Sebastian Herrmann:Große Versprechen

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Sebastian Herrmann ist Redakteur im Ressort Wissen. (Foto: N/A)

Manche Dinge wirken vor allem als Versprechen und entfalten in ihrem Aggregatzustand als Ankündigung ihre Magie. Chemie als Schulfach zum Beispiel sprach zu den Schülern als imaginiertes Spektakel mit Feuer, Rauch, Explosionen und grässlich ätzender Säure. Schon der Chemiesaal, wie der Raum hieß, war besonders: Bunsenbrenner, Reagenzgläser, Schutzbrillen - da musste doch etwas passieren, was den öden Schulalltag für ein paar Momente aus den Angeln heben würde.

Die persönliche Erfahrung in Sachen Chemieunterricht an der Schule bestand dann aber darin, dass manche (oder viele) Versprechen nicht eingelöst wurden und hässlich viel ödes Zeug gelernt werden musste. Trotzdem wirkt die naive Feuer-Rauch-Explosions-Idee auch Jahrzehnte später noch und verleit dem Experimentierkasten "Mein erstes Kosmos Chemie-Labor" (Franckh-Kosmos , 24,99 Euro) die altbekannte Magie. Zu Beginn steht ein kleine Produktenttäuschung: Der Experimentierkasten für Kinder ab acht Jahren enthält lediglich ein paar Reagenzgläser, zwei Messbecher, eine Pipette, eine Petrischale, Filterpapier, Rührlöffel, weiteren, eher günstigen Kleinkram und einen Beutel Gips. Das ist nicht viel, doch der Sohn ist vollkommen aus dem Häuschen. Bei ihm wirkt das Versprechen nachhaltig und ganz offenbar löst der Experimentierkasten seine kindlichen Erwartungen auch ein.

Aus diesen Zutaten - etwas Gerätschaft plus enthusiastisches Kind - wächst auch im Vater große Begeisterung. Der Experimentierkasten verlangt, dass Väter, Mütter, Töchter, Söhne gemeinsam Zeit verbringen; ohne elterliche Begleitung wird das nichts. Und das ist das Schöne daran, zum Beispiel zu erleben, dass das eigene Kind begeistert Gips und Wasser vermischt, um einen Reagenzglas-Ständer zu gießen. Dabei handelt es sich um die Einstiegstätigkeit aus der beiliegenden Anleitung und den einzigen Versuch (wenn das als solcher durchgeht), für den es keine weiteren Zutaten braucht.

Für alle anderen kleinen Experimente benötigen die Familienlaboranten zusätzliche Zutaten - etwa Grillholzkohle, Essig, Schokolinsen, Rotkohl, Natron, Zucker, Salz, Streichhölzer oder Instantkaffee. Die Versuche sorgen nicht für große Knalleffekte, aber sie lösen die Zeit auf, während sich große Salzkristalle aus der gefilterten Lösung in der Petrischale bilden, sich die Farben des Bildes seltsam verändern, das zuvor mit starkem Kaffee auf ein Blatt Papier gepinselt wurde, oder etwa die Zitronensäure die Erscheinung des Rotkohlsaftes verwandelt. Der Experimentierkasten schenkt gemeinsame Zeit und dazu die Einsicht, dass miteinander Kuchen backen auch eine Art Chemie-Experiment ist. Vater und Sohn sind jedenfalls selig.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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