Reinhard Brembeck:Pathétique pur

Reinhard Brembeck ist Musikkritiker im Feuilleton. (Foto: sz)

Manchmal, es sind dies die großen glücklichen Momente, kann Musik dunkel und düsterer sein als die finstereste Nacht, es kann in ihr heftiger brodeln als in einem Vulkankrater, und die Töne können so chaotisch irrlichtern wie Sternschnuppen. Schon aus dieser Beschreibung wird klar, dass es sich dabei um Pjotr Iljitsch Tschaikowskys letzte Sinfonie handeln muss, die "Pathétique ", in welcher der schwule und von der Gesellschaft in den Tod getriebene Komponist sein Vermächtnis und seine haltlos zwischen Triumph und Todesverzweiflung wild chargierende Lebenssicht niedergeschrieben hat. Aber so schaurig radikal und bodenlos beklemmend das alles wirklich ist, das kann man erst jetzt in der Aufnahme von Teodor Currentzis und seinem Orchester "MusicAeterna" erleben. Currentzis, in Athen geboren und in Russland sozialisiert, ist der Shooting Star dieses Jahres. Er ist ein dirigierender Dämon, der Barockmusik genauso wie Moderne beherrscht. Mit der Pathétique aber bohrt er sich tiefer in die Seele Tschaikowskys hinein als jeder Dirigent vor ihm. Es ist schier unglaublich, wie viel dunkle Klangfarben das Orchester in der Tiefe besitzt, wie fein gestaffelt die einzelnen Klangschichten daherkommen, wie schnell und elegant der Ausdruck wechselt von grell zu schmollend, von ausgelassen in erstarrt von schluchzend zu heulend. Das erstaunlichste aber ist, dass dieses im Übermaß angehäufte menschliche Leid den Hörer in eine jubelnde Euphorie stürzt, wie er sie nur alle Jahre wieder einmal erleben kann (Sony, 15 Euro).

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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