Porträt:Immer guter Stoff

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Wie ein Unternehmensberater mit seinem Onlinemagazin eher zufällig zum Top-Informant der Modewelt wurde - aber nun mit seinen Insider-Informationen die Branche aufmischt.

Von Silke Wichert

So kompliziert die Modewelt für Außenstehende anmuten mag, so schlicht ist sie oft. Die Rangordnung der Modenschauengäste etwa gehorcht dem klassischen Siegertreppchen-Prinzip: Ganz hinten sitzt das Fashion-Prekariat, abgeschoben nach "Sibirien", wie man hier sagt. Je weiter vorn jemand landet, desto wichtiger ist er gerade. In der ersten Reihe: Chefredakteure, Chefeinkäufer, neuerdings auch Chef-"Influencer", und dazwischen seit einiger Zeit auch dieser schmale, indisch aussehende Mann, der früher immer im akkuraten Anzug erschien: Imran Amed, Gründer des Onlinemagazins Business of Fashion, in der Branche kurz: BoF.

In den vergangenen neun Jahren konnte man zuschauen, wie der heute 41-jährige Kanadier aus dem Nichts kam, immer weiter nach vorn rutschte, um sich in der Front Row häuslich niederzulassen. Amed gehört jetzt dazu. Er kennt sie alle. Noch wichtiger: Sie alle kennen jetzt ihn. Hätte er eine Fotowand bei sich im Büro wie diese Restaurantchefs, bei denen Fußballprofis und Schauspieler verkehren, er könnte dort mit den berühmtesten Köpfen der Modewelt hängen. Er neben Karl Lagerfeld, er mit Raf Simons, er Seite an Seite mit Giorgio Armani. Hat er aber natürlich nicht.

In seinem rechtwinklig aufgeräumten Büro im Londoner Stadtteil Soho, einen Katzensprung von der Oxford Street entfernt, hängen als Trophäen an der Wand vielmehr die gerahmten Cover seiner Printhefte, die er mittlerweile alle sechs Monate herausbringt. Papier ist für Onlinemedien ja lustigerweise immer noch die Königsklasse. Auf dem jüngsten Titel ist die eigentlich notorisch interviewscheue Kate Moss zu sehen, die Amed persönlich in ihrer Villa auf Hydra besuchen durfte. Nicht der britischen Vogue, nicht der amerikanischen Vogue, nicht dem alteingesessenen Branchendienst Women's Wear Daily verriet das erfolgreichste Model aller Zeiten, dass es eine eigene Talentagentur gründen werde. Sondern ihm, Imran Amed. Ein hübscher Scoop.

Entsprechend gut gelaunt sitzt der Chefredakteur an seinem Schreibtisch und dehnt die elastische Lehne seines Stuhls nach hinten. Durch die Glaswand sieht man ausschließlich sehr junge, sehr lässig angezogene Leute durch die Büroetage laufen. 40 Leute arbeiten momentan hier. Auch der Chef trägt immer seltener Anzug, stattdessen an diesem Tag ein semitransparentes Hemd mit dicken blau-weißen Streifen zu Gucci-Loafern ohne Socken. Sieht aus, als sei er wirklich angekommen in der Branche.

Angekommen: Imran Amed beim Business of Fashion-Dinner in London, neben Kate Moss (re. als Covermodel) und Alexa Chung. (Foto: David M. Benett/Getty Images)

Aber die Modewelt dreht sich ja nur oberflächlich betrachtet um nichts als Klamotten. Dahinter steckt eine globale Trillionen-Dollar-Industrie, in der sich noch so ein, zwei andere Dinge abspielen. Und genau darum geht es bei Business of Fashion, um Analysen, Hintergründe, Bilanzen. Welche Marke schreibt gerade rote Zahlen und warum? Was bedeuten die ständigen Designerwechsel für die Branche? Warum müssen Läden in Zukunft anfangen zu denken wie Facebook? Vorletztes Jahr gab es auch mal einen ausführlichen Bericht darüber, warum Deutschland, als stärkste Wirtschaftsmacht Europas, eigentlich keine größere Rolle in der Modeindustrie spielt. Kann man sich ja mal fragen.

Unter Modeinteressierten gilt die Website längst als Pflichtlektüre, selbst Vanessa Friedman, die angesehene Kritikerin der New York Times, gibt ohne Umschweife zu, quasi täglich zu schauen, worüber sie dort "nachdenken". Zusätzlich zu eigenen Geschichten gibt es einen Überblick über für die Branche relevante Berichte aus anderen Publikationen. Die britische Designerin Anya Hindmarch gestand einmal, sie lese den BoF-Newsletter noch im Bett, bevor sie überhaupt ihren Kindern guten Morgen sage. Die Marktforschung ergab: Sie ist nicht die Einzige.

