Quarz und Mineralien:Neue Steinzeit

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Katy Perry schwört auf ihren Rosenquarz, Adele streichelt ihren Citrin, um Energie für die Konzertbühne zu tanken. Über das erstaunliche Comeback der Kristalle als Glücksbringer oder Harmoniequell.

Von Anne Goebel

Vor knapp drei Wochen besuchte David Beckham das Stadion in Paris, Real Madrid spielte gegen PSG, und offenbar versagten die Sicherheitsvorkehrungen. Jedenfalls kam es auf der Tribüne zu einem Zwischenfall: "Becks" saß neben dem schönen Model Bella Hadid und vergaß, sich auf den Fußball zu konzentrieren. Outrageous! Seine Ehefrau geriet in Aufruhr, The Sun goss noch ein bisschen Frittenöl ins Feuer, große Krise. Für das Ganze kann es nur eine vernünftige Erklärung geben: Victoria Beckham hatte nicht daran gedacht, den Sitzplatz ihres Gatten mit Kristallen gegen böse Schwingungen zu immunisieren.

Wie das zusammengehen soll, Vernunft und Esoterik? Eine Businessfrau wie Beckham und Hokuspokus? Das geht sehr gut zusammen neuerdings. Rund dreißig Jahre nach New Age, der wundersamen Ersatzreligion der Achtzigerjahre, ist der Glaube an magische Naturkräfte mit Macht und Hochglanz zurück. Quarz oder Mineralien schreibt man völlig ironiefrei segnende Wirkung zu. Sie tauchen als angeblicher Glücksbringer oder Harmoniequell aufgestickt oder -gedruckt in der Mode auf. Als Tische im Interior-Bereich oder vermeintliche Superelixiere in der Kosmetik.

Victoria Beckham schützt sich vor negativer Energie, indem sie schwarzen Turmalin verteilt

Und die Designerin Victoria Beckham ist dafür ein idealtypisches Beispiel, weil der neue Spiritismus nicht ranzig alternativ aussieht, sondern schick. Das frühere Spice Girl ist natürlich auf hohen Hacken unterwegs, wenn sie vor einer Schau den Laufsteg kontrolliert - und überall schwarzen Turmalin platziert wie eine zaundünne Schamanin.

Das soll den Erfolg anschieben. Schutz vor negativer Energie. So absonderlich die Vorstellung ist, dass Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, übersinnliche Kraftfelder für ausschlaggebend halten - ähnliche Beispiele gibt es zuhauf. Popstar Katy Perry oder die Schauspielerin Goldie Hawn, Letztere eher ein Überbleibsel aus den verstrahlten Eighties, schwören auf den Liebesstifter Rosenquarz. Adele entschuldigte einen missglückten Auftritt mit dem Verlust ihrer stabilisierenden Citrin-Sammlung. Gwyneth Paltrow meditiert mit Jadestein (Cara Delevigne hingegen zu den Versen eines Sufi-Mystikers, was ungefähr auf das Gleiche herauskommt). "The Great Crystal Boom", titelte die New York Times mit einem Hauch Befremden.

Natürlich hat es Talismane und Mystizismus zu allen Zeiten gegeben. Neu ist das Kosmische als massentauglicher Lifestyle. Man vollzieht die Rituale des eigenen kleinen Aberglaubens nicht mehr im Stillen, sondern postet jeden Schluck Rosenquarz-Wasser oder den neuen Obsidian-Handschmeichler als bereichernde Grenzerfahrung. Google verzeichnet seit 2014 einen 40-Prozent-Anstieg der Suchworte "heilende Kristalle". Und Produkte oder Dienstleistungen für körperliches und seelisches Wohlbefinden sind weiter ein florierendes Geschäft. Nach Auskunft des "Global Wellness Summit" werden damit jedes Jahr sagenhafte 3,7 Billionen Dollar umgesetzt.

Für jemanden wie Alma-Elisa Kittner kommt die Entwicklung nicht überraschend. Die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin an der Universität Duisburg hat sich intensiv mit dem Phänomen Wellness beschäftigt, das letztlich auf Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts zurückgeht mit ihrem Mantra von der Einheit aus Körper und Geist. Heute sind daraus Glückstees vom Drogeriemarkt geworden. Oder eben das Murmel-Set aus Bergkristall für den Schreibtisch. "All die Wellnessprodukte und gerade die Heilsteine sind für mich Spiritualität-to-go", sagt Kittner. "Also die vereinfachte, konsumierbare Form eines Heilsversprechens."

Dass violetter Amethyst oder der marmorierte Malachit so hübsch aussehen, erhöht die Attraktivität. Zudem suggerieren die Steine eine Verbindung zu einer Art Urmaterie tief unten in der Erde. Das bedient offenbar unseren Wunsch nach Sicherheit, nach einer "zeitenthobenen Ewigkeit", so Kittner. Sie hält die Neuauflage der Hippie-Esoterik für angepasst im Vergleich zum konsumkritischen und rauschhaften Original. Heute heißt das Buch der Stunde "Material Girl, Mystical World", geschrieben von der britischen Autorin Ruby Warrington. Der Verlag legt es Frauen ans Herz, die brav verinnerlicht haben, "dass ein Schrank voller Designerschuhe und ein zutiefst sinnvolles Leben sich bestens vertragen." Wie gut zu wissen.

Inzwischen gibt es auch ganze Pflegeserien mit Saphir oder Quarz als Inhaltsstoff

Mal abgesehen von klobigen Himalaja-Salzlampen, die in manchen Läden seit den Zeiten des Synthesizer-Veterans Vangelis vor sich hinzustauben scheinen - das Kristallzubehör von 2018 ist formschön und dezent retro. Ein Satz Amethyst-Schüsseln gefällig oder Glasuntersetzer aus in Scheiben geschnittenem Achat? Wer's glaubt, holt sich damit Schutz und Entgiftung ins Esszimmer. Aus modischer Sicht liegt man auch nicht falsch und im Mid-Century-Trend. Gewöhnungsbedürftig sind massive Vasen oder Wandverkleidungen aus schwarzgrünem Malachit, ein Stein, mit dem russische Zaren gern bei Gastgeschenken an konkurrierende Herrscherhäuser protzten. Der israelische Künstler Arik Levy geht den Trend filigraner an, er variiert in vielen seiner Lampen kristalline Formen. Und die hippe Kosmetiklinie Kora Organics des australischen Models Miranda Kerr ist nur eine von vielen Pflegeserien, die mit Saphir oder Quarz als Inhaltsstoff werben. Wissenschaftlich bewiesen ist die Wirksamkeit nicht.

Auch die Schmuckdesignerin Saskia Diez experimentiert gerade mit Ziersteinen, denen bestimmte Eigenschaften nachgesagt werden. Die Münchnerin steht für schlichte, puristische Entwürfe, weit entfernt von Esoterikkitsch. Für ihre neuen Birthday-Rings hat sie jedem Monat einen Stein zugeordnet: Der März ist hellblau wie Aquamarin (Besonnenheit), der Mai grün wie Chrysopras (Lebensfreude). "Es geht gar nicht darum, ob diese Eigenschaften und der Effekt nachgewiesen sind", sagt sie. Aber sie bemerke bei ihren Kunden das Bedürfnis, sich aufgehoben zu fühlen in einer höheren Ordnung. Diese Sehnsucht befriedigt im Kleinen ein symbolisch aufgeladenes Schmuckstück. Ob man nun daran glaube oder nicht, sagt Saskia Diez: "Ich finde, dass solche Stücke unseren Alltag reicher machen. Und ein bisschen verspielter."

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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