Genusskultur:Hochprozentig protzen

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Das Auge trinkt mit: Zu neuen Spirituosen gehört heute fast zwingend hochwertiges Flaschendesign. Damit wird auch die Kultur der Hausbar wiederbelebt.

Von max scharnigg

In einer Hausbar darf heute jede Flasche stolz ihre Markengeschichte erzählen. (Foto: Chuttersnap/Unsplash)

Zu den durchaus bedenkenswerten Regeln für den richtigen Umgang mit Alkohol gehört auch diese: Nie zu Hause trinken! Wer sich erst in eine Bar oder ein Restaurant aufmachen muss, so die Annahme, und nur in professioneller Atmosphäre die Eiswürfel klimpern lässt, betreibt das Ganze maßvoller. Den zumindest halbwahren Kern dieser Idee muss jeder anerkennen, der nach einer Party daheim schon mal Alkohol in nicht haushaltsüblichen Mengen übrig hatte oder auch nur einen ungewohnten Bierkasten.

Auf einmal ist jeder Abend ein Feierabend und beginnt auch immer früher - plopp! Eine gepflegte Hausbar ist in dieser Lesart eine Art konstante, sündhafte Verlockung in den eigenen vier Wänden und hatte vielleicht auch deshalb keinen besonders guten Ruf. Ihre Vergangenheit in den verrauchten Chefzimmern der 60er-Jahre, ihre Abwandlung zur depressiven Tiki-Bar im deutschen Hobbykeller, ihre enge Verstrickung mit albernen Rockbands und verwüsteten Hotelzimmern und nicht zuletzt die spießige, heimische Cocktailmixerei in den 90er-Jahren (Sex on the Beach, hihi!), ließen die Hausbar jedenfalls eher wie ein verzichtbares Relikt der doofen alten Zeit erscheinen.

Nie wird man so eine Flasche in den Altglascontainer werfen. Das Teil muss vererbt werden!

Das ändert sich aber wieder, seit selbsternannte Brennmeister, Connaisseurs und andere Männer dem Fachgebiet Manufakturschnaps so viel von ihrer Tagesfreizeit opfern. Denn all die neuen Gins und Whiskys, die wiederentdeckten Rums, Wodkas und sonstigen Hip-Destillate unterstreichen ihre Klasse ja vor allem mit gewitztem Verpackungsdesign. Generell lässt sich sagen: Das Zeug sieht heute meist kunstvoller aus, als es schmeckt. In der entsprechenden Abteilung eines großen Supermarkts steht man jedenfalls vor einem eindrucksvollen Altar neuer Ginsorten und jede davon posaunt das Märchen ihrer Einzigartigkeit via Flasche und Etikett heraus. Egal, ob als feine Art-Deco-Vase (Le Tribute Gin), mit Schmuggler-Chic (Cuate Rum), Bauhaus-Würfel (Copenhagen Gin) oder als Steingutflasche (Gin Sul): So sehenswert die Formenvielfalt der Flakons, der kunstvoll gestalteten Namen und Vignetten, der Korken, Deckel und Stopfen-Variationen ist, sie buchstabiert doch immer die gleiche Botschaft: Hallo, ich bin kein Gesöff. Ich bin eine Investition in den guten Geschmack.

Eigentlich folgen die modernen Spirituosen damit mehr der Marketinglogik einer Parfümabteilung als der ihrer Verwandten, die im Getränkemarkt kistenweise verkauft werden. Denn während bei Bier und Wein das Etikettendesign zuletzt zwar ebenfalls stark eskalierte, ist dort die Variation der Flaschenform begrenzt. Beim Bier aufgrund der Pfandsystemnormen und bei der Weinflasche, weil sie formal oft mit Rebsorte oder Anbaugebiet verknüpft ist. Bei neuem Hochprozentigem hingegen ist alles erlaubt, was den Griff zur Flasche zum sinnlichen Gesamterlebnis macht.

Und ja, die Distinktion, die etwa von einer Flasche "Isle Of Harris"-Gin ausgeht, ist schon beachtlich. Der mit Seetang versetzte Wacholderschnaps von den Hebriden schwappt in einer filigranen, türkisen Glasbouteille mit atlantikwelligen Rippen. Die vornehme Erscheinung wird mit Holzverschluss und einem minimalistischen Etikett abgerundet, das individuell noch mit einem Stück Blattkupfer und einem Fitzel Zuckertang verziert wird. Toll! Aber auch: unpraktisch. Niemals wird man so eine Flasche in den Altglascontainer werfen können, das Teil muss vererbt werden. Aber mit solcher Detailliebe gewinnt man eben den deutschen Verpackungspreis 2016 und die Herzen derjenigen, die noch einen schönen Drittgin für ihre Vitrine suchen. Der Verkaufspreis (49 Euro/0,7 l) ist offenbar verschmerzbar, wenn man nicht nur ein Destillat, sondern gleich ein Dekoobjekt bekommt. Und das ganze Produkt ist derart intensiv auf tiefere Bedeutung getrimmt worden, dass es zum Trinken sowieso zu schade ist. Nein, das ist schon eher ein conversation starter: Isle of Harris? Zuckertang? Darf ich die Flasche streicheln?

