Zweite Liga:Sieger aus dem Nichts

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Der TSV 1860 München beherrscht den VfL Bochum klar und verliert dennoch 0:1.

Bochum (SZ) - Am Ende war es eine Frage des Glücks, und am Montagabend hatten die Gäste, der TSV 1860 München, kein Glück. Die Heimmannschaft, der VfL Bochum, musste sich hingegen fühlen, als wüchsen viele vierblättrige Kleeblätter auf den Rasen des Ruhrstadions.

Klar überlegen hatten die Sechziger die gesamte Partie gestaltet, doch dann brach die 88. Minute an. Der eingewechselte Filip Trojan trat einen Freistoß in den Sechzehnmeterraum der Münchner, der Ball war sehr lange unterwegs, und dann brachte Marcel Maltritz seinen Kopf an die Kugel und beförderte sie zum 1:0 ins Tor. "Das ist bitter" Fassungslos betrachteten die Spieler des TSV 1860 die jubelnden Bochumer, eine Minute wurde noch weitergespielt, dann war die Partie vorbei. "Das Ergebnis stellt den Spielverlauf auf den Kopf", sagte 1860-Verteidiger Torben Hoffmann, "das ist bitter."

Beide Trainer, Bochums Marcel Koller und Münchens Reiner Maurer, waren sich darüber einig, dass ein Fehler des Schiedsrichters zum letzten und entscheidenden Freistoß geführt hatte. Koller nahm es gelassen, er hatte ja glücklich gewonnen, Maurer hingegen war sauer, es rumorte in ihm, zumal er mit seiner Abwehr in dieser einen Situation nicht zufrieden war.

Außerdem war es für ihn schwer zu verkraften, dass mit dieser einen Szene das Spiel einen Sieger aus den Nichts gefunden hatte, denn der TSV 1860 war zum einen die bessere Mannschaft, zum anderen sah in der letzten Viertelstunde alles nach einem 0:0 aus.

Die Münchner agierten mit fünf Mann im Mittelfeld und lediglich einem Stürmer, Paul Agostino. Das bedeutete aber nicht, dass der TSV 1860 defensiv zu Werke ging. Es war erstaunlich zu sehen, wie viele Impulse die Mittelfeldspieler entwickelten und wie sie ausschwärmten, um den Ein-Mann-Sturm immer wieder in einen Vier-Mann-Sturm zu verwandeln.

Zuständig für die Offensive waren Patrick Milchraum, Daniel Baier und Nemanja Vucicevic, dahinter sicherten Remo Meyer und Kapitän Matthias Lehmann. Letzterer hatte sich in den vergangenen Wochen leise beklagt, dass ihm die Mannschaft zu offensiv spiele und zu viel Defensivarbeit an ihm hängenbleibe.

Maurer hat die leise Klage gehört, die Lösung, einen zweiten defensiven Mittelfeldspieler aufzubieten, erwies sich trotz der Niederlage als praktikabel.

Kernfiguren im Münchner Mittelfeld sind Lehmann und Baier. Lehmann organisiert die Defensive vor der Abwehr exzellent, Baier glänzt als Passgeber in der Offensive. Bisweilen erinnert er an einen Quarterback im Football. Er hält den Ball und schaut, während zwei Gegner auf ihn zurennen; die Gegner kommen näher und näher, und Baier schaut und schaut, und schließlich, ganz kurz bevor es zu spät wird, sieht er eine Lücke und spielt den Ball leichten Fußes hinein.

So zum Beispiel in der 13. Minute, als er in Bedrängnis wartete, schließlich einen ganz feinen Pass an den Sechzehnmeterraum spielte, wo gerade Nemanja Vucicevic auftauchte. Der jagte den Ball mit dem Außenrist des rechten Fußes aufs Tor, ein Kunstschuss, und dann gab es ein klatschendes Geräusch, weil der Ball an die Unterkante der Latte knallte.

Wäre der Ball wenige Zentimeter tiefer geflogen - Vucicevic hätte sich um das Tor des Jahres bewerben können. So blieb es beim 0:0, da Marcel Schäfer den Abpraller nicht unter Kontrolle bringen konnte.

Nach 26 Minuten zeigen die Bochumer, dass auch sie Interesse an der Tor-des-Jahres-Wertung haben. Joris van Hout stand beinahe auf der Grundlinie rechts vom Münchner Tor, als er einen wunderbaren Heber ansetzte, der über Torhüter Timo Ochs hinwegflog und dann Latte und Pfosten streifte.

Reifer, ballsicherer und überlegen

Was die großen und schönen Chancen anging, war die Partie ausgeglichen, die Sechziger spielten jedoch reifer, ballsicherer und überlegen - das ist bei einem Auswärtsspiel in Bochum alles andere als selbstverständlich. Nach 55 Minuten zeigten sie wieder einmal eine ihrer Stafetten, der Ball zirkulierte schnell durch die Reihen, und dann zog Patrick Milchraum aus 16 Metern ab - Torwart Rein van Duijnhoven konnte parieren.

Und wie es dann so ist: Plötzlich hatten Bochum wie aus dem Nichts eine Riesenchance, Edu setzte sich gegen Szukala durch, er lief allein auf Torwart Ochs zu, er hätte das Tor treffen müssen und traf nur Ochs (59.). Anschließend übernahmen die Münchner wieder das Kommando, teilweise müssen sich die Bochumer in Anbetracht der Kombinationsfreude der Sechziger vorgekommen sein, als habe man einige Brasilianer vom Strand im Ruhrstadion vorbeigeschickt.

Das hätte beunruhigend sein können, hätten nicht Brasilianer vom Strand die Eigenheit, dass ihnen das schöne Spiel stets näher liegt als der Torschuss.

Maurer versuchte noch etwas. Er wollte durchaus gewinnen, er hatte ja gesehen, dass seine Mannschaft die bessere war. Stürmer Emmanuel Krontiris hatte er bereits eingewechselt, dann brachte er zwölf Minuten vor dem Ende noch Stürmer Michal Kolomaznik, so dass also trotz unentschiedenen Spielstandes die Gäste nun mit drei Spitzen agierten. Mutig war das, und es war dennoch erfolglos.

Die Bochumer Abwehr konnte sich dem Münchner Bemühen weiterhin erwehren, ohne in ernsthafte Bedrängnis zu geraten; einmal griff sie noch an und erhielt einen Freistoß. Es lief die 88. Minute, Trojan legte sich den Ball zurecht.

© SZ vom 4.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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