Christophe Chemin:Plötzlich Prada

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Ein Berliner Zeichner wird überraschend zum Print-Designer für Miuccia Prada. Christophe Chemin über bedruckte Hemden, die mehr sind als Dekoration.

Interview von Silke Wichert

Mode und Kunst sind schon lange eng miteinander verbunden. Elsa Schiaparelli arbeitete bereits in den Dreißigern mit Salvador Dalí zusammen, Marc Jacobs ließ 2002 bei Louis Vuitton Taschen von Takashi Murakami verschönern. Normalerweise suchen sich Modedesigner etablierte, bekannte Künstler, die ihre Produkte neu interpretieren und nebenbei für ordentlich Gesprächsstoff sorgen. Miuccia Prada hingegen macht die Dinge gern ein bisschen anders als die Kollegen: Bei ihrer Männerkollektion für nächsten Herbst beauftragte sie den in Berlin lebenden Franzosen Christophe Chemin, 38, einen bislang weitgehend unbekannten Künstler und Filmemacher. In der herausragenden Kollektion voller Capes und Matrosenjacken stachen die mit seinen Zeichnungen bedruckten Hemden besonders heraus. Also? Wurde er für die Damenkollektion gleich wieder engagiert.

SZ: Herr Chemin, bis vor ein paar Monaten kannte kaum jemand Ihre Werke, und plötzlich schickt Frau Prada Ihnen auf Instagram eine Nachricht, ob Sie nicht an der nächsten Herbstkollektion mitarbeiten wollen. Klingt unglaublich.

Christophe Chemin: Ist es auch, es stimmt nämlich nicht - Miuccia ist nicht auf Instagram, das hat sich irgendein Journalist ausgedacht.

Wie trafen Sie sich dann?

Getroffen haben wir uns bis zur Männerschau im Januar gar nicht. Sie kannte meine Zeichnungen und hat mich kontaktiert.

Wie lief die Zusammenarbeit?

Erst über Whatsapp, dann per Mail. Es musste alles sehr schnell gehen, weil sie mich erst sehr spät gefragt haben. Sie dachten wohl zuerst, ich würde Nein sagen.

Nein sagen - zu einem solchen Angebot?

Alle anderen Modemarken hätten mich tatsächlich nicht interessiert. Aber ich war schon immer ein großer Bewunderer von Miuccia Prada. Und wie sich herausstellte, passen wir gut zusammen, unsere Arbeitsweise ist ähnlich: Wir haben immer viel zu viele Ideen und Konzepte, die man dann verdichten und auf verschiedene Materialien übertragen muss.

Christophe Chemin an seinem Schreibtisch. (Foto: privat)

Bekamen Sie eine konkrete Aufgabenstellung aus Italien?

Nicht wirklich. Miuccia, ihr Designchef Fabio Zambernardi und ich tauschten uns vor der Männerkollektion über alles Mögliche aus. Persönliches, aktuelles Zeitgeschehen, wir schickten uns Bilder hin und her - bald waren wir uns einig, dass es um die Frage gehen sollte: Was bleibt von der Geschichte der Menschheit? Leider fast immer Krieg, männliche Gewalt. Miuccia war fasziniert von der Glorifizierung von Männlichkeit. Diesem düsteren Kontext wollte ich etwas Begehrenswertes entgegensetzen. Schönheit und Hässlichkeit. Die Bilder sind bittersüße Metaphern für die Gegenwart.

Wie muss man sich das vorstellen - Sie machen eine Skizze der Göttin Isis, die auf Ihrem fiktiven Filmplakat "Impossible True Love" einen amerikanischen Soldaten küsst, und Frau Prada sagt: Schön, bitte so weitermachen?

Sie wollte tatsächlich Skizzen, aber ich mache prinzipiell keine. Das war gewissermaßen die einzige kleine Unstimmigkeit in unserer Zusammenarbeit. Wenn man erst einmal damit anfängt, werden Änderungen eingefordert, die dann wieder diskutiert werden - für mich als Künstler ein Albtraum.

Wie hat sie darauf reagiert?

Am Ende hat sie mir vertraut. Ich schrieb ihr ein langes Konzept, mit genauen Beschreibungen meiner Ideen, das hat sie sofort verstanden. Ich konnte dann vollkommen frei arbeiten.

Klingt ganz anders als die Miuccia Prada, die dafür bekannt ist, ihre sehr eigenen Vorstellungen zu haben.

