorie, mit der man gerade ins neue Jahr gestartet ist, dahin. Aber nach zwei Monaten war alles wieder vorbei, es gab einen neuen Zusammenhalt unter den Bewohnern. Und nun, nach einem großartigen Frühling und Sommer, ist die Angst zurück. Und auch die Hysterie. Wir müssen aufpassen, dass die jetzt nicht die Oberhand gewinnt. Für einen Auftrag musste ich am Tag nach den Anschlägen die Plätze fotografieren, an denen die Terroristen zugange waren. Es war zum Heulen. Gleichzeitig brauchen wir auch bald wieder Normalität: Die Vorschule meiner dreijährigen Tochter liegt in der Nähe des Café ,Le Carillon'. Wir gehen jeden Tag daran vorbei." Jonas Unger ist ein deutscher Fotograf und lebt seit 14 Jahren in Paris. Er arbeitet u.a. für Le Monde, New Yorker und Stern.

Gesa Hansen

"Wegen der hohen Mieten können sich viele nur winzige Wohnungen leisten. Deshalb findet das Leben hier außerhalb der eigenen vier Wände statt. Menschen treffen sich nicht zu Hause, sondern immer in Restaurants, das ist die Erweiterung des eigenen Wohnraums. Wie jeder Pariser habe ich ein Stammrestaurant, wo ich morgens den ersten Kaffee trinke, eine Ersatz-Kantine, die ich mindestens dreimal pro Woche besuche, eine Weinbar, um nach der Arbeit einen Apéro zu trinken, und einen Club, in den man meistens donnerstagabends ausgeht. Es gibt Tage, an denen ich es nicht einmal ins Büro schaffe, weil ich während des morgendlichen Kaffees den Rechner aufmache, anfange, Mails zu bearbeiten, mich dann mit Kunden verabrede, die sich mittags zu mir an den Tisch setzen. Kurzum, ein Restaurant ist für Pariser nicht irgendein Ort, an dem sie sich manchmal aufhalten. Deswegen fühlt es sich seit zwei Wochen an, als wären wir im eigenen Wohnzimmer angegriffen worden." Gesa Hansen studierte Design in Weimar. 2009 gründete sie in Paris die viel beachtete Möbelfirma "The Hansen Family" dessen Möbel mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurden.

Clare Waight Keller

"Im Angesicht von Hass in diesen schwierigen Zeiten heißt unsere Antwort: Harmonie und Freundschaft. Die Briten haben mehrfach Anschläge in London erlebt, und es ist immer beeindruckend zu beobachten, wie die Menschen instinktiv begreifen, dass sie zusammenhalten und einander unterstützen müssen. Gerade wenn die Angreifer nur Chaos anrichten und uns auseinanderbringen wollen. Aber das macht unsere Lebenslust nur stärker, wir müssen die Freiheit verteidigen, so zu leben, wie es uns gefällt. Mehr als je zuvor werde ich weiter Kleider entwerfen, in denen Frauen sie selbst sein können - stolz, stark und optimistisch." Clare Waight Keller ist Britin und arbeitet als Kreativdirektorin bei Chloé, der aktuell erfolgreichsten französischen Modemarke.

Sarah Andelman

"An Paris liebe ich alles. Das Licht! Die Parks! Das Essen! Die kreative Kraft in dieser Stadt ist so groß, weil du einfach überall Inspiration findest. Als die Anschläge passierten, war mein erster Gedanke: Das hätte ich sein können. Wir gehen genau an diesen Orten aus, ich hatte das Gefühl, direkt betroffen zu sein. Und dann dachte ich: Ich will nicht, dass so etwas in unserer Stadt passiert. Es darf nirgendwo auf der Welt passieren. Paris wird Zeit brauchen, zum normalen Leben zurückzufinden." Sarah Andelman gründete Ende der Neunzigerjahre den stilbildenden Mode-Store "Colette" im 1. Arrondissement.

Ludovic Navarre

"Wir haben am Abend vor den Attentaten, am Donnerstag, im Bataclan gespielt. Das Publikum in Paris ist sonst eher streng, aber an dem Abend hat man davon nichts gemerkt: Der Saal vibrierte, das Publikum hat immer weiter nach Zugaben gerufen. Alles war perfekt, diesen Auftritt werde ich nie vergessen. Natürlich auch deswegen, was dann passierte. Am Freitag spielten wir in Utrecht, von den Vorfällen in Paris haben wir erst nach dem Konzert erfahren. Klar habe ich kurz darüber nachgedacht, ob es auch uns hätte treffen können. Aber eigentlich haben wir kaum darüber gesprochen. Was soll man auch sagen? Ich weiß nur, dass der Bühnenpass von unserem Konzert im Bataclan jetzt mein Glücksbringer ist. Den werde ich bis zum Ende meines Lebens behalten." Ludovic Navarre a.k.a. St Germain erreicht mit seinem Musikmix aus Jazz und House ein Millionenpublikum.

