Dem Geheimnis auf der Spur:Der verblasste Erfinder

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Porträt des Abenteurers, Freigeistes und Tüftlers Hercule Florence. (Foto: Privat)

Hercule Florence strandete in Brasilien und erfand dort die Fotografie - doch den Ruhm ernteten andere.

Von Michaela Metz

Schon seit Jahren tüftelt er an seiner Erfindung, aber immer wieder stößt Hercule Florence auf unerwartete Schwierigkeiten. "Ich baute eine Camera obscura und benutzte dazu eine kleine Kiste. In der Öffnung brachte ich eine Linse aus einem Fernglas an. Diesen Apparat stellte ich auf einen Stuhl in einem dunklen Zimmer und beließ alles so für vier Stunden", notiert er im Januar 1833. "Aber das, was dunkel hätte sein müssen, war hell; und das, was hell hätte sein müssen, war dunkel." Es gelingt ihm, das Problem und viele andere zu lösen, aber berühmt wird am Ende nicht er, sondern andere Pioniere der Fotografie. Sie arbeiten nicht wie der abenteuerlustige Florence isoliert im brasilianischen Hinterland, sondern können im Glanz europäischer Metropolen ihre Erfindungen öffentlich präsentieren.

Hercule Florence wird 1804 in Nizza als Sohn eines Militärchirurgen geboren. Er studiert Mathematik, Physik, etwas Kartografie und verlässt früh die Familie, um zur See zu fahren. Mit zwanzig strandet der hochbegabte Globetrotter in Rio de Janeiro. Erst dreißig Jahre später wird er seine Familie in Europa wiedersehen.

Neue optische und chemische Erkenntnisse faszinieren um 1800 zahlreiche Forscher

Florence begleitet den Naturforscher Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff vier Jahre lang auf dessen Expedition durch das Outback Brasiliens. Er transkribiert im "Aufsatz zur Zoophonie" die Stimmen des Urwalds in Noten. Gemeinsam mit dem Augsburger Künstler Moritz Rugendas illustriert er in zahllosen Zeichnungen und Karten die überbordende Natur.

Zu dieser Zeit ist Brasilien gerade erst unabhängig geworden. Die kontinentgroße ehemalige Kolonie schottet sich ab von Europa. Druckerpressen, Bücher, Zeitungen und Universitäten gelten als gefährliche Werkzeuge der Rebellion, private Bibliotheken sind verboten. "Da ich mich in einem Land befand, in dem es keine Druckereien gab, verstand ich, wie hilfreich es wäre, wenn erst deren Geräte und Verfahren vereinfacht würden, damit alle so viel drucken könnten, wie sie bräuchten", schreibt Hercule Florence in sein Tagebuch. Neue optische und chemische Erkenntnisse faszinieren Anfang des 19. Jahrhunderts viele Erfinder - es ist nur eine Frage der Zeit, bis bei den Experimenten die Fotografie entdeckt wird.

Florence lässt sich mit Familie in São Carlos nahe São Paulo nieder. Er entwickelt fälschungssichere Banknoten, zeichnet eine detaillierte Landkarte für die brasilianische Regierung und gründet die erste Druckerei der Provinz São Paulo, in der später die erste Zeitung gedruckt wird.

Als er von Daguerres Erfindung erfährt, beendet Florence schockiert seine Experimente

1832 unternimmt er Versuche mit der Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen. Er nennt diese Variante eines Positiv-Negativ-Verfahrens "Photographie" - lange bevor diese Bezeichnung in Europa Allgemeingut wird. Diese parallele Entdeckungsgeschichte der Fotografie und Florence' Wirken erforscht der brasilianische Fotokünstler Boris Kossoy seit den Siebzigerjahren. Kossoy sichtete dafür Florence' umfangreiche Tagebücher und machte diesen vergessenen Erfinder zuerst in Brasilien und nun auch in Europa bekannt.

