Möbeltrends:Magie der Macke

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Dicke Formen, knallige Farben, schiefe Gläser: Beim Rundgang über die große Einrichtungsmesse Maison & Objet in Paris fallen dem Beobachter unter anderem poppige Möbel und reizvoll unperfekte Unikate auf.

Von Max Scharnigg

Die Charaktere der europäischen Möbelmessen unterscheiden sich wie folgt: In Mailand im Frühling sind alle und zeigen alles, die Möbel sind da aber vor allem Kulisse für fünf Tage Party, die Designer werden wie Popstars gefeiert. Auf der Möbelmesse in Köln, die vorletzte Woche zu Ende ging, wird dagegen eher seriös über die Zukunft der Schrankwand nachgedacht, und gestandene Mittelständler mit Polstermöbelhintergrund laden zum informellen Cocktail an ihren Stand. In Stockholm und Kopenhagen feiern sich die Skandinavier für ihren guten Geschmack selbst, alle sind unheimlich nett und schön und gehen um fünf Uhr nach Hause. Und bei der großen "Maison & Objet" in Paris, die in der vergangenen Woche über die Bühne ging, stehen weniger einzelne Möbel als der gute Wohngeschmack und globaler Stil im Vordergrund, und chinesische Journalisten reisen dafür im Buskonvoi an.

Da flaniert man also in Paris im matten Hallenlicht zunächst vorbei an den Ständen der großen Trendmöblierer, viele davon aus Dänemark, deren einfachem Scandi-Stil in Blogs und auf Shop-Plattformen wie Westwing und Co. täglich gehuldigt wird: House Doctor, Bloomingville, Hübsch, Menu, Ferm Living - stilsichere Wohnlabels, die alle annähernd das gleiche Konzept haben: halb seriöser, halb verspielter Chic für Instagram-Appartements, am liebsten aus Holz, Leder, Pastellfarben und Messing, hausseitig designt und irgendwo weit weg von skandinavischen Lohnkosten produziert. Beliebteste Disziplin dieser gefälligen Ausstatter sind Beistelltische und kleine, körperlose Wandregale, die in ihrer Funktion über Ablage für Schlüssel und Smartphone oft kaum hinausgehen. Der warme Verdunklungstrend der vergangenen Jahre verstärkt sich dabei noch einmal spürbar, gefragte Hölzer sind Nussbaum, Mango, Raucheiche und Teak, statt kantig muss alles wieder eher organisch verformt sein und ein wenig abgeschabt oder ausgebleicht aussehen.

Lampen haben fast verpflichtend einen Metallkäfig, der in seiner Form zwischen Kristallgitter und altem Vogelbauer angelegt ist und sich um eine LED-Birne mit Retro-Aufmachung spannt. Diese Birnen im Vintagestil mit moderner Technik sind übrigens zum allgegenwärtigen Leuchtmittel auf der Messe geworden, und selbst Osram macht mit seiner "Edition 1906" mit. Der urbane Wohnraum selbst sieht bei den nordischen Lebensverschönerern mittlerweile aus wie der Kindergarten-Remix eines Orientexpress-Abteils. Merkregel: Je kleiner, desto knalliger, je größer ein Möbelstück, desto dezenter und leichter soll es sein.

Eine Halle weiter gibt es dann wirkliche Design-Avantgarde zu sehen. Die französischen Labels sind in Paris naturgemäß stark vertreten und präsentieren sich seit einigen Jahren als junge, herausfordernde Gestalter. Hartô, Petite Friture, Anso, aber auch das deutsche Avantgarde-Label Pulpo (das eine Kollektion von Sebastian Herkner enthüllte), sind sich dabei in ihrer neuen Ästhetik ziemlich einig: poppige Sitzmöbel und Betten, ein Spiel mit knalliger Geometrie und dicken Konturen, die manche Stücke wirken lassen wie aus einem Comic. Besonders viel Aufmerksamkeit bekam Petite Friture, deren "Villa PF" supermodernistisch inszeniert war. Nachdem lange Schlichtheit, Understatement und Authentizität die Möbelmessen beherrschten, zieht mit dem Neo-Modernismus wieder Farbe, Form und ein bisschen Wahnsinn ein. Tut gut.

Dieser Neo-Popstyle macht auch vor Haushaltsgeräten nicht halt, denen auf der Maison & Objet viel Platz eingeräumt wird. Der Produktdesigner Alain Gilles etwa zeigte für die neue Küchengeräte-Marke Evolution knuffige Utensilien mit sehr haptischer Ausstrahlung. Weich, dick, üppig sind seine Vorschläge für Fleischthermometer, Karaffe oder Schneidebrett. Ein sinnlicher Gegenentwurf zu den Chromstahl-Küchenhelfern, die bis jetzt in der Schublade liegen. Das gilt auch für andere Produkte: Allzu sterile Designs sind nicht mehr in der Überzahl, Kopfhörer, Backformen und Gartenscheren und Kochmesser (etwa bei Opinel) bekommen Farben, matte Oberflächen und schreien: Fass mich an!

Angefasst wird traditionell viel in der Halle, die mit "Crafts" übertitelt ist: Auch winzige Manufakturen können sich die kleinen Stände leisten, und so sieht man von argentinischer Bio-Kinderbettwäsche bis zum filigranen Porzellan aus der Steiermark alles, was Handwerk und Idealismus so formen. So individuell die meisten Stücke hier sind, ein Trend lässt sich doch ausmachen - das sichtbar Unperfekte. Allen voran bei der Keramik, die nur halb glasiert oder leicht verbeult ist, aber auch bei absichtlich grob gegossenen Sitzschalen aus recyceltem Kunststoff oder verzogenen Trinkgläsern. Macken sind magisch, da sind sich Besucher und Aussteller ziemlich einig. Natürlich auch, weil der Käufer damit immer ein einzigartiges Stück erwirbt. Und auch wenn Paris lange nicht mit so vielen Namen jongliert wie Mailand, ein paar Gestaltungs-Stars zeigten sich schon. Allen voran der Brite Tom Dixon, der eine überraschende Erweiterung seines Portfolios vorstellte: Handseife und Spülmittel. Natürlich im Dixon-Stil in kupfern schimmernde Gefäße gezapft, ist das nach Duftkerzen ein weiterer Vorstoß des Möbeldesigners in die Welt der lukrativen Verbrauchsmaterialien. Schließlich muss man auch denjenigen noch etwas verkaufen, die schon perfekt eingerichtet sind.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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