Oh doch, sie hat eine ganz klare Vision. Und sie kann dich in zehn Sekunden zerlegen. Aber es war einfach ein sehr aufrichtiger Arbeitsprozess zwischen uns. Heutzutage kreisen alle immer mehr um sich selbst, nur darauf bedacht, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ich bin mehr an Dingen interessiert, die eine Bedeutung haben, die nicht nur dekorativ sind. Und ich glaube, das verbindet uns.

Eine Zeichnung von Chemin, die bei der Prada Herbst-Schau in Mailand zu sehen war. (Foto: Gabriel Bouys/AFP)

Was zum Beispiel hat es mit dem Bankett voller Ratten auf sich, mit dem jetzt Hemden und Röcke bedruckt sind?

Das bezieht sich auf den Rattenfänger von Hameln. Ich mag die Assoziation von Ratten und Kindern als Parabel für die Zukunft. Aber da sind nicht nur Früchte, sondern auch Sushi, und wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, dass der Tisch ein bisschen kippt und fast alles herunterfällt. Je mehr Sie hinsehen, desto mehr sehen Sie.

Mit welchen Techniken arbeiten Sie?

Bei der Herrenkollektion waren es vor allem aufwendige Zeichnungen mit Buntstift oder schwarzer Tinte. Bei der Frauenkollektion habe ich alles Mögliche gemixt: Zeichnungen als Hintergrund, darauf Collagen mit Ausschnitten aus alten Büchern, manche Bilder habe ich an die Wand gehängt und gefaltete Tuschezeichnungen darauf gepinnt, um Schatten zu erzeugen, aus Close-ups von alten Renaissancegemälden machte ich architektonische Elemente. Durch all die verschiedenen Materialen in verschiedenen Stilen entsteht eine Art Trompe-l'oeil-Effekt, Fata Morganen, die das Auge ein bisschen irritieren. Ich mag es, wenn die Dinge nicht so sind, wie sie zunächst scheinen.

Ihr Name ist jetzt schlagartig bekannt. Es heißt, Signora Prada plane bereits weitere Kunstprojekte mit Ihnen, gerade hatten Sie eine Ausstellung in der Berliner Galerie 032c.

Mir wird jetzt vieles angeboten, was ich gar nicht machen möchte. Ich hatte nie vor, berühmt zu werden, und es interessiert mich auch nicht, meine Werke überall ausgestellt zu haben. Ich möchte einfach nur tun können, was ich tue, und die Kontrolle behalten.

Die Chemin-Prints wurden bei den Prada-Schauen gefeiert. (Foto: Getty Images)

Kokettieren Sie jetzt nicht ein bisschen?

Als ich noch in Paris wohnte, habe ich sehr kleine Arbeiten gemacht, weil ich in einer sehr kleinen Wohnung lebte. Ich war trotzdem glücklich. Und das war ich auch in Berlin, als die meisten mich noch für einen Hausmann hielten, der den ganzen Tag nichts macht als auf seinen Ehemann zu warten. Das gab mir absolute kreative Freiheit, ich konnte in Ruhe nonstop arbeiten. Als Miuccia Prada anrief, war ich mitten in der Arbeit für ein Buch, das ich jetzt dringend fertig machen möchte. Variationen des letzten Tages von Pier Paolo Pasolini. Sicher nichts für den Mainstream.

Sie trafen Frau Prada zum ersten Mal bei der Männermodenschau in Mailand, nach dem Damendefilée waren Sie mit backstage. Wie fanden Sie den ganzen Moderummel?

Was backstage nach der Show los war, fand ich sehr interessant: All die Leute, die einfach nicht gehen wollten, sondern dort absurd lang abhingen.

Komisch für Sie, wenn ab Herbst alle in Ihren Prada-Hemden rumlaufen?

Absolut nicht. Meine Werke auf dem Laufsteg zu erleben, hat mich sehr berührt. Und Miuccias und meine Welt miteinander verschmelzen zu sehen, war fantastisch. Sie ist eine ganz besondere, komplexe Persönlichkeit. Ich bin es nur nicht gewohnt, so viel Lob zu bekommen - meine Eltern haben nie verstanden, was ich mache. Es mag verstörend klingen, aber mit Zurückweisung oder Kritik konnte ich bislang leichter umgehen, das hat mich immer angetrieben, noch besser zu werden.

Werden Sie selbst eines dieser Hemden tragen?

Tue ich schon. Ansonsten habe ich ein eher irrationales Verhältnis zu Kleidung. Ich trage im Winter gern Blumendrucke, im Sommer dagegen gar nicht. Manchmal werfe ich mir für besondere Anlässe nur irgendetwas über, dann wieder gehe ich voll zurechtgemacht zum Rewe.

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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