Und zum gepflegten Drink gehört natürlich das richtige Glas – der Tumbler wurde von Mark Braun extra für den neuen Monkey Gin entworfen und bei Lobmeyr in Wien mundgeblasen. (Foto: Monkey47)

Früher bedeutete Flaschendesign: Der rote Plastikhut auf dem Tequila

Einen leichten Knacks bekommt die Sache freilich, wenn man erfährt, dass diese Flasche nicht von einer schottischen Glasbläser-Familie, sondern ganz markenstrategisch in der Steiermark zusammengesetzt wurde. Denn dort hat in Köflach die Stölzle Glass Group ihren Hauptsitz (Slogan: We inspire your spirits), einer der weltweit führenden Produzenten von Spezial-Verpackungsglas für "Prestige Spirituosen". Im Portfolio der Österreicher sieht man noch viele andere der attraktiven Einzelgänger auf einem Haufen - gediegene Single Malts aus Schottland, maskuline Wodkas aus Finnland oder die mediterran-verspielte Malfy-Ginflasche aus Italien haben ihr Outfit hier verpasst bekommen.

Auch die sechseckigen Flaschen für die legendären Edelbrände der Stählemühle am Bodensee wurden bei Stölzle gefertigt. Entworfen hatte die ikonische Schnapsflasche 2013 aber der Berliner Gestalter Mark Braun, der heute auch eine Professur für Design bekleidet. "Produktdesign ist eine Sprache ohne Worte. Die sechseckige Flasche steht in der Apothekengeschichte eigentlich für Gift. Da sollte damals die Botschaft mitschwingen, dass auch beim Alkohol die Dosis das Gift macht und der Inhalt bewusst genossen werden soll. Außerdem geht es bei Destillaten immer ein wenig um Alchemie", erinnert sich Braun. Er ist bis heute einer der wenigen Autorendesigner geblieben, die regelmäßig die moderne Barkultur mitgestalten. Gerade hat er etwa im Auftrag der erfolgreichen Gin-Marke Monkey 47 ein Tumbler-Glas entworfen, in dem eine neue, fassgereifte Variante zur Geltung kommen soll. Entstanden ist ein mundgeblasenes Glas mit elegantem Relief, das der Wiener Traditionshersteller Lobmeyr nach Brauns Vorgaben fertigt - und das von den Gin-Fans trotz eines Stückpreises von 45 Euro gleich ausverkauft wurde. Die hochgerüstete Hausbar verlangt eben nach entsprechendem Zubehör. "Die Zielgruppe für so ein Produkt waren natürlich nicht die Feiertrinker, sondern die Genießer. Es sollte ein repräsentatives Accessoire für Purtrinker werden", sagt Braun. Die Gestaltungsexplosion bei Spirituosen erklärt sich der Designer auch mit dem Charakter der jungen Marken. "Viele beziehen sich auf eine ausgeprägte, lokale Identität. Diese Identität muss das Design vermitteln, es soll das Produkt mit Geschichte aufladen."

Nüchtern betrachtet muss man zugeben - so eine heutige Hausbar sieht deshalb natürlich besser aus als vor zwanzig Jahren, als man beim Stichwort Flaschendesign noch an den roten Plastikhut auf der Tequilaflasche gedacht hat. Die damaligen Bacardi-, Wodka- und vor allem die absolut banalen Bols-Flaschen der Cocktailmischer waren vielleicht Barstandards, aber eher nicht zum Herzeigen gemacht. Wer wirklich einen Salon mit Bar unterhielt, füllte die Sachen daheim deswegen tunlichst in Kristallkaraffen um. Damit wäre man heute aber ein Spielverderber, denn so geht ja der ganze Markenmythos flöten!

So zärtlich wie in dieser Epoche wurde Alkohol vermutlich noch nie behandelt

Mit der Ästhetisierung der Behälter wird das ganze Drumherum und nicht zuletzt das heimische Verkosten aufgewertet. Und wenn niemand zu Besuch kommt, sind Instagram und Co. dankbare Schaufenster für die eigene Geschmacksinszenierung. Das Fotografieren der schönen Flaschen, zusammen mit Barutensilien oder passenden Gläsern ist jedenfalls ein Zeitvertreib der Connaisseurs geworden. Unter dem Hashtag #humboldtgin etwa lässt sich auf Instagram nachverfolgen, wie ein neuer Nischen-Gin aus Berlin mit Hilfe von feinem Verpackungsdesign und Produktlegende (mit Kräutern destilliert, die Humboldt entdeckt hatte, etc.) zu einem begehrenswerten Genussobjekt wird - Hunderte haupt- und vor allem nebenberuflicher Barkeeper zeigen die Flasche in freier Wildbahn oder stilvollem Close-up. So zärtlich wie in dieser Epoche wurde Alkohol vermutlich noch nie behandelt.

Früher hängte man sich abstrakte Kunst übers Sofa, um interessant zu wirken, heute reichen geistvolle Wässerchen auf der Kommode. So konnte das Prinzip Hausbar wieder Boden gut machen. Als Präsentationsfläche des eigenen Kennertums, aber auch Fußnote eines Interieurtrends, der seit Jahren Salonatmosphäre propagiert: Opulente Tapeten, Teppiche, Samtpoufs, Vintage-Glühlampen und allerlei Messing- und Kupferapplikationen werden immer noch containerweise auf den Wohnplattformen verscherbelt und bilden die Prohibitions-Kulisse für die mondänen Flaschen und Gläser. Im frisch gelieferten Ohrensessel sitzen, sich japanischen Whiskey in ein graviertes Glas einschenken und auf Netflix "The Crown" gucken, wo die Typen im Buckingham-Palast auch nichts anderes machen - das ist mehrheitsfähige Lebensart-Vision urbaner Menschen mittleren Alters. Klingt gut? Na ja. Vielleicht stimmt's ja doch: Nie zu Hause trinken!

© SZ vom 19.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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