Manufaktur vs. Digitaluhr:Luxusprobleme

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Illustration: Claudia Klein (Foto: Illustration: Claudia Klein)

Angst vor der Apple Watch: Auf der Luxury Conference in Florenz dreht sich alles um die Frage, wie Technologie die Branche verändern wird.

Von Silke wichert

Jetzt wäre es also offiziell: Apple ist ein Luxuskonzern. Oder wie soll man das sonst verstehen, wenn die größte "Luxury Conference" der Branche nicht etwa die Leute von Tiffany, Ralph Lauren oder Louis Vuitton eröffnen, sondern ausgerechnet die Designer von Apple?

Da sitzen jetzt also Jonathan Ive und Marc Newson und reden über ihre Uhr, die vergangene Woche auf den Markt kam und ja tatsächlich für ein bisschen mehr Wirbel sorgt als irgendein neues Handtaschenmodell. Und weil das Ganze im prachtvollen Palazzo Vecchio in Florenz stattfindet, sagt Ive irgendwann, er habe noch nie in einem Raum gesprochen, wo allein die Decke weitaus interessanter sei als alles, was er sagen könne. Das Publikum lacht, auch Nerds können also witzig sein. Allein - es stimmt leider. Kein Wort darüber, dass der Computerkonzern in den letzten Jahren systematisch Leute von Burberry bis Saint Laurent abgeworben hat oder warum die Uhr in bester Luxushaus-Manier fast nur "by appointment only" begutachtet werden darf. Der Erkenntnisgewinn beschränkt sich am Ende darauf, dass die Designer ihr eigenes, weil doppelt so hartes Gold herstellen ließen und die Schreibtische der beiden meistens unaufgeräumt sind. Da sind die Deckenfresken, dieser sehr alte Luxus, wirklich beeindruckender.

Wenn die einflussreichste Modekritikern und umtriebigste Haartolle der Welt, Suzy Menkes, zum Luxusseminar bittet, wird groß aufgefahren. Da stehen dann Namen wie Karl Lagerfeld, Alber Elbaz, Tory Burch und ein Dutzend CEOs von Marken wie Salvatore Ferragamo bis Chloé auf dem Programm. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi war eigentlich auch angekündigt, er ist ja aus Florenz, aber nach der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer mal eben rüber auf die Luxuskonferenz jetten - vielleicht doch keine so gute Idee.

Bis vor zwei Jahren organisierte Menkes die Veranstaltung zusammen mit der International Herald Tribune, ihrem früheren Arbeitgeber. Seit sie zur Oberkritikerin der Vogue ernannt wurde, ist der Condé-Nast-Verlag Gastgeber. Geändert hat sich dadurch höchstens, dass alles noch luxuriöser aufgezogen wird. Getagt wird nicht in irgendeinem Hotel, sondern in besagtem Palazzo Vecchio, dem Renaissance-Rathaus von Florenz, und der Empfang am Abend findet natürlich ebenfalls in einem Palazzo statt, inklusive spätbarockem Thronsaal und Dachterrasse mit Blick auf den Arno. Spätestens da finden die 500 Teilnehmer aus der ganzen Welt, dass rund 3840 Euro pro Ticket eine prima Investition für zwei Tage sind.

Wie reagiert die "Hard-Wear" der Luxusmarken auf die immer wichtiger werdende Software?

Aber vor allem geht es natürlich darum, die dringenden Fragen der Branche zu diskutieren. "Hard Luxury" ist das Oberthema für 2015, wenn auch nicht ganz klar ist, was damit eigentlich gemeint ist: Macht die Branche harte Zeiten durch, weil, wie der CEO von Ferragamo sagt, die Russen verschwunden sind und man sich politisch eigentlich auf nichts mehr verlassen könne? Oder weil sie laut der Chefredakteurin der Vogue China in Zukunft härter um die chinesischen Konsumenten kämpfen müssen, die sich nicht mehr von einem asiatischen Alibi-Model in der Werbekampagne eines europäischen Labels beeindrucken lassen?

Vielmehr geht es wohl doch um die Frage, wie die "Hard-Wear" der traditionellen Luxusmarken auf die immer wichtiger werdende Software reagiert. Das Schreckgespenst Apple Watch, so etwas wie das feindliche Fashion-Item der Stunde, geistert von Beginn an durch den Saal, und wer sich dort zwischendurch tatsächlich mal umschaute, sah an den Wänden die berühmten Schlachtenbilder von Vasari, Florenz' Sieg über Siena, alte Macht gegen neue Macht, ein ewiges Thema.

Klar ist, die Luxusindustrie hat die digitale Revolution weitgehend verschlafen. Viele Marken behandeln das Thema immer noch wie einen hoffentlich vorübergehenden Trend oder rühmen sich ihres kürzlich eingerichteten Instagram-Accounts. Sie mussten sich bisher ja auch nicht groß anstrengen. Louis Vuitton wird "jede Sekunde dreimal auf Google gesucht," sagt Antoine Arnault, Sohn des LVMH-Besitzers. Man umarme die neuen technischen Möglichkeiten, wo es Sinn mache, andererseits lasse sich eine Handtasche glücklicherweise nicht so einfach dematerialisieren wie Musik. Oder, um seinen Vater zu zitieren: "Wer weiß, ob die Leute in zwanzig Jahren noch die Apple Watch tragen - in jedem Fall werden sie noch Dom Perignon trinken." Santé, Silicon Valley!