Im Januar 1833 notiert der einfallsreiche Wahlbrasilianer weiter in seinem Tagebuch, "dass es eines Tages möglich sein wird, mittels der Einwirkung des Lichts zu drucken." Doch die Bedingungen sind beschwerlich: "Kein Mensch hört mir zu und keiner würde mich verstehen. Hier schätzt man nur das Gold, man befasst sich lediglich mit Politik, Handel, Zucker, Kaffee und Menschen." Florence schlägt einen ähnlichen Weg ein wie seine Konkurrenten in Europa: Genau wie sie ist er mit dem Problem konfrontiert, Bilder dauerhaft zu fixieren. Er experimentiert dafür sogar mit Urin. Dieser löst das Chlorid, das nicht unter Lichteinwirkung steht. Florence weiß also offenbar, dass Ammoniak, das in Urin enthalten ist, ein fundamentaler Faktor ist, um ans Ziel zu kommen. Mit der Verwendung von Silberchlorid als lichtempfindlicher Substanz auf dem Papier und Ammoniak zum Auflösen des Chlorids, das nicht dem Licht ausgesetzt wurde, schließt Florence den Kreis. Er erzeugt als erster Mensch fixierte fotografische Kopien. Seinem französischen Konkurrenten Nicéphore Niépce gelingt es zunächst nicht, ein Lösungsmittel zum Fixieren seiner Bilder auf Basis der Silbersalze zu finden. Auch sein Landsmann Louis Daguerre und der Engländer William Henry Fox Talbot verwenden Natriumchlorid zu diesem Zweck, lösen das Problem aber nur unzureichend. Später ist es Niépce, der - mit anderen Mitteln - die ersten wirklich dauerhaften fotografischen Bilder der Welt schafft. Er nennt seine Technik "Heliografie". Unter den verschiedenen Entdeckern aber ist Hercule Florence, der Erfinder im Abseits, der Erste, der Ammoniak als Fixiermittel benutzt.

Am 19. August 1839 wird Daguerres Verfahren vor der Akademie der Wissenschaften und der Schönen Künste in Paris vorgestellt. Die französische Regierung bietet ihm eine Leibrente von jährlich 6000 Franc an und dem Sohn von Niépce 4000 Franc. Fünf Tage zuvor hatte Daguerre seine Erfindung schon in England patentieren lassen. Der Ruhm ist ihm gewiss.

Bereits im Mai 1838 erreichen erste Hinweise auf die Erfindung der Fotografie die andere Seite des Atlantiks und werden von der wichtigsten Zeitung Rio de Janeiros veröffentlicht. Die Nachricht verbreitet sich rasch, für Florence ist es ein Schock. Er beendet seine Forschungen, als er von Daguerres Erfolg in Frankreich erfährt. Ins Tagebuch schreibt er: "Ich habe sieben Jahre lang mit Sonnenlicht gedruckt, bevor man über diese Vorgehensweise von Photographie sprechen sollte, und ich habe es so genannt. Ich habe diese Kunst in ihrer ganzen Bandbreite vorhergesehen, aber ich habe im Exil gearbeitet. Dennoch gebührt Daguerre alle Ehre."

Die technische Vervollkommnung und der kommerzielle Erfolg der Fotografie konnten damals nur im Europa der industriellen Revolution stattfinden. Florence' Erfindung aber geriet in Vergessenheit und blieb etwa 140 Jahre lang unbekannt.

Ironie des Schicksals: Eineinhalb Jahre bevor die Akademie der Wissenschaften in Paris die Entdeckung von Louis Daguerre der Öffentlichkeit präsentierte, hatte der Prinz von Joinville, einer Stadt in Südbrasilien, und Sohn des französischen Bürgerkönigs Louis-Philippe, in seinem Gepäck das Bild eines Bororo-Indios - hergestellt mit Hercule Florence's fotografischem Verfahren.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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