Porzellan:Die Spur des Reiskorns

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Porzellan von Laura Straßer war auch schon in Ausstellungen zu sehen. (Foto: Laura Straßer)

Inspiriert von chinesischer Handwerkskunst und Billigdesign aus dem Asia-Shop, fertigt Laura Straßer ganz besondere Keramikschalen.

Von Anne Goebel

Gerade geht die Düsseldorfer Ausstellung von Ai Weiwei in die letzten Wochen, 100 000 Besucher haben die Schau schon gesehen. Eine der Attraktionen: "Sunflower Seeds", die Installation aus unglaublichen 60 Millionen Porzellan-Sonnenblumenkernen, bemalt und made in China. Das vielbestaunte Werk ist ein gutes Beispiel dafür, wie zeitgenössische Keramik so aussieht: Natürlich nicht nach fein glasiertem Geschirr, sondern dekonstruiert zur Performance oder zu bizarren Objekten - von Livia Marins zerfließenden Scherbenhaufen bis zu den getöpferten Kratern des Newcomers Brian Rochefort. Insofern ist man als Besucher in Laura Straßers Atelier erst mal beruhigt. Hier stehen richtig hübsche weiße Teller in den Regalen und drei kobaltblaue Vasen auf dem Tisch.

Berlin-Friedrichshain, ein Kreativhaus in der Rudolfstraße. Ansässig sind ein Eventbüro, eine kleine Grafikagentur, ein Indie-Magazin und weitere Spezialisten, Gemeinschaftsraum zum Frischmachen im Erdgeschoss. In diese Mischung würde kein Sortiment aus kommerziellem Steingut passen, und das gibt es bei Laura Straßer auch nicht. Die 38-Jährige, grazile Gestalt, fester Händedruck, gehört zu der Generation von Gestaltern, die sich leichtfüßig zwischen künstlerischem Format und Verkäuflichkeit bewegen. Dabei hilft die passende (Hauptstadt-)Klientel mit individualistischem Einrichtungs- und Einkaufsverhalten: Bitte keine Massenware und auch nichts Verstiegenes. Um dieses wählerische Publikum zu interessieren, braucht es eine gute Geschichte. In Laura Straßer Fall: die der Allerweltsschale aus dem Asia-Shop.

"Mich hat es immer fasziniert, Muster aus ihrem Kontext zu lösen und damit zu spielen", sagt die Produktdesignerin, die bei einem Intermezzo an New Yorks Gestalterschmiede Pratt Institute ihre Begeisterung für Keramik entdeckte. Gespielt hat Straßer zum Beispiel mit dem altbackenen Goldrand, den sie für die Serie "Line Of Gold" nach innen, in die Tellermitte rückt - eine kleine Verschiebung mit verblüffender Wirkung. Das Geschirr wirkt leicht, elegant, ohne an Festlichkeit zu verlieren.

Und um neue Blickwinkel geht es auch bei dem Projekt "Eine Reisschale für Millionen", das Laura Straßer viel Aufmerksamkeit und mehrere Ausstellungen, etwa in Berlin oder Teheran eingebracht hat. Ausgangspunkt war die weiß-blau gemusterte Billigschüssel, wie sie jeder aus dem Asia-Laden kennt, meist in irgendeinem Eck zu Türmen gestapelt mit einem Zwischenstück Papier gegen das Klirren. Ein Massenprodukt aus China, in Zigtausenden Haushalten des Westens Behältnis für Reis oder Frühstücksmüsli, für Pudding, gerissene Perlenketten oder Ersatzteile von Lego. Das Dekor mit den transparenten Einsprengseln, sagt Straßer, schaue sich niemand näher an, ist ja nur ein Alltagsgegenstand minderer Güte. Dabei ist das Reiskornmuster oder "Grain de riz", wie es bei französischer Ware aus Sèvres oder Limoges genannt wird, eine alte Technik. Laura Straßer hat sie in die Gegenwart übersetzt.

Schlicht "Rice" heißt ihre weiße Porzellanserie, in der Form puristisch und mit den typischen ovalen Aussparungen, durch die das Licht scheint. Sie ist sicher auch deshalb ein Erfolg, weil jeder das Muster irgendwie kennt, ohne genau zu wissen, woher. Die Verzierung von Keramik mit milchig schimmernden Leerstellen, auch in Persien und Indien bekannt, wurde im China des 13. Jahrhunderts Mode und gelangte später über die Ostindischen Handelskompanien nach Europa. Für das Muster drückt man mit Reiskörnern Löcher in das ungebrannte Modell, die dann durch die gehärtete Glasur ausgefüllt werden. Eine lange Geschichte und eine komplizierte Prozedur, an deren Ende die industrielle Akkordherstellung der zweitklassigen "Asia-Bowls" in der versmogten Porzellanhauptstadt Jingdezhen steht.

Laura Straßer hat die chinesische Metropole mehrmals besucht, Fotos von Fließbändern und Scherbenhalden gemacht, ihre Reisen in zwei Büchern dokumentiert. Und am Ende daraus ihre eigene Reiskorn-Variante filtriert: Becher oder Teller aus samtigem Biskuitporzellan mit ein paar akzentuierten Lichtstellen. Und sogar eine Schale in "Hong Kong Market"-Anmutung - aber fein gearbeitet und goldbemalt. Solche anspielungsreichen Stücke kommen bei den Kunden gut an, man ersteht ein Unikat und ein wenig Storytelling dazu. Mit jedem ihrer Stücke will die Absolventin der Bauhaus-Universität "eine Geschichte erzählen". Walter Gropius hätte das gut gefallen.

Und natürlich profitieren kunsthandwerklich orientierte Designer wie sie auch vom Hype um handgemachte Keramik. Getöpfertes wird regelrecht verehrt als naturnaher Gegenpol zu all den synthetischen Touch-Oberflächen, die uns umgeben. Bisher beschränkt sich das auf Produkte aus Ton samt dazugehöriger Workshops für überdigitalisierte Großstädter. Aber an der Drehscheibe und mit Gussformen lässt sich auch Porzellan verarbeiten. Und da, prophezeit Laura Straßer, "geht der Trend gerade erst los".

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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