Seine knapp eine Millionen Leser pro Monat beschreiben sich häufig als geradezu "addicted", erzählt Imran Amed, und lässt sich das Wort auf der Zunge zergehen. "Sie verschlingen die Meldungen, meistens gleich frühmorgens." Dafür lässt er sie nun bezahlen. Seit Ende Oktober hat Business of Fashion eine Paywall eingeführt. Nur noch fünf Artikel pro Monat sind kostenlos. Jetzt wird nicht mehr nur übers Business geredet, jetzt wird auch selbst Business gemacht. Alles läuft nach Plan.

Dabei gab es eigentlich nie einen. Imran Amed war erfolgreicher Unternehmensberater bei McKinsey, ein Überflieger, der jedoch mit Ende zwanzig anfing zu überlegen, wie erfüllend dieser Job tatsächlich war. Er nahm eine Auszeit. Zur Ablenkung schmuggelte eine Freundin ihn bei einer Modenschau auf der London Fashion Week ein. "Ich war nicht mehr als eine Schmeißfliege an der Wand, ein unsichtbarer Beobachter, aber dieses ganze Theater und die Charaktere faszinierten mich sofort", erinnert sich Amed. Also tat der Berater, was Berater nun mal tun: Er fing an, das neue Geschäftsfeld zu analysieren, "die Welt hinter dem schönen Schein" zu ergründen. Er schummelte sich in so viele Shows wie möglich, versuchte, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Abends, auf seiner Couch in Notting Hill, schrieb er seine Gedanken zu diesem "Business of Fashion" auf und stellte sie ins Netz.

Imran Amed war in Harvard. Trotzdem interessiert er sich für den Modezirkus

Es war das Jahr 2007 und der McKinsey-Mann plötzlich einer dieser neuen Blogger, die bei den Schauen für Furore und stellenweise auch Naserümpfen sorgten. Im Gegensatz zu den meisten anderen fotografierte er aber nicht sich selbst in schrägen Klamotten. Nein, dieser "Geschäftsmann", wie man ihn bald auch wegen seiner Anzüge nannte, hatte einen Abschluss der Harvard Business School in der Tasche. Trotzdem interessierte ihn dieser Zirkus! Hört, hört! Er nahm die Branche ernst, also nahm die Branche bald auch ihn ernst.

Vanessa Friedman sagt, dass ihr der zierliche Mann schon auffiel, da war sie noch Moderedakteurin der Financial Times: "Ich fand ihn schlau, er hatte interessante Ansichten, also ließ ich ihn gleich ein paar Artikel für uns schreiben." Was der Exot in seinem Blog über die Strategien von Luxusmarken zu sagen hatte, was er aus deren Bilanzen las und über die Industrie im Allgemeinen dachte, war nicht nur interessant - es war auch ziemlich ungewöhnlich für die Modewelt, in der es lauter Insider gibt, aber nur ganz wenige, die das Geschehen aus einem anderen Blickwinkel, neutral oder gar kritisch beäugen. Während die meisten Modemagazine Hofberichterstattung betreiben, traute sich Business of Fashion auch mal, einen skeptischen Artikel über das "Rebranding" von Saint Laurent unter Hedi Slimane zu veröffentlichen. Amed flog daraufhin von der Gästeliste für die Präsentation in Paris. Woraufhin er wiederum eine Art Brandschrift über die bizarre PR-Strategie der Marke schrieb. So bleibt man im Gespräch.

Manche Leute erinnern sich anders, aber Amed sagt, er sei nie mit Visitenkarten durch die Reihen gezogen. "In dieser Welt gibt es Regeln. Du darfst nicht zu aufdringlich sein. Die Leute müssen zu dir kommen." Wie damals bei Oscar de la Renta: Irgendwann hielt ihm der CEO bei der Show in New York einen Platz neben sich frei, weil er diesen Business-Typen endlich kennenlernen wollte. Dummerweise blieb Amed im Metrochaos stecken, kam zu spät und verpasste die Show. Ein Anfängerfehler. Heute wird Amed, wie alle halbwegs wichtigen Menschen bei den Schauen, mit der Limousine vorgefahren.