Eric Giriat

"Ich war am 13. November in Berlin. Es war komisch, an dem Tag nicht in meiner Stadt zu sein. Getröstet hat mich die Anteilnahme der Deutschen, etwa die Blumen am Pariser Platz. Ich fahre dieses Wochenende nach Hause und habe mich mit all den Leuten verabredet, die mir etwas bedeuten. Dann will ich ihnen auch sagen, wie wichtig sie mir sind. Ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Liebeserklärungen. Das kommt manchmal zu kurz, Paris ist eine hektische Stadt, man hat wenig Zeit füreinander. Nach diesem Schock ist das anders. "Je suis en terrasse", sagt man heute und meint damit, dass man sich nicht zu Hause versteckt. Das Leben in Paris geht weiter. Jetzt erst recht." Eric Giriat ist Illustrator und stammt aus Paris. Er arbeitet für Magazine wie L'Obs oder Psychologies.

Inès de la Fressange

"Es gibt einen Grund, warum Frankreich, warum Paris das Ziel dieser Angriffe war. Es ist die Stadt der Menschenrechte, ein Hort der Kreativität, der Kunst, der Mode. Ein Symbol der Freiheit und Zivilisation. Die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen zeigen, wie sehr die Franzosen an diesen Werten hängen. Wir respektieren andere Kulturen, denn unsere Kultur ist stark von den Fremden bestimmt, die hier heimisch wurden. Aber die Rechte von Frauen sind nicht verhandelbar. Ich fand es sehr bewegend zu erleben, wie das ganze Land in den vergangenen Tagen zusammengerückt ist. Sobald sich die Wut und die Angst wieder etwas legen, sollten wir uns daran erinnern, dass Frankreich ein Land ist, das den Frieden will. Wir wollen eben nicht so sein wie jene Menschen, die wir Barbaren nennen. Wir wollen keine Menschen töten, keine Männer, Frauen und Kinder umbringen. Gewalt, das ist meine tiefe Überzeugung, erzeugt nichts als Gewalt. Unser Weg zum Frieden ist die Völkerverständigung." Inès de la Fressange gilt als Sinnbild der "Parisienne". Sie war Chanels erstes Exklusiv-Model und berät heute Modefirmen.

Elie Top

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(Foto: PR)

"Paris, das ist die vollkommene Schönheit. Was die Stadt seit Jahrhunderten ausmacht, ist eine Art Alchemie. Eine Mischung aus Freiheit, Lebensart, Sinnlichkeit. Als die Anschläge passierten, habe ich zum ersten Mal im Leben echte Angst empfunden. Und dann kam das Verlangen, viel intensiver zu leben. Ich bemerke überall eine starke Energie, den Willen, nicht in eine Psychose zu verfallen. Fluctuat nec mergitur, der Wappenspruch unserer Stadt war nie aktueller. Paris wird nicht untergehen." Elie Top ist Schmuckdesigner, er arbeitete u.a. für Yves Saint Laurent. Anfang 2015 zeigte er seine erste eigene Kollektion.

Charles Compagnon

"Die Stimmung ist völlig anders als nach Charlie Hebdo, es geht nicht nur darum, die alten Gewohnheiten wieder aufzunehmen. Es geht darum, sie zu verteidigen. Das Glas Wein auf der Terrasse wird zu einem politischen Statement. Einer meiner Gäste sagte: ,Wenn unser Kampf darin besteht, Wein zu trinken, Konzerte, Fußballspiele anzusehen - dann macht euch auf was gefasst, Terroristen, in nichts anderem sind wir Pariser besser trainiert.' Unsere Restaurants haben wir direkt am Samstagmorgen wieder geöffnet. Es wird in den ersten Monaten stiller sein, aber ich bin sicher, dass die Pariser nicht lang auf ihre Lieblingsbeschäftigungen verzichten." Charles Compagnon gehört zu den jungen Top-Gastronomen, das "52 Faubourg Saint Denis" ist sein drittes Restaurant.

Frédéric Malle

"Ich liebe es, dass Paris keinen bestimmten Stil hat, sondern viele Lebensformen friedlich koexistieren. Du kannst in dieser Stadt genau das Leben führen, das du möchtest. Es erscheint mir zum Beispiel absolut vorstellbar, einen Nachmittag im Freien abzuhängen - und niemand fände das unzivilisiert. In New York ist das undenkbar, und ich vermisse das hier. Ich glaube daran, dass die Pariser ihre Angst überwinden werden. Haben wir denn eine Wahl?" Frédéric Malle pendelt als Parfümexperte zwischen New York und Paris.

Guy Savoy

"Es gibt keine Stadt, in der Geschichte und Moderne so harmonisch nebeneinander bestehen wie in Paris. Ich bin dankbar, dass ich an einem Ort arbeiten darf, wo jeder Handgriff im Dienst des Genusses steht. Ich denke dann, dass das Restaurant der letzte zivilisierte Ort auf diesem Planeten ist. Paris wird immer eine Zuflucht für feinsinnige Menschen sein, daran werden diese Anschläge nichts ändern." Guy Savoy hat für sein gleichnamiges Restaurant drei Sterne erkocht.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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