Je ferner und unverständlicher die Türkei, von Europa aus gesehen, erscheint, desto schöner werden die Istanbul-Bücher. Ein Augenrausch ist "Benimi: Mein Istanbul", herausgegeben von Sefa İnci Suvak und Suleman Taufiq, ein dreisprachiges Bilder- und Lesebuch, das man an fast jeder beliebigen Stelle aufschlagen kann - zum Wegträumen. Dabei beschönigen die 56 Autoren eigentlich nichts. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Künstlerin Cana Yılmaz sowie die Farbfotos von Iskender Muhlis Kenter führen auch in die schäbigeren Quartiere der ausufernden türkischen Metropole, in die sich Touristen gewöhnlich nicht wagen. Sie dokumentieren zudem brutale Eingriffe in die alte Schönheit, durch eine oft rücksichtslose Moderne. "Meine Stadt aber verlässt mich Tag für Tag, wie eine treulose Geliebte", schreibt die Istanbulerin Oya Baydar. Der Schmerz über den Verlust des Altgewohnten und Liebgewordenen ist allerdings schon lange fester Bestandteil der türkischen Poesie. Die Autoren, darunter prominente wie Zülfü Livaneli und Feridun Zaimoğlu, haben sich von den Fotografien zu sehr persönlichen Erinnerungen inspirieren lassen. In ihrer Fülle haben diese Geschichten auch wieder etwas Tröstliches: denn jeder, der glaubt, Istanbul gehöre nur ihm allein, der täuscht sich. Die Stadt wird immer den Katzen und den Möwen gehören, der Rest ist ein Mysterium.
Edition Esefeld & Traub, 320 Seiten, 53 Euro.