Interessant wird es, als eine junge Frau das Podium betritt, die frisch von einem Projekt mit der Nasa kommt, US-Präsident Obama berät und Wired-Consulting leitet. Sophie Hackford ist der heimliche Star dieser Konferenz, weil sie keine Power-Point-Präsentation runterspult, sondern Zukunftsszenarien aufwirft: Seide und Leder, das aus Biozellen im Labor gezüchtet wird, 3-D-Printer, die von der Sonnenbrille bis zum Mantel alles reproduzieren. "Vielleicht wird nicht das Produkt mehr das Wertvolle sein, sondern die Datei des Designs", sagt Hackford. Großes Staunen. Suzy Menkes versteht die Welt nicht mehr. Muss sie ja auch nicht, die Dame im karierten Silbermantel ist mittlerweile auch schon 71 Jahre alt.

Knapp 50 Jahre macht sie ihren Job inzwischen, Karl Lagerfeld ist dieses Jahr allein für Fendi 50 Jahre tätig und entwirft auch noch für Chanel und seine eigene Marke. Die beiden zusammen auf dem Podium, das ist so etwas wie die modische Elefantenrunde. Erste Frage: "Wie machen Sie das alles? Und warum?" Antwort Lagerfeld: "Denken hilft. Und sich immer wieder anstrengen." Wie er die gerade eröffnete Ausstellung über ihn in Bonn finde? "Ich fahr da nicht hin, wozu auch?" Überhaupt langweile ihn diese ganze Beschäftigung mit der Vergangenheit fürchterlich - "Paradise now!" Natürlich soll er auch noch etwas zur Apple Watch sagen, worauf Lagerfeld gewissermaßen das As unterm Ärmel hervorzieht: Er hat die Uhr bereits! "Nur mir, Anna Wintour und Beyoncé haben sie vorab eine geschickt", sagt Lagerfeld. "Und?" Nichts und. Benutzt habe er das Ding natürlich noch nicht, keine Zeit. Ob er sich selbst auch manchmal wie der letzte Mohikaner fühle, will Menkes noch wissen. "Ich habe mich noch nie mit anderen verglichen. Es fängt mit mir an, es endet mit mir." Jeder im Saal wünscht sich jetzt insgeheim, irgendwer im Silicon Valley möge bald dieses Einfrieren und Auftauen marktreif hinkriegen und als Erstes Lagerfeld konservieren. Der Unterhaltungsfaktor ist einfach unschlagbar.

Es ist natürlich denkwürdig, dass über "Hard Luxury" ausgerechnet in Florenz diskutiert wird, diesem Hardcore-Handwerks-Ort. Pucci, Gucci, Ferragamo - einige der traditionsreichsten Luxusmarken stammen von hier. In der Nähe werden noch immer die besten Handtaschen der Welt von Hand gearbeitet. Ist das noch zeitgemäß? Natürlich! Da sind sich alle einig.

Aber wo sind die "Wearable Devices"? Die intelligente Kleidung, die mit der Temperatur die Farbe wechselt, Körperfunktionen misst, die Haut kühlt oder wärmt? Dafür muss dann doch ein Amerikaner ran, um zu zeigen, wie Technologie und Luxus zusammengehen könnten: David Lauren, Sohn von Ralph Lauren, der ein bisschen strebermäßig runterbetet, was ihr Unternehmen alles schon Innovatives geleistet hat. 4-D-Hologramm-Modeschau, 24-h-Schaufenster mit Touchscreen, eine Handtasche mit Handy-Aufladefunktion und Innenbeleuchtung und ganz wichtig: das biometrische "Polo"-Smart-Shirt. Es misst den Kalorienverbrauch, die Herzfrequenz und die Stimmung des Trägers. Theoretisch können diese Daten auch alle in Echtzeit an den betreuenden Arzt übermittelt werden. Oder ans Publikum, das am Ende David Laurens Herzfrequenz auf der Anzeigetafel mitverfolgen darf. 87. Er war tatsächlich ein bisschen aufgeregt.

Gott sei Dank kommt kurz darauf Alber Elbaz auf die Bühne, der sehr geniale und sehr beleibte Designer von Lanvin, und spricht aus, was so einige nach dem üppigen italienischen Essen denken: "Wenn ich dieses Shirt tragen würde, müsste ich wahrscheinlich die Hälfte der Zeit in der Notaufnahme verbringen." Das Problem mit diesen Wearables ist ja tatsächlich, dass die Leute sie bisher einfach nicht haben wollen. Vielleicht wird sich das ändern mit der - ein letztes Mal muss dieses Ding noch erwähnt werden: Apple Watch.

Den Maschinen fehlt ein Herz, um Dinge zu schaffen, die berühren, sagt der Designer

Elbaz erzählt dazu eine Anekdote von einer Party, wo kürzlich die neue Garde, die Apple-Leute, unglaublich sexy und ausgeschlafen aufliefen, während die Modeleute müde und gestresst, also wirklich alt aussahen. Betretenes Schweigen. "Wie konnte es passieren, dass Technologie der Mode den Glamour abgelaufen hat?", fragt Elbaz. Eigentlich soll er die Frage beantworten, ob Computer die kreative Leistung des Designers ersetzen können. Die Antwort ist natürlich klar und so rührend vorgetragen, dass jeder sofort seiner Meinung ist. Computer seien zu präzise, denn gerade im Unperfekten entstehe ja das Geniale. Und den Maschinen fehle eben, was es für die Mode sehr wohl brauche: ein Herz! Um Dinge zu schaffen, die berühren.

Dann tritt man wieder hinaus auf die Straßen von Florenz, wo die Männer Lederslipper ohne Socken statt ultraleichter Turnschuhe tragen und sich das Wlan hinter jeder dicken Mauer verlässlich verabschiedet. Paradise now.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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