Comeback?:Mehr Martini, bitte!

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Man sollte viel öfter Martini trinken... (Foto: iStockphoto)

Kaum einer scheint den Drink mehr zu beherrschen. Schade, kein Getränk steht schließlich so für elegante Barkultur.

Von Julia Werner

Was macht man als zugeknöpfte Society-Lady, wenn der Ehemann sich kurz vor der Rente als schwul outet und mit seinem Geschäftspartner zusammenzieht? Man gründet eine Strandhaus-WG mit der anderen verlassenen Hippie-Gattin. Dort hält sich Grace alias Jane Fonda in der Netflix-Serie "Frankie und Grace" dann nicht zufällig an einem gut gefüllten Martiniglas fest. Kein anderes Glas schafft es, Betäubung so würdevoll aussehen zu lassen.

Das wussten schon große Trinkerinnen: Liz Taylor bestellte, um sich zu ordnen, immer erst mal einen Martini, egal, wo sie gerade ankam. Und Sexbombe Karolina Kurkova sagte im Interview mit einer Modezeitschrift: "Egal was Sie trinken, trinken Sie es immer aus einem Martiniglas."

Nippen wirkt eben umso eleganter, je komplizierter das Glas zu bedienen ist. Denn eigentlich macht dieser Klassiker nur Probleme: mit seinem überlangen Stiel und dem konisch geformten Kelch gilt er unter Barkeepern als logistische Vollkatastrophe, weil auf dem Weg von der Bar zum Tisch schon die Hälfte verloren geht. Eine Legende besagt, dass das Glas genau dafür erfunden wurde: In Zeiten der Prohibition konnte man sich so während einer Razzia schwungvoll des Inhalts entledigen. Wahrscheinlicher ist, dass das Glas, zum ersten Mal 1925 in Paris während der Weltausstellung präsentiert, eher eine grafische Art-déco-Alternative zum Champagnerkelch sein sollte. Trotzdem wurde es schnell zum Sexsymbol unter den Gläsern und gerade für ebenso gut geschnittene Damen ein ultimatives Baraccessoire.

Wo sind bloß die Gesten der Verführung, die in Bars erfunden worden sind?

Wann genau der Martini seinen Weg in das Glas fand, ist so unklar wie die Notwendigkeit der ganzen zuckrigen Spirituosen, die ihn ab den Siebzigern dort ersetzten. Der Martini jedenfalls war damals inklusive der passenden Barausstattung zu Hause zu einem Sinnbild für das spießige Amerika geworden (weswegen sich Grace ja so daran klammert), der Dry Martini galt als so trocken wie sein Trinker.

Jede Zeit hat eben ihr Trend-Trinkbehältnis. Heute haben sich die Bargäste für das Gegenteil des langbeinigen Art-déco-Kelchs entschieden, nämlich den Kupferbecher. Der Moscow Mule darin ist das Mainstream-Getränk der Stunde, und dabei ist der nicht mal neu: Die Wodkaindustrie etablierte ihn vor 75 Jahren erfolgreich in Hollywood. Seit zwei, drei Jahren ist das süß-scharfe Getränk wieder in aller Munde. Klar, das knallt natürlich genauso gut wie ein Dry Martini. Schade ist nur, dass Mann und Frau mit Kupferbechern immer wirken, als wäre das Überleben im australischen Outback ihr Thema. Lahme Botschaft: Warum sich mit einem fragilen Glas abmühen, wenn man es bequem haben kann?

Woran sich die wichtigste Frage anschließt: Wo sind heute all die eleganten Gesten der Verführung geblieben, die an den guten Bars erfunden worden sind? Die dramatische Zigaretten-Geste: heute nicht mehr salonfähig. Das Nippen mit geschminkten Lippen am schwer zu balancierenden Glas: nahezu ausgestorben. Das ist nicht gut! Man denke nur an High Heels und aneinander klirrende Martinigläser im schummrigen Licht. Sie hält das Glas, wie man es halten muss, also zwischen den Fingerspitzen am Stiel, nippt, schaut über den Glasrand und lässt offen, wann der Kontrollverlust einsetzt. Er greift seinen Martini alphamäßig von oben am Rand oder am Kelch, so wie es alle James Bonds bisher taten, lässt alles mit zwei kräftigen Schlucken die Kehle runter und offen, ob er ein Säufer ist oder sich Mut antrinkt.

Würden endlich wieder mehr Menschen gemeinsam Martinis trinken, vielleicht gar wie zu Anfang seiner Geschichte gemixt mit Gin, nicht mit Wodka: Tinder wäre pleite und der echte, zweideutige Flirt wieder am Leben. Am 19. Juni ist übrigens Welt-Martini-Tag. Chin-chin!

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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