Lokaltermin:Pots

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Das Berliner Ritz Carlton versucht, die deutsche Hausmannskost neu zu erfinden. Ob man all den Klopsen und Armen Rittern da nicht zu viel zumutet?

Von Fabienne   Hurst

Das Berliner Ritz Carlton hat für das Konzept seines neuen Hotelrestaurants einen Altmeister der Gourmetküche verpflichtet: Nach einer Idee von Dieter Müller soll die Küche des Pots Klassiker der deutschen Hausmannskost in den Fine-Dining-Kosmos überführen. Ob Senfei, Matjes oder Hühnerfrikassee - jedes Gericht wird, wie edle Tapas, zum Teilen serviert, vor einer pompösen Kulisse aus Marmor und mannshohen Spiegeln. Fabienne Hurst fragte sich: Ob man all den Klopsen und Armen Rittern da nicht zu viel zumutet?

Die German Angst scheint sich auch um den Klops zu drehen. Erst neulich hat wieder jemand versucht, das mit ernst gemeinter Empirie zu untermauern: In keinem Land sei die heimische Küche weniger verbreitet als in Deutschland, beklagte ein Kollege von der Welt. Gerade einmal 35,5 Prozent der Wirtshäuser trügen das Etikett "deutsche Küche", so monierte er, und stützte sich dabei auf eine Studie der Universität Minnesota. Eine dubiose Statistik. Wie kann man sich im Mittleren Westen der USA seiner Sache bis hinters Komma sicher sein, wenn doch nicht mal im föderal zersplitterten Gastro-Deutschland Einigkeit darüber herrscht, was "deutsche Küche" überhaupt bedeutet? Fragen Sie mal einen Schwaben und einen Brandenburger, was er jeweils unter einem Jägerschnitzel versteht. Der eine wird antworten: ein flaches Stück Fleisch mit Pilzsauce, der andere: eine Scheibe panierte Jagdwurst.

Doch sollte es tatsächlich eine Bedrohung geben: Rettung naht. Im "Pots" etwa, dem neuen Hotelrestaurant des "Ritz Carlton" am Potsdamer Platz in Berlin. Dort hat sich Dieter Müller, einer der Väter des deutschen Gourmetküchenwunders, als "impulsgebender Patron" das Konzept "Deutsche Küche 2.0" ausgedacht. So verkünden es an der Wand angebrachte Tafeln im Restaurant. Hausmannskostklassiker der Bundesrepublik sollen - neu interpretiert, veredelt und als Tapas - in den Fine-Dining-Kosmos überführt werden.

Dabei hilft erst einmal ein gewisser Rahmen. Denn wo man umgeben ist von mannshohen Spiegeln, Marmorplatten und Designer-Lampen, lässt sich auch die profanste Speise in glanzvollem Licht präsentieren. Tatsächlich ist der neu gestaltete Innenraum des Hotelrestaurants ein gelungener Stilmix aus fast staatstragendem Marmor-Schick und uriger Küchengemütlichkeit - offene Küche und Marmeladengläser in Holzregalen inklusive.

Gegessen wird - das ist ja mittlerweile bald überall so - im zwanglosen Sharing-Stil, man bestellt verschiedene Gerichte in Schälchen und teilt dann. Los geht es mit einem schick verpackten "Lila Senfei" (zwölf Euro), das zwar nicht gekocht, sondern pochiert wurde, dafür aber ganz klassisch in dicker Sauce schwimmt. Zuvor wurde es mit Rote-Bete-Pankomehl paniert und ausgebacken, was hübsch aussieht, wenn das Eigelb beim Zerteilen aus der weiß-pinkfarbene Hülle rinnt. Die ebenfalls lilafarbene Sauce besteht aus Traubenmost und Senf, dazu gibt es einen winzigen Kleks Kartoffelstampf. Außerdem ein paar Blätter leicht sautierten Spinat, die dem Gericht alle Dumpfheit nehmen. Auch wenn durch den streng dosierten Senf-Einsatz nostalgische Gefühle ausbleiben: ein stimmiger Beginn.

Für die Matjes-Interpretation (12 Euro) verwendet der Küchenchef statt des gewöhnlichen Herings edle Filets vom Blaufelchen, in Salzlake fermentiert. Den zarten Fisch serviert er auf einem geleeartigen Spiegel aus grünem Apfel und Gurke, bei dem sich Säure und Süße angenehm die Waage halten. In separaten Schälchen reicht man dazu zwei kleine, auf Salz gegarte Kartoffeln mit Sauerrahm. Zwar sind diese sehr aromatisch, die Tunke mit Zwiebelstückchen feinwürzig und cremig, aber es bleibt dann doch eine intellektuelle Herausforderung, einer Pellkartoffel das Alltägliche auszutreiben.

Ähnlich verhält es sich mit den Königsberger Klopsen (20 Euro). Natürlich sind sie würziger und lockerer als jene, die man vielleicht aus der Kantine kennt. Die Sauce ist schaumiger, auch thront auf jedem der beiden Bällchen eine Bayrische Zuchtgarnele - Tradition in Surf and Turf-Verkleidung. Doch ein Klops bleibt ein Klops, nämlich ein in Brühe gegarter Hackfleischball. Auch das soßige Frikassee vom Maishähnchen (20 Euro) erinnert etwas zu stark an das, was man aus der Hausmacherküche kennt, da helfen auch krosse Gemüsechips als Topping nicht.

Zum Nachtisch haben es die "Armen Ritter" (9 Euro) zu stattlichem Kalorienreichtum gebracht: Statt altem Weißbrot kommen hier frische Brioche-Scheiben zum Einsatz, die mit Zucker, Mandeln und Butter gebraten wurden und zu Tonkabohneneis, Vanillesauce und Rhabarberkompott serviert werden. Das ist zugleich knusprig, cremig und matschig, aber leider so mächtig, dass dieser Nachtisch als Hauptgang durchgehen könnte.

Vielleicht schrauben die pompöse Kulisse und das etwas großspurige Konzept den Anspruch an die Alltagsklassiker hier unfairerweise in die Höhe. Nichts gegen einfache Gerichte, aber bei ihrer Neuinterpretation gibt es Grenzen. Vielleicht müsste man sich beim "Revolutionieren" einfach nur für einen Ansatz entscheiden. Veredelt man die Alltagsklassiker, indem man sich ganz auf die Qualität der Zutaten konzentriert - so wie Tim Raue in seinem Lokal "Soupe Populaire" die deutsche Küche schon erfolgreich zelebrierte? Oder hebt man die Hausmannskost durch radikale Dekonstruktion auf ein ganz neues Level, was zugegebenermaßen sehr gut gemacht sein müsste, um gut zu sein? Das Pots bleibt leider im Moment irgendwo dazwischen stecken.

© SZ vom 19.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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