Ein Interview mit David Beckham hat er abgelehnt - sorry, kein Interesse

Und es kommen jetzt noch ein paar Leute mehr zu ihm: BoF kriegt fast alle Interviews mit Designern und Branchengrößen, nicht alle wollen sie noch haben. Wen er kürzlich abgelehnt habe? Amed überlegt, ob er das jetzt ausplaudern soll oder lieber nicht, und sagt dann, nicht ohne Genugtuung: "David Beckham." Der ehemalige Fußballer ist gerade bei der etwas verblassten englischen Traditionsmarke Kent & Curwen eingestiegen. Na und? "Es geht nicht darum, der Erste, sondern der Beste zu sein", sagt Amed. Tadelloser PR-Spruch, er hat viele davon drauf.

Die Beckhams sind dann auch so ziemlich die Einzigen, die zwei Tage später nicht beim BoF-Galadinner während der London Fashion Week aufkreuzen. Dafür sind alle anderen da, Amed wird auf Fotos zwischen Kate Moss und Alexa Chung posieren. Ist er noch der Outsider, der er einmal war? "Natürlich nicht", gibt er offen zu. 2013 sammelte Business of Fashion zweieinhalb Millionen Dollar Investmentkapital ein, unter anderem vom Luxuskonzern LVMH, zu dem Marken wie Louis Vuitton, Dior und Céline gehören. Er könne trotzdem noch objektiv berichten und habe sich immer die Sicht des Außenseiters bewahrt, insistiert Amed. "Ich bin schließlich nicht in der Branche groß geworden. Ich habe ein ganz anderes Fundament."

Aufgewachsen ist der Kanadier in Calgary. Seine Eltern hatten sich in Tansania kennengelernt, seine Mutter stammt von dort, doch die Familie väterlicherseits kommt ursprünglich aus Mumbai. Seit 1999 lebt Amed in London. Vielfältiger geht es kaum. "Ich habe die Welt nie nur aus einer Perspektive gesehen", sagt er. Weil er obendrein noch die besten Noten haben wollte, stand er meist um 4 Uhr morgens auf, setzte sich mit seiner Mutter an den Küchentisch und fing an zu lernen.

Auch jetzt wirkt er hellwach, obwohl er erst am Vortag aus New York zurückgekommen ist und die nächsten Tage in London von Schau zu Empfang zu Party tingeln wird. Amed sitzt bei allen wichtigen Podiumsdiskussionen, gibt Interviews für die BBC, immer charmant, immer eloquent. Die Theaterstunden von früher: gut investiertes Geld, der Geschäftsmann ist auch ein ausgezeichneter Redner. Mitarbeiter erzählen, dass bei den Redaktionskonferenzen Sitzverbot herrscht, damit sie nie länger dauern als unbedingt nötig. Er hat es gern effizient, alter Berater-Tick. Bevor jemand ein längeres Meeting mit mehreren Leuten einberufe, solle er sich das besser zweimal überlegen. "Ich liebe es, mit Menschen zu reden", sagt Amed, "aber ich hasse es, wenn sie meine Zeit verschwenden."

Längst ist Business of Fashion nicht mehr nur ein Onlinemagazin mit Printableger, das von ein bisschen Werbung lebt, sondern ein kleines, beständig wachsendes Imperium. Vor zwei Jahren hat Amed angefangen, einen Stellenmarkt für die Modebranche auf der Seite zu implementieren. Firmen wie Bottega Veneta, Zalando, Swarovski oder Adidas rekrutieren hier mittlerweile - gegen Bezahlung versteht sich. Gerade hat Amed eine Partnerschaft mit seinem alten Arbeitgeber McKinsey geschlossen, es geht darum, Daten über die Branche zu erheben. Im Dezember wird dann erstmals die "Voices"-Konferenz stattfinden, mit Sprechern wie John Galliano oder dem Gucci-CEO Marco Bizzarri und natürlich mit einem etwas anderen Ansatz als all die vielen anderen Modekonferenzen da draußen.

Kürzlich ist außerdem das neue "BoF-500"-Ranking erschienen. Ein "Who is Who" der Branche, das seit 2012 jedes Jahr veröffentlicht und heiß diskutiert wird. Der ehemalige Hugo-Boss-Chef, Claus-Dietrich Lahrs, der gerade zu Bottega Veneta wechselte, ist raus, dafür ist der Rapper A$AP Rocky drin.

Zu dumm, dass Imran Amed die Liste selbst herausgibt. Er wäre sonst längst ganz vorne mit dabei.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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